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Statistik: Bayes oder Junge oder Mädchen?

Geschrieben von Oliver Lenz am 20. Juli 2005 12:22:53:

Wir begeben uns mit der Antwort in das Reich der "bedingten Wahrscheinlichkeiten". Wie wahrscheinlich ist Ereignis A, wenn ich weiß, daß Ereignis B bereits eingetreten ist? Und da wir nicht gewohnt sind, mit bedingten Wahrscheinlichkeiten umzugehen, wird es schwierig und z.T. dem "gesunden Menschenverstand" widersprechend.

Nun denn:


FALL 1:

Wenn ich NICHTS von einer Familie weiß, außer daß sie zwei Kinder hat, dann muß ich die Chancen wie folgt annehmen:

So würde ich auch wetten, wenn die Wette fair sein soll: "Ich setze 1 EUR darauf, daß es zwei Jungs sind. Setzt jemand 4 EUR dagegen?"

Soweit ist alles klar.


FALL 2:

Witzig wird es erst, wenn mir die Eltern des Kindes ganz allgemein mitteilen, daß EINES ihrer Kinder ein Junge ist, ohne Angaben zum Geschlecht des anderen Kindes zu machen.

Dann rechne ich:

P(JJ)|(J dabei) = P(J dabei|JJ) * P(JJ)/P(J dabei)

Dabei ist P(J dabei)
= P(JJ)*P(J dabei)|JJ + P(JM)*P(J dabei)|JM + P(MJ)*P(J dabei)|MJ + P(MM)*P(J dabei)|P(MM)
= 0,25*1 + 0,25*1 + 0,25*1 + 0,25*0
= 0,75

Also ist P(JJ)|P(J dabei) = 1 * 0,25/0,75
= 0,33333

Bzw. P(MJ oder JM)|J dabei = P(J dabei|MJ oder JM) * P(MJ oder JM)/P(J dabei)

P(J dabei) ist wie oben ermittelt 0,75.

Also ist P(JM oder MJ)|J dabei = 1 * 0,5/0,75
= 0,66666

Und so würde ich nach der Begegnung mit den Eltern wetten: "Ich setze 2 EUR darauf, daß diese Familie auch ein Mädchen hat. Setzt jemand 1 EUR dagegen?"


FALL 3:

Und wie ist es, wenn ich an der Wohnungstür klingele, und mir öffnet ein Junge? Kann ich dann auch so (fair) wetten?

Nein!

Denn:
P(JJ)|(Junge öffnet) = P(J öffnet|JJ) * P(JJ)/P(J öffnet)

Dabei ist P(J öffnet)
= P(JJ)*P(J öffnet)|JJ + P(JM)*P(J öffnet)|JM + P(MJ)*P(J öffnet)|MJ + P(MM)*P(J öffnet)|P(MM)
= 0,25*1 + 0,25*0,5 + 0,25*0,5 + 0,25*0
= 0,5

Also ist P(JJ)|(J öffnet) = 1 * 0,25/0,5
= 0,5

Ich würde also nach der Türöffnung durch einen Jungen eine Wette wie folgt anbieten:

"Ich setze 1 EUR darauf, daß diese Familie auch ein Mädchen hat. Setzt jemand 1 EUR dagegen?"


Bitte alles nachrechnen! :-)

Oder einfach ausprobieren mit zwei Würfel! (Habe ich auch gemacht :-)

Gerade Zahl sind die Mädchen, Ungerade Zahl sind die Jungs!

Fall 1 dürfte klar sein.

Fall 2 wird daduch simuliert, daß, wenn EINE ungerade Zahl fällt (Junge) die Zahl der gleichzeitigen geraden Zahlen (Mädchen) und ungeraden Zahlen (Jungs) ermittelt wird. Ich hatte im Würfelexperiment 29:13 (theoretisch hätte 28:14 rauskommen sollen).

Fall 3 braucht zwei ungleiche Würfel. Ich hatte 23:21 statt thoretisch 22:22.


Geschrieben von stefan am 21. Juli 2005 09:18:29:

Als Antwort auf: Re: Jungs und Mädchen geschrieben von Oliver Lenz am 20. Juli 2005 12:22:53:

Lieber Oliver,

wenn mir Eltern mitteilen, dass sie einen Jungen haben, dass sehe ich keine Unterschied darin, ob mir einer die Tür aufmacht.

Das 2. Kind ist trotzdem zu 50% ein Mädchen! Soweit meine Logik. Egal wie ich herausfinde, dass ein Kind ein Junge ist: ob es die Tür aufmacht, ich eine Genprobe mache etc etc.. oder es irgendwie von den Eltern erfahre. Es kann keinen Unterschied machen. Die Eltern verraten nichts über die Wahrscheinlichkeitbzw. das Geschlecht des 2. Kindes, wenn sie das Geschlecht des ersten Kindes verraten! Auch wenn die Möglichkeit 2 Mädchen ausscheidet! Das ist doch gerade die Crux!

Nehmen wir an das 2. Kind ist noch gar nicht gezeugt: ich erfahre das Geschlecht des 1. Kindes... .

"Wir haben einen Jungen und noch ein 2. Kind" sagt über das Geschlecht des 2. Kindes NICHTS! (bitte widerlegen!)

Das war doch gerade was ich darlegen wollte. Es ist absolut logisch, und trotzdem anscheindend nicht so einfach zu verstehen :-)


Geschrieben von Oliver Lenz am 21. Juli 2005 15:11:22:

Als Antwort auf: logik und "logik" geschrieben von stefan am 21. Juli 2005 09:18:29:

Aarg, das ist doch weniger eine Frage des "verstehens", das ja wirklich bei bedingten Wahrscheinlichkeiten schwierig ist.

Aber Du kannst es superleicht AUSPROBIEREN.

Nimm einfach zwei Würfel. Würfle mit beiden.

Wenn IRGENDEINER der Würfel "ungerade" (d. h. im Modell: Junge) anzeigt, dann schreibe Dir auf, was der andere Würfel anzeigt. Und Du wirst feststellen, daß der jeweils andere Würfel etwa doppelt so häufig "gerade" (Mädchen) anzeigt als "ungerade" Junge).

Und genau DAS ist doch das perfekte Modell für die Information, daß EINES der Kinder ein Junge ist.

Wenn der Versuch beendet ist, dann kannst Du mit den Würfeln das andere Modell (Du klingelst und ein Junge öffnet) ausprobieren. Dafür mußt Du zwei verschiedenfarbige Würfel nehmen, sagen wir rot und blau. Wenn der blaue Würfel "ungerade" anzeigt, dann hat Dir der Junge die Tür geöffnet. Du wirst sehen, daß dann der rote Würfel gleichhäufig "gerade" (Mädchen) als auch "ungerade" (Junge) anzeigt.

Wenn Du Dich dann in der Praxis davon überzeugt hast, daß die Wahrscheinlichkeiten unterschiedlich sind - dann kannst Du, wenn Du willst, auch das "verstehen" suchen. Ich finde aber, es geht auch ohne... "Wissen" muß dann das "Verstehen" (unser Alltagsbewußtsein) ersetzen.

Aber eigentlich ist es gar nicht so schwer zu "verstehen". Es gibt:

Wenn Du jetzt die Kombination MM (Würfelwurf gerade/gerade) in der Statistik wegläßt, dann SIEHST Du doch schon, daß es die Kombination JJ EINMAL gibt, und ZWEIMAL ein JM bzw. MJ - es also doppelt so häufig als anderes Kind ein M als einen J gibt!

Und jetzt dasselbe, wenn Dir der Junge die Tür öffnet:

Jetzt mache Statistik, aber lasse alles weg, wo ein Mädchen die Tür öffnet. In zwei Fällen ist dann noch ein Junge in der Wohnung versteckt. Und in zwei Fällen ist dann noch ein Mädchen in der Wohnung! 2:2, damit gleichhäufig und gleichwahrscheinlich, daß das andere Kind ein Junge oder ein Mädchen ist.

Gruß Oliver,
der Dir dankbar ist für Deine Frage, denn ich habe jetzt gerade selber etwas mehr "verstanden". :-)


Geschrieben von stefan am 21. Juli 2005 16:40:35:

Als Antwort auf: Re: logik und "logik" geschrieben von Oliver Lenz am 21. Juli 2005 15:11:22:

Lieber Oliver,

mit Würfeln hat noch selten jemand was bewiesen!

Dein Modell hat nach meiner Auffassung einen logischen Denkfehler:

Das mit den Würfeln ist sicher richtig so. Aber Gott würfelt bekanntlich nicht! WEnn Du erst mit dem einen Würfel würfelst, und dann bei ungerade mit den anderen, dann bleibt es wieder bei 50%.

In Bezug auf die Familie scheidet der Fall 2 Mädchen ja aus, wenn die Eltern sagen, wir haben einen Jungen! (Genauso zählst die die Fälle 2 mal ungerade einfach nicht mit).

Zudem muss man es vielleicht genauer formulieren:

Wenn die Eltern sagen, wir haben 2 Kinder und einen Jungen, dann haben sie zu 100% wohl noch ein Mädchen. Aber so ist es ja wohl nicht gemeint! Wenn sie sagen, wir haben einen Jungen und ein weiteres Kind, dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen Jungen 50%. Nur darf man nun nicht hergehen und alle Familien durchforsten, die 2 Kinder haben, und nur jene zählen die Jungs haben. Da sieht das natürlich anders aus, da gebe ich Dir recht. Upps, es wird schwierig :-) . Das ist ja gerade der Unterschied zwischen Statistik und dem richtigen Leben!!! Im Einzelfall bleibt die Wahrscheinlichkeit aber bei 50% (so wie die Aufgabe gestellt ist). (wie erklärt). Übrigens habe ich auf ein altes Rätsel bei Jan gerade den Unterschied erklärt: ich glaube das hat genau damit zu tun.

http://f27.parsimony.net/forum67288/messages/15682.htm

Wenn ich Eltern frage: habt ihr einen Jungen, und sie sagen ja, dann sehe ich keinen Unterschied dazu, ob ich klingle und einer macht die Tür auf! In beiden Fällen bekomme ich dieselbe Menge an Information über die Wahrscheinlichkeit bzgl. des Geschlechts vom anderen Kind. Es lebt mindestens 1 Junge in der Familie! Ist das nicht logisch?

Ich denk nochmals drüber nach... wie man das anders erklären könnte... .

liebe Grüße

stefan


Geschrieben von Oliver Lenz am 21. Juli 2005 17:00:01:

Als Antwort auf: Re: logik und "logik" geschrieben von stefan am 21. Juli 2005 16:40:35:

He, he, wir reden über Logik und nicht über Sprachwissenschaft!

Wenn mir Eltern von zwei Kindern erzählen, sie haben einen Jungen, dann würde ich auch davon ausgehen, daß das andere Kind ein Mädchen ist (sonst hätten sie sicher gesagt: Wir haben zwei Jungs).

Aber unser Problem hat doch gar nichts mit der Umgangssprache zu tun! Und selbst dann: Rein formal können die Eltern von zwei Jungen doch auch sagen: "Wir haben einen Jungen" und würden damit keinesfalls lügen! Sie sagen doch nicht: "Wir haben _nur_ einen Jungen!"

Na, Schwamm drüber.

Vielleicht gefällt Dir dieses Modell besser:

Vor Deiner Tür hat ein Kinder-Second-Hand-Laden aufgemacht. Und wie Du Dich im Laden so umschaust, hörst Du Eltern zur Verkäufer sagen: "Wir haben zwei Kinder." und wenig später: "Wir brauchen Jungskleidung in der Größe 104."

Da hast Du ein praktisches Beispiel, wie Du zum Wissen kommen kannst, daß die Familie MINDESTENS EINEN Jungen hat.

Und in diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, daß das andere Kind ein Mädchen ist, doppelt so hoch, als daß das andere Kind auch ein Junge ist!

Was man leicht _beweisen_ kann. Probiere es aus!


Erste Veröffentlichung: 20.07.2005 Hinweise, Anmerkungen, Fragen? © 2005 Oliver Lenz
Letzte Änderung: 21.07.2005 Mail oder Gästebuch
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