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Statistik: Meine "Studien" mit Hilfe von Zufallszahlen

Ich habe Studien durchgeführt. ;-)

Und zwar habe ich die Medikamente gegen MS, die entweder bereits angewendet werden, oder gerade in der klinischen Prüfung (Phase II und III) sind, getestet.

Die Liste der Medis habe ich hier Jans Forum: http://f27.parsimony.net/forum67288/messages/15830.htm entnommen.

Weiter zur Liste der getesteten Medikamente.

Insgesamt sind das 60 verschiedene Therapien. Ich wollte wissen, wie wirksam die neuen Medikamente gegen die MS-typischen Läsionen im Kopf sind.

Einschlußkriterium meiner Studien war eine Läsionslast zwischen 0 und 3 cm³. (Ziemlich gekünsteltes Kriterium, aber meine Studien sind ja auch gekünstelt. Es geht ja um das Prinzip.)

Jede Studie hat mit 1000 Patienten stattgefunden. Dabei wurden jeweils 500 Patienten dem Behandlungsarm "Verum" und 500 dem Behandlungsarm "Placebo" zugeordnet. (Ethisch vertretbar, weil die Wirkwahrscheinlichkeit des neuen Medikaments und des Placebo gleich war.) Als "ordentliche" Studie war meine Studie "doppelblind", d. h. weder Patient noch der Arzt wußte, wer Placebo und wer das Verum erhielt.

Als Endpunkt in meinen Studien habe ich die Änderung der Größe der Läsionen im MRT gewählt.

Dazu stelle ich mir vor, daß sich die teilnehmenden Patienten zu Beginn der Studie und zum Ende in die "Röhre" gelegt haben. Die Bilder davor und danach wurden verglichen.

Es ergab sich, daß bei machen Patienten das Volumen der Läsionen zunahm, bei manchen gleich blieb und bei machen abnahm.

Da ich meine Studien mit vertretbaren Aufwand betreiben wollte, habe ich mir über www.random.org Zufallszahlen beschafft. Ich habe Serien von je 1000 Zufallszahlen zwischen 0 und 10000 generiert.

Das waren ordinale Zufallszahlen, d. h. die Zufallszahlen waren von 0-10.000 gleichverteilt. Aber von der Zunahme bzw. Abnahme der Läsionen würde man sicherlich eine Normalverteilung (Gaußkurve) erwarten.

Deswegen habe ich mit Hilfe der "Box-Muller-Methode" aus jeder 1000er-Serie ordinaler Zufallszahlen eine 500er-Serie normalverteilter Zufallszahlen erzeugt. Diese Gaußverteilungen waren um den Nullpunkt normalverteilt.

Somit lagen dann zur Auswertung 60 Studien mit je 500 Patienten in der Placebogruppe und 500 Patienten in der Verumgruppe vor.

Eine Studie sollte dann bejubelt werden, wenn eine signifikant besseres Abschneiden der Medikamentengruppe gegenüber der Placebogruppe gefunden wird. Die Signifikanzgrenze (der P-Wert) sollte wie üblich 0,05 (5%) betragen.

Erwartet habe ich, daß jede 20igste Studie aufgrund von statistischen Schwankungen aufzeigt, daß das "Medikament" signifikant besser wirkt als das Placebo. Also daß es eine signifikante Reduktion der Läsionslast bei der Medikamentengruppe gegenüber der Placebogruppe gibt.

Nun heißt das zwar, daß ich auf 60 Studien im Durchschnitt drei signifikante Studien erwarten durfte. Allerdings beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß ich unter den 60 Studien KEINE einzige signifikante Studie finde, auch immerhin 0,9560 = 0,048, d.h. ca. 5%. Nicht gerade klein!

Das ist aber nicht verwunderlich. Beim Würfeln beträgt der Anteil der Sechsen an den geworfenen Zahlen auch 1/6. Trotzdem beträgt das Risiko, bei 20 Würfen KEINE einzige Sechs zu würfeln, immerhin (5/6)20, das sind rund 3%!

Da das Auskommen der Patienten sowohl in der Placebo- als auch in der Medikamentengruppe durch Zufallszahlen bestimmt wurde, können wir getrost davon ausgehen, daß die Wirksamkeit von Placebo und von Medikament gleich war. ;-)

Die erste normalverteilte Reihe von Zufallszahlen stellte die Placebogruppe der ersten Studie dar. Die zweite Reihe die Verumgruppe der ersten Studie.

Die dritte Reihe dann die Placebogruppe der zweiten Studie. Die vierte Reihe war die Verumgruppe der zweiten Studie. Usw.


Die Ergebnisse

Meine 7. Studie ergab schon ein signifikantes Ergebnis. Allerdings zugunsten des Placebo. Während es in der Medikamentengruppe im Durchschnitt eine Vergrößerung der Läsionen um 2,2 mm³ gab, nahm die Läsionslast bei den Placebopatienten um 8,0 mm³ ab. Das Ergebnis war mit P=0,01 sogar hochsignifikant. Der Höchstwert der Abnahme bzw. Zunahme betrug übrigens -226 mm³ bzw. 220 mm³.

Auch meine 13. Studie ergab ein signifikantes Ergebnis, wieder zugunsten des Placebos. Und zwar war nahm unter Placebo die Läsionen um 2,3 mm³ ab und unter Verum um 6,8 mm³ zu. (P = 0,04).

Bei Studie 31 war das Ergebnis beinahe signifkant. Und zwar zugunsten des Verums! Unter Verum nahmen die Läsionen im Durchschnitt um 4,6 mm³ ab, während sie unter Placebo um 2,4 mm³ zunahmen. Leider betrug der P-Wert nur 0,1. Aber aus der Sicht des Pharmaunternehmens lohnt es sich sicherlich, die Studie zu wiederholen, oder die Studienteilnehmer auf "Responders" zu untersuchen. Ich komme darauf zurück.

Studie 38 war wieder signifikant. Leider auch zugunsten des Placebos. Unter Placebo nahmen die Läsionen um 4,8 mm³ ab, und unter Verum um 5,5 mm³ zu (P=0,02).

Studie 52 brachte dann endlich ein signifikant besseres Ergebnis zugunsten des Medikaments! Und zwar betrug die durchschnittliche Volumenabnahme unter Verum 3,9 mm³, während die Placebopatienten um 5,3 mm³ zulegten bei P=0,03. Endlich! Der Durchbruch ist geschafft! Ich diktiere jetzt mal die Pharmabroschüre:

Die Patienten hatten zu Beginn der Studie eine durchschnittliche Läsionsgröße von 1,5 cm³. Während im Beobachtungszeitraum unter Placebo die Läsionslast um 4% zunahm, sank die Läsionslast unter dem Medikament um 3%. Das Ergebnis war signifikant. Diese Senkung um fast 10% bedeutet einen bahnbrechenden Fortschritt bei der Behandlung der MS. Während bisherige Therapien sich entweder nur die Symptomatik der MS behandeltenm bzw. der Schubreduktion dienten, bedeutet unsere Therapie erstmalig einen Schritt zur _Heilung_ der MS (Abnahme der Läsionen)! Palaver, Palaver, Palaver, ...

Studie 55 ergab wiederum ein fast signifikantes Resultat zugunsten des Verums. Die Zunahme unter Placebo betrug 7,7 mm³, während unter Verum die Läsionen gleich blieben. Leider war P nur 0,1. Auch hier lohnt es sich sicherlich, nach Subgruppen zu suchen.

Studie 58 war wieder signifikant, leider auch zugunsten des Placebos. Unter Placebo nahmen die Läsionen um 6,8 mm³ ab, unter Verum um 2,2 mm³ zu (P=0,03).


Die Subgruppen

Ich habe nur in zwei Subgruppen unterteilt: Frauen und Männer. Da ja MS zu 2/3 an Frauen diagnostiziert wird, habe ich von den jeweils 500 Patienten einfach die ersten 330 zu Frauen erklärt und die letzten 170 zu Männern. Was ergab sich?

Frauen

Studie 6 war auch bei der Subgruppe der Frauen signifikant (P=0,03), wiederum zugunsten des Placebo.

Studie 14 war bei den Frauen signifikant zugunsten des Verums! Bei Frauen nahmen die Läsionen um 13 mm³ ab, während unter Verum die Läsionen nur um 2,5 mm³ abnahmen (P=0,05). Ein Medikament nur für Frauen?

Studie 28 war bei Frauen mit P=0,08 fast signifikant. Aber zugunsten des Placebos.

Studie 38 war bei Frauen mit P=0,01 sogar hochsignifikant! Die Abnahme unter Verum betrug 5,8 mm³, während die Medikamentengruppe um 7,4 mm³ zulegte. Noch ein Medikament nur für Frauen!

Studie 51 war mit P=0,12 dicht an der Signifikanzgrenze zugunsten des Medikaments.

Der Hoffnungsträger Studie 52 hat bei Frauen versagt. P=0,18! Die Zunahme bei Placebo betrug 2 mm³, die Abnahme bei Verum 5 mm³. Aber der P-Wert... Ach, das sagen wir niemanden!

Studie 58 war auch für Frauen signifikant zugunsten des Placebos. P=0,04.

Die Männer

Bei Studie 7 ist mit P=0,04 das Medikament wirksamer als das Placebo! Die Läsionen nehmen bei Placebo um 13 mm³ zu, bei Verum aber um 3 mm³ ab! Bei Frauen war hingegen das Verum schlechter als das Placebo. Vielleicht hat diese unterschiedliche Wirkung mit den Hormonen zu tun? Es gibt ja auch Medikamente, die nur bei Frauen wirken (siehe oben).

Studie 9 ist hochsignifikant besser zugunsten des Placebo. Placebopatienten haben eine Reduktion um 11 mm³, Varumpatienten eine Zunahme um 6 mm³ (P=0,01).

Studie 15 ist fast signifikant zugunsten des Varums. Zunahme unter Placebo: 8 mm³, Abnahme unter Verum: 5 mm³ (P=0,08). Man sollte Subgruppen der Männer bilden...

Studie 29 ist nur bei Männern signifikant zugunsten des Varums. Zunahme bei Placebo: 9 mm³. Abnahme bei Verum: 5 mm³ (P=0,04).

Studie 52: Leider bei Männern nicht ganz signifikant. Placebo nahm um 12 mm³ zu, Varum um 2 mm³ ab (P=0,06). Wie geht denn das? Studie 52 ist sowohl bei den Männern, als auch bei den Frauen nicht signifikant. Aber alles in einen Topf geworfen, dann doch?? Ja, sowas gibt es. :-(. Siehe z. B. Simpsons Paradoxon.

Studie 53 ist bei Männern signifikant zugunsten des Placebos: P=0,03.


Die Berechnung

Wie das alles von mir im einzelnen berechnet wurde, läßt sich der Datei studienstatistik.xls.gz bzw. studienstatistik.xls.zip entnehmen. Bevor sich die jemand runterlädt: Die Datei ist gezipt und 2,5 MByte groß. (Anmerkung: die Datei wurde mit OpenOffice erstellt.)

In der Datei steht alles: Wie ich wann welche Berechnungen durchgeführt habe. Einfach von Tabellenblatt 1 (die Rohdaten) bis zum letzten Tabellenblatt (die Ergebnisse) entlanghangeln. Extra Kommentare habe ich aber nicht eingefügt. Sorry.

Wer Lust hat, kann ja weitere Subgruppen bilden. Die Patientengruppen einfach mal in vier Teile teilen! Der erste Teil ist im Frühling geboren, der zweite im Sommer, der dritte im Herbst und der vierte im Frühling. Da lassen sich gewiß interessante Zusammenhänge finden!

Vielleicht auch in zwölf Teile teilen: Für jedes Sternzeichen eine.

Signifikante Daten lauern überall in Hülle und Fülle. Ein bißchen "Datamining" bringt sie ans Licht. ;-) Naja, in guten Studien gibt es ja kein Datamining. Nicht wahr, ihr "Responder"?


Erste Veröffentlichung: 26.08.2005 Hinweise, Anmerkungen, Fragen? © 2005 Oliver Lenz
Letzte Änderung: 26.08.2005 Mail oder Gästebuch
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