Antrag auf einstweilige Anordnung vom 21.10.15

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Rechtsanwalt
Dr. phil. Falko Drescher
Helene-Lange-Str. 8
14469 Potsdam

Sozialgericht Potsdam
Rubensstraße 8
14467 Potsdam

Potsdam, den 21.10.2015
Mein Zeichen: 087-15-D

Antrag gem. § 86b SGG

des Herrn Oliver Lenz, Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam

- Antragsteller -

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Falko Drescher, Helene-Lange-Str. 8, 14469 Potsdam

gegen

die Landeshauptstadt Potsdam, vertreten durch den Fachbereich Soziales und Gesundheit, Hegelallee 6-8, 14469 Potsdam

- Antragsgegnerin -

wegen: Leistungen nach § 57 SGB XII.

Namens und in Vollmacht des Antragstellers beantrage ich,

Inhaltsverzeichnis

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache einen monatlichen Betrag für das persönliche Budget i.H.v. 8532,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes) zu bewilligen und auszuzahlen.

Des Weiteren bitte ich um Entscheidung über den Antrag,

dem Antagsteller Prozesskostenhilfe unter meiner Beiordnung zu bewilligen.

Dieser ist nicht in der Lage, die Kosten des Verfahrens aufzubringen. Insoweit wird auf die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (die bereits im Hauptsacheverfahren S 20 SO 3/15 mit Schriftsatz vom 24.09.2015 übersandt wurde) verwiesen. Der Antrag bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Begründung:

Der Kläger leidet an multipler Sklerose und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Er hat die Pflegestufe "3 plus". Der Grad der Behinderung beträgt 100. Zudem wurden die Merkzeichen G, aG, B, H und RF zuerkannt.

Mit Bescheid vom 17.07.2014 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII in Form eines Persönlichen Budgets ab. Stattdessen wurden Sachleistungen bewilligt, da der Hilfebedarf hierdurch wirksamer und wirtschaftlicher zu decken wäre. Die Antragsgegnerin meint, die Leistungserbringung stünde "im pflichtgemäßen Ermessen".

Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 09.08.2014 Widerspruch. Diesen wies die Beklagte

Muß "Antragsgegnerin" heißen

mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2014 zurück. Insbesondere problematisierte sie "Mängel an der Klarheit, Übersichtlichkeit und Schlüssigkeit in der Nachweisführung" zu dem bisher bewilligten Budget. Daraufhin erhob der Antragsteller mit Schriftsatz vom 29.12.2014 Klage (Az.: S 20 SO 3/15).

Parallel hierzu wurde ein Eilverfahren (Az.: S 20 SO 40/15 ER) geführt. Hierbei betonte die Antragsgegnerin, dass nur Pflegesachleistungen sowie "Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Umfang von 5 Stunden und 30 Minuten wöchentlich" zu gewähren seien. Sie behauptete eine "unzureichende Pflege", das "Nichtvorhandensein von Pflegehilfsmitteln" und die Verletzung von "Arbeitgeberpflichten gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung,

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der Unfallversicherung, der Bundesknappschaft und dem Finanzamt". Sie meint, ihr stünde Ermessen zu, wobei "als zentrale ermessenslenkende Norm § 9 Abs. 2 SGB XII zu beachten" sei, wonach es auf die Angemessenheit der Vorstellungen des Leistungsberechtigten ankäme. Desweiteren ging sie davon aus, dass "eine nächtliche Betreuung überflüssig" sei. Sie favorisierte drei Einsätze täglich zu je vier Stunden. Im Erörterungstermin am 16.04.2015 wurde eine Vergleichsmöglichkeit von ihr verneint. Ebenso wurde eine Gewährung der Leistungen in Budgetform auch für den Fall, dass die Nachweisführung neu organisiert wird, ausgeschlossen. Durch ein gerichtlich in Auftrag gegebenes Gutachten vom 27.05.2015 wurde festgestellt, dass geeignete Pflegehilfsmittel vorhanden sind, ein "sehr guter Pflegezustand" vorliegt, "drei Einsätze á vier Stunden (…) völlig unhaltbar" wären und "innerhalb kürzester Zeit zu massiven Pflegedefiziten und damit gesundheitlichen Schäden führen" würden. (Zu dem Risiko gesundheitlicher Schäden hatte die Beklagte im Erörterungstermin ernsthaft angemerkt, das die "Pflegedienste ja gut versichert sind".)

Der Gutachter gestattete sich überdies "folgende Anmerkungen:

  • Da es keine Hinweise gibt, dass die Pflege defizitär ist, ist in Anbetracht des objektivierbaren Assistenzbedarfs des Antragstellers kaum vorstellbar, dass das ausgereichte Budget in wesentlichen teilen zweckentfremdet verwendet werden kann.
  • Die Höhe des ausgereichten Budgets von 7000 EUR monatlich ergibt bei einer 24-stündigen Versorgung rein rechnerisch einen Stundenlohn von 9,72 EUR brutto und ist damit bereits allenfalls grenzwertig ausreichend, die teilweise körperlich schweren, aber auch sonst anspruchsvollen Hilfeleistungen angemessen zu vergüten.
  • Eine Versorgung durch einen professionellen Dienstleister wie z.B. Ambulante Dienste e. V. würde etwa 20 EUR/Stunde (bei 24 Stunden = 14.400 EUR/Monat) kosten."

Die Ablehnung der Antragsgegnerin hat sich trotzdem sogar noch weiter verhärtet. Sie weigert sich aktuell bereits, die in der Budgetordnung vorgesehene Budgetkonferenz durchzuführen.

Die Haltung der Antragsgegnerin führte schon in der Vergangenheit regelmäßig zu Rechtsstreitigkeiten (vgl. die Verfahren mit den Aktenzeichen S 20 SO 33/13 ER, S 20 SO 67/13 ER, S 20 SO 144/13, S 20 SO 117/14 ER, S 20 SO 126/14 ER, S 20 SO 2/15 ER, S 20 SO 3/15 ER, S 20 SO 5/15 ER, S 20 SO 19/15 ER, L 15 SO 121/15 B ER, S 20 SO 40/15 ER, L 15 SO 151/15 B ER und S 20 SO 75/15 ER), S 20 SO 82/15 ER), in denen sie mit ihrer Argumentation nicht durchdringen konnte.

Zudem wurde die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 25.08.2015 (Az.: S 20 SO 40/15 ER) verpflichtet, dem Antragsteller bis November 2015 monatlich einen Betrag für das persönliche Budget i.H.v. 7000,00 € zu zahlen.

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Im Hauptsacheverfahren S 20 SO 3/15 hatte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 15.10.2015 angeregt, dass Die Beklagte den Anspruch anerkennt bzw. - zur Vermeidung immer weiteren gerichtlichtlichen Streits - zumindest eine vorläufige Bewilligung vornimmt oder Vorschusszahlungen gem. § 42 SGB I leistet.

Die Antragsgegnerin hat hierauf leider in keiner Weise reagiert.

Das Verhalten der Antragsgegnerin ist rechtswidrig. Der Antragsteller hat gemäß § 57 SGB XII i.V.m. § 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX einen Anspruch auf die Mittel für das Persönliche Budget.

Diesbezüglich kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen. Diese ist zur Regelung des eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Insofern steht dem Antragsteller sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund zur Seite.

Die Antragsgegnerin verkennt leider die gesetzliche Zielrichtung, die mit der Einführung Persönlicher Budgets verfolgt wird. Dabei hat der Gesetzgeber als Verdeutlichung und "Merkhilfe" in § 17 Abs. 2 SGB IX" ausdrücklich notiert, dass das Persönliche Budget dazu dient, "den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen".

Des Weiteren scheint der Antragsgegnerin nicht bekannt zu sein, dass Persönliche Budgets gemäß § 17 Abs. 3 SGB IX "in der Regel als Geldleistung ausgeführt" werden. (Sie konnte in noch keinem Verfahren nachvollziehbar darlegen, warum sie so vehement auf Sachleistungen beharrt.)

Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erläutert die Rechtslage wie folgt:

Menschen mit Behinderung sind Expertinnen und Experten in eigener Sache. Die meisten können selbst am besten entscheiden, wer ihnen beim Leben in der eigenen Wohnung oder beim Konzertbesuch helfen soll. Sie wissen, welcher Sprachcomputer für sie sinnvoll und welcher Rollstuhl nützlich ist. Um ihnen in solchen Bereichen Wahlfreiheit zu geben, gibt es das Persönliche Budget. (…) Statt festgelegter Sach- und Dienstleistungen erhalten sie Geld oder Gutscheine. (…) Das Persönliche Budget löst das bisherige Dreieck zwischen Leistungsträger, Leistungsempfänger oder Leistungsempfängerin und Leistungserbringer auf; Sachleistungen werden durch Geldleistungen oder Gutscheine ersetzt. Für ein Persönliches Budget müssen Menschen mit Behinderung einen entsprechenden Antrag beim Leistungsträger stellen. Seit 1. Januar 2008 besteht auf Leistungen in Form des Persönlichen Budgets ein Rechtsanspruch. Das bedeutet, dass dem Wunsch- und Wahlrecht der potentiellen Budgetnehmer und Budgetnehmerinnen in vollem Umfang entsprochen wird und bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen grundsätzlich alle Anträge auf Bewilligung von Persönlichen Budgets zu genehmigen sind." (http://www.bmas.de/DE/Service/Publikation/a722-persoenliches-budget-broschuere.html)

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Die Antragsgegnerin ignoriert dies jedoch und möchte den Antragsgegner

muss Antragsteller heißen

- was sie immer wieder zum Ausdruck gebracht hat - sogar in eine Einrichtung drängen (also das Gegenteil von weitgehender Selbstbestimmung erreichen).

Die schließende Klammer gehört sicherlich nach dem Wort "Selbstbestimmung".

Gemäß § 159 Abs. 5 SGB IX sind die Leistungen auf Antrag durch ein Persönliches Budget auszuführen. Es besteht also ein Rechtsanspruch. Die Antragsgegnerin geht insofern bereits grob irrig davon aus, dass sie stattdessen ein frei ausübbares Ermessen hätte und sogar befugt wäre, eine den Anspruch einschränkende "allgemeine Angemessenheit" zu prüfen, wobei sie sich auch noch eine Kompetenz zur Prüfung der Eignung des Budgets zuschreibt und demgemäß eine intensive Kontrolle der - von ihr selbst kreierten - "Budgetfähigkeit" vornimmt.

Die Antragsgegnerin hat breit gefächerte "Bedenken" (insbesondere Pflegemängel, fehlende Hilfsmittel, Verstoß gegen Arbeitgeberpflichten, stark verminderter Assistenzbedarf, Nachweismängel) entwickelt.

Es dürfte aufgrund des Gutachtens vom 27.05.2015 aber mittlerweile unstrittig sein, dass ein Assistenzbedarf von 24h/Tag (und nicht etwa von lediglich 3 x 4h) besteht. Ebenso wurde nachgewiesen, dass keine Pflegemängel vorliegen. Überdies wurde die Behauptung, es fehle an Pflegehilfsmitteln widerlegt. Und sofern eine Verletzung von Arbeitgeberpflichten vorliegen sollte, wäre dies allein darauf zurückzuführen, dass die Budgetleistungen von der Antragsgegnerin unpünktlich und in zu geringer Höhe geleistet wurden. Die Antragsgegnerin verwechselt also Ursache und Wirkung.

Hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der Nachweise über die Mittelverwendung wird daran erinnert, dass die Unterlagen zumindest seit Mai 2015 sogar monatlich und auch in betont übersichtlicher Weise vorgelegt wurden.

Die Antragsgegnerin hat ohnehin schon eine falsche Herangehensweise, da sie mit ihrer immensen "Prüfungstiefe" die Anforderungen an die Nachweisführung bei weitem überspannt. Diese soll gerade nicht zu einer zusätzlichen und aufwändigen Belastung ausarten. "Ausreichend ist eine Ergebnisqualitätskontrolle. Die Ausgestaltung der Nachweise sollte in einer einfachen und unbürokratischen Form ('so wenig wie möglich, so viel wie nötig') abhängig von der Art der Leistung und dem Bedarf stattfinden. Auf diese Weise soll auch die Bereitschaft des Budgetnehmers oder der Budgetnehmerin zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmung gestärkt werden".

Hinweis des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales - http://www.einfach-teilhaben.de/DE/StbS/Finanz_Leistungen/Pers_Budget/pers_budget_note#doc276668bodyText6

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Zur Berechnung der Höhe des Budgets wird darauf verwiesen, dass - wenigstens - der Mindestlohn zu zahlen ist, so dass voraussichtliche Kosten i.H.v. monatlich etwa 9260,00 € entstehen (vgl. Anlage). Unter Anrechnung des Pflegegeldes von 728,00 € verbleibt ein Bedarf i.H.v. 8532,00 €.

Die Angelegenheit ist auch besonders eilbedürftig, da schon mit Ablauf des Monats November 2015 die Versorgung des Antragstellers nicht mehr gewährleistet ist.

Wegen weiterer Glaubhaftmachungen, die eventuell noch erforderlich sind, wird auf die umfangreichen Unterlagen verwiesen, die dem Gericht bereits in den weiteren Verfahren vorliegen.

Eine beglaubigte Abschrift habe ich beigefügt.

gez.
Rechtsanwalt


Anlage zum Antrag_auf_einstweilige_Anordnung_vom_21.10.15

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