Beschluss des SG vom 26.05.16

Aus cvo6
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Sozialgericht Potsdam

Az.: S 20 SO 16/16 ER

Inhaltsverzeichnis

Beschluss

In dem Rechtsstreit

Oliver Lenz,
Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam
Prozessbevollmächtigte/r:
Rechtsanwalt Dr. phil. Falko Drescher,
Helene-Lange-Straße 8, 14469 Potsdam

- Antragsteller -

gegen

Landeshauptstadt Potsdam
vertreten durch Fachbereich Soziales
Gesundheit und Umwelt
der Landeshauptstadt Potsdam,
Hegelallee 6-8, 14469 Potsdam,
Az.: 3812

- Antragsgegnerin -

hat die 20. Kammer des Sozialgerichts Potsdam

am 26. Mai 2016

durch die Richterin am Sozialgericht H.,
b e s c h l o s s e n :

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  1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragssteller unter rechnerischer Berücksichtigung der bislang bewilligten Leistungen von monatlich 8.066,76 € ab dem 1. Februar 2016 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Oktober 2016, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 8.500,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes) zu bewilligen und auszuzahlen.
  2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu erstatten.
  3. Dem Antragsteller wird ab dem 1. Februar 2016 Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz beim Sozialgericht Potsdam - ohne Zahlung von Raten - unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Falko Drescher aus Potsdam bewilligt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets zur Deckung der Assistenzkosten des von ihm durchgeführten Arbeitgebermodells.

Der 50-jährige Antragsteller, von Beruf Dipl.-Ing. für Maschinenbau, bezieht krankheitsbedingt eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Ich beziehe eine volle Erwerbsminderungsrente! Erwerbsunfähigkeitsrente gibt es seit 1.1.2000 nicht mehr!

Er leidet an einer Form der multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderung der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Missempfindungen und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Er ist häufig schnell erschöpft und müde. Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Antragsteller nicht laufen kann, mit seinen Armen und Händen letztlich keinerlei Gegenstände - vor allem filigrane wie Zahnbürsten u.ä. - halten kann. Dies führt dazu, dass er wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit mehrfach am Tage Ruhezeiten einlegen muss. Zwischenzeitlich ist er ausweislich der der Feststellungen des Gutachters Dr. J. vom 27. Mai 2015 (Bl. 165 ff. der Gerichtsakte - GA - S 20 SO 40/15 ER) auch nicht mehr nennenswert in der Lage, zumindest teilweise selbständig zu essen und zu trinken; für ihn müssen abgesehen von der untergeordneten Eigenleistungen (z.B. tagesformabhängiges Zurechtrücken einer auf dem Tisch stehenden Tasse und durch Vornüberbeugen des

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Kopfes mögliches Trinken aus einem Trinkhalm sowie Ausüben von einigen Drehbewegungen der auf dem Schoß liegenden Kaffeemühle in der Horizontale etc.) dem Grunde nach sämtliche Tätigkeiten zur Bewältigung des Alltags einschließlich der pflegerelevanten Tätigkeiten stellvertretend erledigt werden. Die Durchführung der erforderlichen pflegerischen Maßnahmen ist durch häufig auftretende Spastiken bei der Berührung erschwert. Eine Fortbewegung des Antragstellers ist nur mittels eines Rollstuhls möglich.

Das Landesamt für Soziales und Versorgung erkannte dem Antragsteller einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit dem Merkzeichen aG, G, B, H und RF zu. Die zuständige Pflegekasse (Techniker Krankenkasse) gewährt ihm entsprechend des

MDK-Gutachtens vom 12. August 2013 Leistungen der Pflegestufe III. Dabei wurde der Pflegeaufwand für Körperpflege von 158 Minuten pro Tag, für Ernährung von 77 Minuten pro Tag und für Mobilität von 251 Minuten pro Tag, insgesamt für grundpflege von wöchentlich 56,70 Stunden und für Hauswirtschaft von 23 Stunden, somit 79,70 Stunden wöchentlich, festgestellt. Das Pflegegeld von monatlich 728,00 € wird direkt an den Antragsteller ausgezahlt.

Mittlerweile geht das Pflegegeld an die LH Potsdam.

Ungeachtet seiner erheblichen körperlichen Einschränkungen nimmt der Antragsteller unverändert wie auch in der Vergangenheit aktivam gesellschaftlichen Leben teil: Er geht zur "Go-Arbeitsgemeinschaft" in der Montessori-Schule, dem "Go-Klub" im Neuen Palais (Mittwoch) und in Spandau (Donnerstag), nimmt Bewegungsbäder, singt im Hans-Beimler-Chor in Berlin, macht Zen-Meditaion und verabredet sich abends zum geselligen Beisammensein (u.a. Behindertenstammtisch, Stammtisch vom Freifunk Potsdam). Zudem ist er jeweils im Vorstand des Mietervereins Potsdam und des Fördervereins der Montessorischule Potsdam aktiv.

Im Vorstand des Fördervereins der Montessorischule Potsdam bin ich nicht mehr. Dafür seit 3/2015 Schatzmeister beim Hans-Beimler-Chor.

Der Antragsteller stellte erstmals am am 20. Juli 2011

Das Schreiben von mir war vom 18. Juli 2011

bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Assistenzkosten in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Seither ist zwischen den Beteiligten trotz diverser Fallkonferenzen, Erörterungen zum bestehenden Hilfebedarf und zahlreicher Entscheidungen der Kammer die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Leistung streitig, wobei die Antragsgegnerin im Verfahren S 20 SO 40/15 ER zusätzlich noch in Frage gestellt hatte, ob dieser überhaupt einer 24-stündigen Assistenz bedarf. Dazu hatte die Kammer in dem genann-

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ten Verfahren in Absprache mit den Beteiligten ein medizinisches Sachverständigengutachten des freiberuflichen sozialmedizinischen Gutachters (Schwerpunkt SGB V, XI und XII) Dr. med. J. mit folgenden Fragen eingeholt:

  1. ) Verfügt der Antragsteller über ein bedarfsgerechtes (behindertengerechtes) Bett? Ist dieses z.B. auch mit einer sog. Wechseldruckmatratze oder ähnlich geeigneten Matratze ausgestattet?
  2. ) Sind beim Antragsteller Mängel in der Pflege erkennbar?
  3. ) Für wieviele Stunden täglich benötigt der Antragsteller an Pflege und Betreuung (Assistenz)? Kann sich bei einer von der Antragsgegnerin angestrebten Reduzierung der Pflege- und Betreuungszeiten eine Gefahrensituation für den Antragsteller ergeben, oder ist eine ununterbrochene Anwesenheit notwendig? Können die benötigten Stunden für Pflege und Betreuung z.B. durch andere Hilfsmittel (Notfallknopf, Windeln, Rollstuhlhaltesystem etc.) zumutbar reduziert werden? Ggf. in welchem Umfang?
  4. ) Gibt es in der Wohnung des Antragstellers einrichtungstechnische Gegebenheiten, die die Ausführung der pflegerischen Verrichtungen behindern oder verhindern bzw. den Antragsteller in seiner Selbstständigkeit hindern?
  5. ) Wirken sich die umfangreichen und zeitintensiven Freizeitaktivitäten (z.B. mehrstündige/mehrtägige Go-Turniere) positiv oder negativ auf das Krankheitsbild des Antragstellers aus bzw. beeinflussen diese den körperlichen Zustand des Antragstellers nicht?
  6. ) Wäre eine stundenweise Abwesenheit des Assistenten zumutbar und eine hierdurch entstehende Ruhepause dem Gesundheitszustand des Antragstellers dienlich?

Der Sachverständiger erstattete dem Gericht das Gutachten nach vorheriger Begutachtung des Antragstellers in der Häuslichkeit unter dem 27. Mai 2015. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Gutachters wird auf Bl. 165 ff. GA S 20 SO 40/15 ER Bezug genommen. Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK vom 12. August 2013 hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls erfüllt seien. Zur Frage des benötigten Assistenzbedarfes hat er folgendes ausgeführt:

"Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass der Antragsteller einer lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass

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er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.

Die Stunden können nicht reduziert werden, etwa durch Einsatz eines Notfallknopfes, Windeln oder eines Rollstuhlhaltesystems. Verzögerungen der erforderlichen Hilfestellungen, z.B. bei einschießender Spastik oder auch nur banale Hilfestellungen wie Naseputzen, weil erst Hilfe (von außerhalb) herbeigerufen werden muss, sind unzumutbar. Abgesehen davon sehen die gängigen Hausnotrufverträge ausdrücklich keine pflegerischen Hilfen vor, sondern lediglich Notfälle. Ebenso ist der Einsatz von Windeln bei einer ansonsten nicht inkontinenten und zudem hochgradig intertrigogefährdeten Patienten unzumutbar.

Diesem Assistenzbedarf ordnen sich die sonstigen Einzelbedarfe quasi unter: Wie hoch auch immer der grundpflegerische Hilfebedarf gem. SGB-XI-Gutachten, Hauswirtschaft und Teilhabe am Leben sein mag bzw. bewertet wird, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller aus o.g. Gründen einer 24-stündigen Assistenz bedarf.
Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sei, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer "angemessene" Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden "Topf" ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.
Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu den Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf von mehr als 24 Stunden/Tag resultieren würde."

Die Kammer geht davon aus, dass die Antragsgegnerin zwischenzeitlich den 24-stündigen Hilfebedarf des Antragsstellers nicht mehr in Frage stellt. Den Beschlüssen der Kammer vom 25. August 2015 griff sie jedenfalls - entgegen den vorherigen Absprachen mit den Beteiligten, die darauf gerichtet waren, eine Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg herbeizuführen - nicht an.

In der Vergangenheit war das Verhältnis zwischen den Beteiligten in untunlicher Weise erheblich belastet und nach der Einschätzung der Kammer teilweise auch nicht mehr in hinreichender Weise von der gebotenen Sachlichkeit geprägt. Grund hierfür dürfte im Wesentlichen sein, dass der Antragsteller in der Vergangenheit neben den diversen gerichtlichen Auseinandersetzungen auch tatsächliche oder vermeintliche Hilfe durch politische Gremien gesucht hatte, die Verfahrensbevollmäch-

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tigten des Antragstellers häufig wechselten und die Kommunikation insgesamt zwischen einzelnen "Akteuren" der Beteiligten wegen der dem Antragsteller vorgeworfenen fehlenden transparenten und schlüssigen Nachweisführung der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel und der in der Vergangenheit aufgelaufenen Schulden gegenüber dem Finanzamt, den Krankenversicherungen, der Knappschaft und dem Sozialversicherungsträger nicht störungsfrei verlief.

Daneben ist der Antragsteller seit einiger Zeit mit zivilrechtlichen Verfahren belastet, weil ihm der Vermieter wegen Eigenbedarfs gekündigt hat. Eine abschließende Entscheidung hat das Landgericht Potsdam - soweit ersichtlich - bislang nicht getroffen.

Dieser Vorgang steht hier: Meine_Wohnung

Mit einem ersten Bescheid vom 23. Februar 2012 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ab dem 1. Februar 2012 Leistungen in Form des persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell von 1.469,53 €. Die nachfolgenden Bewilligungsbescheide und geführten Auseinandersetzungen hat die Kammer vor allem im Beschluss vom 21. Oktober 2013 zum Aktenzeichen S 20 SO 67/13 ER zusammengefasst, auf den Bezug genommen wird. Dort hatte das Gericht die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Juli 2014, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 6.500,00 € zu bewilligen und auszuzahlen.

Mit Vergleichsbeschluss der Kammer vom 7. April 2014 haben die Beteiligten für die Vergangenheit sodann einen Vergleich, wonach sich die Antragsgegnerin verpflichtet hatte, dem Antragssteller für den Zeitraum vom August 2012 bis einschießlich Februar 2013 ein persönliches Budget von insgesamt 2.800,00 Euro monatlich unter Anrechnung des jeweils bislang gezahlten Betrages von 2.373,14 Euro zzgl. des Pflegegeldes von 700,00 Euro zu bewilligen und zu zahlen.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2014 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragssteller für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2014 ein persönliches Budget. Eine Zielvereinbarung schlossen die Beteiligten für diesen Zeitraum nicht mehr ab, weil die Antragsge-

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gnerin diese nicht unterzeichnete. Stattdessen bewilligte diese dem Antragssteller mit Bescheid vom 17. Juli 2014 zur Deckung des Pflege- und Eingliederungshilfebedarfs für den Zeitraum ab dem 1. August 2014 Sachleistungen, zahlte ihm allerdings bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens die Leistungen in Form des persönlichen Budgets weiter. Den gegen den Bescheid vom 17. Juli 2014 erhobenen Widerspruch (fehlt teilw.) wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2014 zurück. Über die am 5. Januar 2015 erhobene Klage zum Aktenzeichen S 20 SO 3/15 hat das Gericht noch nicht entschieden, sämtliche andere gerichtliche Verfahren, die in diesem Zeitraum zwischen den Beteiligten mit unterschiedlichen Zielsetzungen geführt waren, sind zwischenzeitlich abgeschlossen.

So hatte der Antragssteller im Februar 2015 zum Aktenzeichen S 20 SO 19/15 ER einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Weitergewährung der Leistungen für das persönliche Budget gestellt. Im Rahmen der dazu geführten Erörterungen hatte die Kammer erhebliche Zweifel, dass der von der Antragsgegnerin für die Leistungserbringen in Form der Sachleistungen in Aussicht genommene Dienstleister, die Einzelfallhilfe-Manufaktur e.V., dazu berechtigt ist. Gleichwohl hatte der Antragsteller am 17. Februar 2015 sein Einverständnis zur Übertragung der Budgetverantwortung auf diesen Verein erklärt, da dieser einen erheblichen Teil der vom Antragsteller bislang angestellten Personen mangels eigenen Personals übernehmen wollte. Sodann erklärte der Verein, der zuvor als monatlichen erforderlichen Gesamtbetrag für das Budget mindestens 8.500,00 € kalkuliert hatte, nur die Eingliederungshilfeleistungen, nicht aber die pflegerischen Leistungen im Rahmen des trägerübergreifenden persönlichen Budgets zu übernehmen. Das Vertragsverhältnis kam somit nicht zustande. Daraufhin nahm die Antragsgegnerin mit der Pflegestation "Am Luisenplatz" Kontakt auf, damit diese ab Anfang März 2015 die Leistungen entsprechend des letzten MDK-Gutachtens erbringt.

Mit Beschluss vom 27. Februar 2015 verpflichtete die Kammer die Antragsgegnerin im Verfahren S 20 SO 19/15 ER, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis einschließlich 31. März 2015 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 7.000,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes von 700,00 € [richtig wäre allerdings

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728,00] zu bewilligen und auszuzahlen. Die dagegen von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde verwarf das LSG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 7. Mai 2015 als unzulässig (L 15 SO 121/15 B ER).

Auf seinen erneuten Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Weitergewährung des persönlichen Budgets im Verfahren S 20 SO 40/15 ER verpflichtete die Kammer die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 25. August 2015, dem Antragsteller unter rechnerischer Berücksichtigung der aufgrund der Hängebeschlüsse der Kammer vom 28. April 2015 und 26. Juni 2015 bereits ausgezahlten Beträge ab dem 1. April 2015 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. November 2015, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 7.000,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes von 728,00 €) zu bewilligen und auszuzahlen.

Schließlich schlossen die Beteiligten zum Verfahren S 20 SO 155/15 ER, dass der Antragsteller im Oktober 2015 ebenfalls mit dem Ziel der Verpflichtung zur vorläufigen Bewilligung von Leistungen i.R.d. persönlichen Budgets in Höhe von 8.532,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes) geführt hatte, am 2. Dezember 2015 einen Vergleich. Darin erkannte die Antragsgegnerin den Anspruch des Antragstellers auf die Gewährung eines persönlichen Budgets in Form des Arbeitgebermodells für Dezember 2015 teilweise in Höhe von 7.184,58 € (7.912,58 € abzüglich 728,00 €) und weiterführend ab Januar 2016 unter Berücksichtigung der Änderungen in der ab dem 1. Januar 2016 gültigen Pflegearbeitsbedingungsverordnung und der Änderungen der Sozialversicherungsbeiträge an. Der Antragsteller verpflichtete sich zum Abschluss einer entsprechenden Zielvereinbarung. Die Beteiligten waren sich gem. Ziffer 4. des Vergleichs darüber einig, dass der Abschluss der Zielvereinbarung keine Bindewirkung für die endgültige Höhe des persönlichen Budgets enthält.

Am 22. Januar 2016 fand zwischen den Beteiligten sowie unter Beteiligung der Techniker-Krankenkasse ein Budget-Gespräch statt. Wegen der Einzelheiten dazu wird auf Bl. 30 ff. GA verwiesen.

Derzeit erbringt die Antragsgegnerin an den Antragsteller Leistungen in Form des persönlichen Budgets von 8.066,76 €. Dabei legt sie auf Anregung des Gerichts in

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der letzten mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2015 jedenfalls 18 Stunden Arbeitszeit und 6 Stunden sog. „aktive Bereitschaftszeit” mit einem Anteil an Arbeitsleistung in Höhe von 70 % zugrunde. Am 11.Februar 2016 unterzeichnete der Antragsteller eine Zielvereinbarung mit der Antragsgegnerin mit einer Gültigkeit für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016.

Der Antragsteller hat am 1. Februar 2016 erneut einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung gestellt. Mit dieser verfolgt er sein Begehren auf Gewährung höherer Leistungen im Rahmen des ihm derzeit gewährten persönlichen Budgets weiter. Er macht geltend: Das Vorgehen der Antragsgegnerin, die Leistungen in Arbeitszeit und aktive Bereitschaftszeit zu unterteilen, sei unzulässig. Der tatsächliche Aufwand von sechs Stunden werde auf diese Weise fiktiv reduziert, so dass nur 4,2 Stunden bezahlt würden. Auf diese Weise werde der Mindestlohn unterschritten. Die Regelungen der 2. Pflegearbeitsbedingungsverordnung würde für ihn nicht gelten. Insbesondere führe er keinen Pflegebetrieb. Die Sache sei auch eilbedürftig, weil er andernfalls seinen Mitarbeitern den Lohn schuldig bleibe. Dadurch würden jedenfalls Kündigungen von Assistenzkräften und auch Lohnklagen beim Arbeitsgericht provoziert. Zudem führe die Unterdeckung des Budgets insbesondere bei dem Finanzamt und den Krankenkassen zu Schulden; konkrete Vollstreckungsmaßnahmen würden anstehen. Überdies drohen ihm Bußgelder.

Er beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens den Differenzbetrag für das persönliche Budget, der sich aus dem anerkannten monatlichen Betrag i.H.v. 8.066,76 € und dem Betrag, der sich unter Berücksichtigung der Musterkalkulation der Antragsgegnerin - jedoch ohne Abschläge bei der Nachtarbeit - ergibt, vorläufig zu bewilligen und auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie macht im Wesentlichen geltend: Sie komme ihren im Vergleich vom 2. Dezember 2015 im Verfahren S 20 SO 155/15 ER übernommenen Verpflichtungen zur Leistung

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nach. Der Antragsteller erfüllte hingegen seine Arbeitgeberpflichten beispielsweise gegenüber der Techniker-Krankenkasse weiterhin nicht, während er fortgesetzt an den Büroservice [] ein Honorar von 50,00 € pro Stunde zahle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der diversen Gerichtsakten der in der Vergangenheit hier geführten Verfahren (z.B. zuletzt Az.: S 20 SO 40/15 ER, Az.: S 20 SO 155/15 ER und die Gerichtsakte zum jetzt entschiedenen Verfahren sowie auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag des Antragstellers hat Erfolg. Denn er hat einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihm ab dem 1. Februar 2016 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zu dem im Tenor genannten Zeitpunkt (31. Oktober 2016), Leistungen von monatlich 8.500,00 € unter Außerachtlassung der Leistungen der Pflegekasse von derzeit 728,00 € in Form des persönlichen Budgets gem. § 57 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - i.V.m. §§ 53 ff. und 61 ff. SGB XII und dem SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -, insbesondere § 17 SGB IX, gewährt und auszahlt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint, wobei Anordnungsanspruch - das zu sichernde Recht - und Anordnungsgrund - die besondere Eilbedürftigkeit - glaubhaft zu machen sind, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -. Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründeten Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen des Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen

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Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht der Hauptsache nicht bindet.

Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen, wenn ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren - wie hier - vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt. Dies gilt auch, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz zu beachten ist. Zudem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR/02). Dies gilt insbesondere, wenn es um die Wahrnehmung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint, oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.

Gemessen an diesen Grundsätzen war hier im Rahmen einer Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers in dem tenorierten Umfang zu entscheiden. Derzeit spricht mehr dafür als dagegen, dass dieser einen höheren als ihm derzeit von der Antragsgegnerin bewilligten Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII im Rahmen des persönlichen Budgets hat.

Die Sache ist eilbedürftig, weil der Antragsteller zur Aufrechterhaltung seines hohen Bedarfes an Hilfe zur Pflege und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Teilnahme am Go-Club, Chormitgliedschaft, Meditationskurs, Teilnahme am Behindertenstammtisch, Vorstandstätigkeit im Mieterverein Potsdam und der Montessori-Schule Potsdam etc.) dringend auf die Bewilligung und Auszahlung des begehrten

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Geldbetrages in Form des persönlichen Budgets angewiesen ist, zumal er als Arbeitgeber die laufenden Gehaltskosten für mehrere Angestellte einschließlich der Sozialversicherungsabgaben pünktlich zu leisten hat. Dem ist er in der Vergangenheit schon deshalb nicht gerecht geworden, weil es durch die Vielzahl der geführten Verfahren und deren Laufzeiten praktisch dauernd zumindest zu verzögerten Auszahlungen des Budgetbetrages gekommen ist. Zudem ist dem Gericht aus entsprechenden Anfragen bekannt, dass der Antragsteller auch beim Finanzamt Schulden hat; er selbst hat zudem glaubhaft dargestellt, dass ihm Kontopfändungen angekündigt wurden. Ohne die Regelung bestünde die Gefahr, dass die von ihm benötigten Assistenzleistungen nicht realisiert werden können, weswegen das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache mit Blick auf sein Grundrecht auf Gewährung effektivem Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG zurückzutreten hat.

Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 ff. SGB XII i.V.m. § 55 Abs.2 Nr. 7 SGB IX, 60 SGB XII § 22 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-VO, auf ergänzende Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII sowie ein Anspruch auf das Pflegegeld gem. § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3c Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) zu. Denn er gehört aufgrund der in den Gründen zu I. genannten schwerwiegenden Erkrankungen unstreitg zum Kreis der Leistungsberechtigten nach §§ 53 ff. SGB XII. Er ist behindert im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, d.h. er ist wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt, weil seine körperlichen Funktionen und geistigen Fähigkeiten länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen.

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten zwischenzeitlich auch, dass dem Antragsteller die Leistungen in Form eines (trägerübergreifenden) persönlichen Budgets gem. §§ 57, 61, Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB XII, § 35a SGB XI i.V.m. den §§17 Abs. 2 bis 4, § 159 Abs. 5 SGB IX, §§ 1 ff. BudgetV (und nicht als Sachleistungen) zu gewähren sind. Insbesondere haben die Beteiligten hier im Rahmen eines Bedarfsfeststellungsverfahrens eine Zielvereinbarung mit einer Gültigkeit vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 abgeschlossen (vgl. § 17 Abs. 3 S. 3 und 4 SGB IX, § 3 Abs. 3 und 4 der Budgetverordnung). Diese enthält nach § 4 Abs. 1 S. 2

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Budgetverordnung Regeln über die Ausrichtung der individuellen Förder- und Leistungsziele, die Erforderlichkeit eines Nachweises für die Deckung der festgestellten individuellen Bedarfs und die Qualitätssicherung. Im Verfahren S 20 SO 155/15 ER haben sich die Beteiligten vergleichsweise auch ausdrücklich darauf verständigt, dass der Abschluss einer Zielvereinbarung keine Bindungswirkung für die endgültige Höhe des persönlichen Budgets enthält (vgl. Ziffer 4.). Diese Regelung war erforderlich, um mit Blick auf die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten zur Berechnung der Leistungshöhe sicherzustellen, dass der Anspruch des Antragstellers auf das persönliche Budget nicht schon deshalb entfällt, weil eine entsprechende grundsätzliche Zielvereinbarung nicht abgeschlossen wurde.

Streitig ist somit noch die Höhe der dem Antragsteller im Rahmen des persönlichen Budgets zu gewährenden Leistungen, insbesondere, ob die Antragsgegnerin zur Berechnung berechtigt ist, die Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (2. PflegeArbbV) zur Anwendung zu bringen und die Assistenzleistungen in sog. „aktive Arbeitszeit“ und „aktive Bereitschaft“ zu unterteilen. Dies hätte für den Antragsteller zur Folge, dass die Antragsgegner ihm lediglich die tatsächlichen Arbeitszeiten seiner Assistenten mit 100 % eines Stundenlohnes von 9,00 € Arbeitnehmerbrutto und 10,93 € Arbeitgeberbrutto vergütet (18 Stunden pro Tag), während sie die übrigen Anwesenheitszeiten der Assistenten (6 Stunden) mit 70 % des genannten Stundenlohnes (früher hatte sie sogar nur 30 % angenommen) veranschlagt hat. Sie beruft sich für ihre Rechtsauffassung auf das Urteil des SG Dortmund vom 26. März 2012 - S 62 SO 5/10 - zit. nach Juris. In dieser Entscheidung hatte das Gericht die vom dortigen Beklagten angewandte Rechenmethode, die im Grundsatz von einer individuellen Bedarfsfeststellung ausgehend eine Differenzierung zwischen Nachtwache/Nachtbereitschaftszeiten und Arbeitszeiten vorgenommen hatte, nicht beanstandet, wobei dort – soweit der Kammer ersichtlich – Zeiten der Nachtwache/Nachtbereitschaft mit 50 % des Stundenlohnes vergütet wurden und die gezahlten Stundensätze jedenfalls hinsichtlich der Eingliederungshilfeleistungen deutlich über den hier eingestellten Arbeitsentgelten lagen.

Der Antragsteller bedarf über einen Zeitraum von täglich 24 Stunden der Assistenz. Dies hatte der Sachverständige Dr. med. J. in dem im Verfahren S 20 SO 40/15 ER vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten vom 27. Mai 2015 zwei-

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felsfrei festgestellt und auch begründet, warum die Aussage des Pflegedienstes „Herbstzeit“, wonach drei Einsätze zu vier Stunden sinnvoll, praktikabel und ausreichend sein sollten, „völlig unhaltbar“ sei. Insbesondere würde eine solche Versorgung innerhalb kürzester Zeit zu massiven Pflegedefiziten und damit gesundheitlichen Schäden führen. Der Umfang des Assistenzbedarfes wird zwischenzeitlich von der Antragsgegnerin auch nicht mehr bezweifelt.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Gutachter erwartbar dargestellt hatte, dass die Wohnung des Antragstellers nicht behindertengerecht ist (3. Stock ohne Aufzug; Badewanne nicht behindertengerecht, zum Wohnraum sind zwei Stufen zu überwinden) und somit die pflegerischen Verrichtungen selbstverständlich erschwert werden. Diesbezüglich hat er allerdings weiter ausgeführt, dass dies betreffend den Assistenzbedarf keine Relevanz hat, da der Antragsteller auch in einer vollständig behindertengerechten Wohnung der 24-stündigen Assistenz bedürfen würde und derzeit aus der Wohnsituation keine Pflegedefizite entstanden sind. Gleiches gilt für das vom Antragsteller verwendete Pflegebett mit einer Matratze aus Weichlagerungsmaterial. Auch insoweit lassen sich nach der überzeugenden Darstellung des Gutachters keine „Einsparmöglichkeiten“ im Assistenzbedarf erzielen. Denn auch bei einer anderen Matratze wäre er nicht mehr in der Lage, sich eigenständig im Bett umzulagern, so dass „so oder so Hilfebedarf bei Lagerungswechseln im Bett besteht. Zudem sei er stark dekubitusgefährdet.“ Soweit theoretisch der Einsatz einer Wechseldruckmatratze in Betracht käme, habe der Antragsteller dem Gutachter nachvollziehbar dargelegt, dass bei der ausprobierten Wechseldruckmatratze bereits geringe taktile Reize zu Spastiken insbesondere der Beine geführt hätten. Der Gutachter hat auch keine Pflegedefizite festgestellt; auf die diesbezüglichen Ausführungen der Kammer im Beschluss zum Verfahren S 20 SO 40/15 ER wird Bezug genommen.

Im hiesigen Verfahren hat die Antragsgegnerin auch nicht mehr den Vorwurf aufrechterhalten, der Antragsteller sei unzuverlässig.

Ausgehend von dem 24-stündigen Bedarf des Antragstellers für Assistenzleistungen wird die Kammer im Hauptsacheverfahren abschließend zu entscheiden haben, in welcher Höhe das monatliche persönliche Budget konkret zu bemessen ist. Im Rahmen der hier vorgenommenen Folgeabwägung spricht vieles dafür, dass die von

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der Antragsgegnerin für ihre Berechnung in Bezug genommene 2. PflegeArbbV, welche nach § 2 Abs. 3 eine Unterteilung in Arbeitszeiten und Bereitschaftszeiten zuließe bzw. sogar erforderlich machen könnte, für die Berechnung der Höhe des dem Antragsteller zu gewährenden persönlichen Budgets nicht anzuwenden ist. Denn dieser führt schon keinen Pflegebetrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. PflegeArbbV.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. PflegeArbbV sind Pflegebetriebe Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder ambulante Pflegeleistungen für Pflegebedürftige erbringen. Satz 3 der 2. PflegeArbbV nimmt dann des weiteren eine Negativdefinition vor, welche Einrichtungen keine Pflegebetriebe sind, nämlich solche, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zwecks der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser.

Hier erfüllen aber weder der Antragsteller noch seine angestellten Assistenzkräfte die Voraussetzungen des Geltungsbereichs der 2. PflegeArbbV. Der Antragsteller schon deshalb nicht, weil er keine der im § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. PflegeArbbV genannten Leistungen erbringt, sondern diese gerade von seinen Assistenzkräften in Anspruch nimmt. Die Assistenzkräfte werden aber wiederum auf der Basis von Einzelverträgen für diesen tätig, weshalb diese keinerlei betriebliche Organisationsstruktur aufweisen.

Auch im Zusammenhang mit den Regelungen im Absatz 2 und 3 der 2. PflegeArbbV wird deutlich, dass diese Regelungen im Verhältnis zwischen dem Antragsteller und seinen Angestellten keine Anwendung finden dürfen. Denn mit der Formulierung in § 1 Abs. 3, wonach „diese Verordnung nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Pflegebetriebe in folgenden Bereichen gilt“, die dann einzeln aufgeführt werden, wird klar, dass die dort genannten Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen Angestellte eines – hier nicht bestehenden – Pflegebetriebes sein müssen, mithin sowohl ein Pflegebetrieb gegeben sein muss als auch die Arbeitnehmer die in der Verordnung genannten Voraussetzungen erfüllen müssen. Erst bei einem kumulativen Vorliegen

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der Tatbestandsvoraussetzungen ist der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet, was hier – wie dargestellt – nicht der Fall ist.

Auch eine analoge Anwendung der Regelungen der 2. PflegeArbbV auf die Budgetberechnung des Antragstellers kommt nicht in Betracht. Das würde voraussetzen, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die ausfüllungsbedürftig ist. Das ist aber nicht der Fall. Hinweise darauf, dass der Verordnungsgeber im Jahre 2014 bei Erlass der 2. PflegeArbbV die Fälle des seit Mitte der 2000er Jahre existierenden persönlichen Budgets in den Anwendungsbereich mit aufgenommen hätte, liegen nicht vor. Die Annahme einer Regelungslücke drängt sich auch schon deshalb nicht auf, weil die Gestaltungsmöglichkeiten eines persönlichen Budgets über die rein pflegerische Versorgung, deren Mindestentgelt sich sicherlich über pauschale Festlegungen (getrennt nach Gebieten der alten und neuen Bundesländer) brauchbar erfassen lässt, schon mit der Einbeziehung von Eingliederungshilfeleistungen, die – je nach Qualifikation der ausführenden Kraft – deutlich höhere Stundenlöhne erforderlich machen, zu vielfältig sind, als dass sie pauschal festgelegt werden können. Einer solchen Regelung bedarf es auch nicht, weil damit die für die Betroffenen erforderlichen und gesetzlich gewollten Gestaltungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt werden würden.

Damit verbleibt es für die Bestimmung des Umfangs und der Höhe des (trägerübergreifenden) persönlichen Budgets bei den Regelungen des § 57 SGB XII i.V.m. § 17 Abs. 3 SGB IX. Danach werden persönliche Budgets in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich (§ 17 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Gem. § 17 Abs. 3 Satz 3 SGB IX werden persönliche Budgets auf der Grundlage der nach § 10 Abs. 1 getroffenen Feststellungen so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten, ohne das persönliche Budget zu erbringenden Leistungen nicht überschreiten.

Ansatzpunkt der Höhe des festzulegenden persönlichen Budgets muss daher die Höhe des vom Antragsteller mit seinen Mitarbeitern vereinbarten Arbeitsentgelts sein, soweit dieses nicht evident gegen regional und branchenüblichen Löhnen

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abweicht. Das ist hier nicht der Fall. Der Antragsteller hat mit den diversen Mitarbeitern Verträge vereinbart, die unterschiedliche Stundenlöhne (8,50 € bzw. 9,00 € Arbeitnehmerbrutto) aufweisen. Zuletzt hat er in den Arbeitsverträgen auf die „Entlohnung entsprechend den Vorgaben der Landeshauptstadt Potsdam“ verwiesen (vgl. z.B. den Arbeitsvertrag vom 16. Oktober 2015 mit F… F…), wobei er damit die Höhe der Mindestentgelte der 2. PflegeArbbV meinen dürfte, auf die sich die Antragsgegnerin in der Vergangenheit stets berufen hat. Die Inbezugnahme der Mindestentgelte der 2. PflegeArbbV ist auch deshalb nicht zu beanstanden, weil sie zumindest einen Anhaltspunkt dafür liefern, in welcher Höhe Mindestarbeitsentgelte zugunsten des Antragstellers, die schon mit Blick auf das Ausmaß seiner schwerwiegenden körperlichen Behinderungen im Bereich der Pflege und Aktivierung liegen dürfte, zu zahlen sind. Gesetzliche Untergrenze ist lediglich der ab dem 1. Januar 2015 allgemein geltende Mindestlohn von 8,50 € brutto für jede geleistete Arbeitsstunde.

Schon daraus folgt, dass es ungeachtet dessen, dass die langjährige „Hauptmitarbeiterin“ des Antragstellers, Sabine Wohnig, dem Gericht überzeugend dargestellt hat, dass auch während der Nachtzeiten für den Antragsteller keine nennenswerten „Arbeitsleerläufe“ entstehen, weil dieser regelmäßig maximal zwei Stunden am Stück schläft, sich verbietet, eine von der Antragsgegnerin vorgenommene Arbeitszeit der Assistenten in „Arbeitszeit“ und sog. „aktive Bereitschaftszeit“ im konkreten Fall zuzulassen, weil damit hier zwingend eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 € brutto durch den Antragsteller verbunden wäre, auch wenn die Antragsgegnerin nunmehr als Ergebnis der diversen Erörterungen zu dieser Frage die Zeiten der Nachtbereitschaft gegenüber früheren Berechnungen erheblich verkürzt und dabei die Höhe des angenommenen Entgelts auf 70 % festgelegt hat.

Bei der Berechnung des vorläufig dem Antragsteller zu bewilligenden Budgets hält es die Kammer im Rahmen der Folgenabwägung für angemessen, die Musterkalkulation der Antragsgegnerin unter Annahme eines vom Antragsteller – soweit ersichtlich – überwiegend gezahlten Stundenlohnes von 9,00 € Arbeitnehmerbrutto und 10,93 € Arbeitgeberbrutto zuzüglich der Lohnfortzahlung während des Urlaubs, der Berufshaftpflich/Unfallversicherung sowie der Regiekosten und Kosten der Begleitperson

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sowie Nachtzuschlägen zugrunde zu legen, woraus sich abzüglich des Pflegegeldes ein monatlicher Betrag von 8.665,08 € ergäbe (vgl. dazu die Berechnung auf Bl. 50 GA). Diesen Betrag hat die Kammer im hiesigen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung um 165,08 € monatlich gemindert, weil der Antragsteller nicht allen Arbeitnehmern einen Bruttostundenlohn von 9,00 € zahlt und die Kammer in der Vergangenheit die Auffassung vertreten hatte und daran derzeit grundsätzlich festhalten würde, dass Nachtzuschläge sowie Sonn- und Feiertagszuschläge gesetzlich nicht geschuldet sind

Nachtzuschläge: Laut Arbeitszeitgesetz ist für Nachtstunden „angemessener Zuschlag“ zu zahlen!! Siehe: http://www.lohn-info.de/zuschlaege_nachtarbeit.html

und daher auch vom Antragsteller nicht zu leisten wären. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kann es auch dahinstehen, ob die Leistungshöhe nach einzelnen Bedarfen (Eingliederungshilfen/Teilhabeleistungen bzw. Hilfe zur Pflege) aufzuteilen wäre, zumal der Antragsteller auch in seinen Arbeitsverträgen hinsichtlich der zu zahlenden Arbeitsentgelte eine entsprechende Differenzierung nicht vornimmt.

Mit Blick darauf, dass es den Beteiligten vorrangig um die Klärung der Frage geht, ob die Antragsgegnerin berechtigt ist, die von ihr seit Jahren in Bezug genommene PflegeArbbV dem Grunde nach anzuwenden und daraus resultierend eine Unterteilung in „Arbeitszeiten“ und „aktive Bereitschaftszeiten“ durchzusetzen, hält die Kammer es für vertretbar, für den tenorierten Zeitraum eine Pauschalisierung in der genannten Höhe von monatlich 8.500,00 € vorzunehmen, während die Einzelheiten nach Klärung der grundsätzlichen Frage dem Hauptverfahren vorbehalten bleiben sollen. Nach der Überzeugung der Kammer ist der dem Antragsteller vorläufig zugesprochene Betrag erforderlich, aber auch ausreichend, um seinen Bedarf an Assistenzleistungen abzusichern. Zusätzliche Leistungen wie Urlaubs/Weihnachtsgeld sowie Einarbeitungszeiten und Weiterbildungszeiten für die von ihm angestellten Assistenten waren bei der Berechnung der Höhe des persönlichen Budgets nicht zu berücksichtigen, weil der Antragsteller als Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, derartige Leistungen an seine Mitarbeiter zu erbringen und die Sozialgemeinschaft umgekehrt nicht für freiwillige Leistungen aufzukommen hat.

Der tenorierte Zeitraum der vorläufigen Leistungsbewilligung ist angemessen, aber auch erforderlich, um bei sicher voraussehbaren mindestens gleichbleibenden Bedarf des Antragstellers die streitigen Fragen betreffend die Höhe des gewährten Budgets einer Klärung durch die nächsthöhere Rechtsmittelinstanz zuzuführen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §193 SGG entsprechend und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass der Antragsteller, der keinen bezifferten Antrag gestellt hat, ganz überwiegend mit seinem Begehren durchgedrungen ist; eine Kostenquotelung ist daher untunlich.

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht Potsdam, Rubensstraße 8, 14467 Potsdam einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam, schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) idF vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zu den Kommunikationswegen für den elektronischen Rechtsverkehr können unter der Internetadresse www.erv.brandenburg.de abgerufen werden.

H.
Richterin am Sozialgericht

Beglaubigt
gez. R.
Justizbeschäftigte

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