Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 21.10.2013

Aus cvo6
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Inhaltsverzeichnis

Sozialgericht Potsdam

Az.: S 20 SO 67/13 ER

Beschluss

In dem Rechtsstreit

Oliver Lenz,
Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam

- Antragsteller -

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Peter Klink,
Lennéstraße 71, 14471 Potsdam,

gegen

Landeshauptstadt Potsdam,
vertreten durch den Oberbürgermeister, dieser vertreten durch d.

Fachbereich Soziales,
Gesundheit und Umwelt
der Landeshauptstadt Potsdam,
Hegelallee 6-8, 14469 Potsdam

- Antragsgegnerin -

hat die 20. Kammer des Sozialgerichts Potsdam

am 21. Oktober 2013

durch die Richterin am Sozialgericht H.
ohne mündliche Verhandlung
b e s c h l o s s e n :

  1. Ziffer 1) Des Tenor der Kammer vom 11. Oktober 2013 wird wie folgt klargestellt bzw. korrigiert: "Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 1. August 2013 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Juli 2014, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 6.734,25 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes von derzeit 700,00 €) zu bewilligen und zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
  2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 2/3 der außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen im Rahmen eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets.

Der 47-jährige Antragssteller, von Beruf Dipl.-Ing. für Maschinenbau, leidet an einer Form der multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderung der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Missempfindungen und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Er ist häufig schnell erschöpft und müde. Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Antragsteller nicht laufen kann, mit seinen Armen und Händen kaum Gegenstände - vor allem filigrane wie Zahnbürsten u.ä. - halten kann. Dies führt dazu, daß er mehrfach am Tage Ruhezeiten wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit einlegen muss. Ausweislich der dem Gericht zum Verfahren S 20 SO 33/ER übergebenen Pflegedokumentationen der Antragsgegnerin und des von den Assistenten des Antragstellers geführten Pflegetagebuchs müssen abgesehen vom nur teilweise selbstständigen Essen bzw. Trinken des Antragstellers für ihn dem Grunde nach sämtliche Tätigkeiten zur Bewältigung des Alltags einschließlich der pflegerelevanten Tätigkeiten stellvertretend erledigt werden. Dabei ist die Durchführung der pflegerischen Maßnahmen durch häufig auftretende

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Spastiken bei der Berührung erschwert. Eine Fortbewegung des Antragstellers ist nur mittels eines Rollstuhls möglich.

Das Landesamt für Soziales und Versorgung erkannte dem Antragsteller einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit dem Merkzeichen aG, G, B, H und RF zu. Die zuständige Pflegekasse (Techniker Krankenkasse) gewährt ihm ein entsprechend dem MDK-Gutachtens vom 22. Oktober 2012 Leistungen der Pflegestufe III; das Pflegegeld von monatlich 700,00 € wird direkt an den Antragsteller ausbezahlt. In dem genannten MDK-Gutachten wurde festgestellt, dass der Antragsteller einen täglichen Hilfebedarf im Umfang von 136 Minuten für die Körperpflege, von 30 Minuten für die Ernährung und von 157 Minuten für die Mobilität hat. Mit der Pflegekasse stritt der Antragsteller zunächst darum, ob ihm die Pflegestufe 3+ zusteht. In einem aktuellen MDK-Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg e.V. vom 12. August 2013 wurde ihm erneut die Pflegestufe III zuerkannt, wobei ein Hilfebedarf für die Körperpflege von 158 Minuten täglich, für Ernährung von 77 Minuten täglich und für Mobilität 251 Minuten täglich festgestellt wurde.

Ungeachtet seiner erheblichen körperlichen Einschränkungen nahm der Antragsteller in der Vergangenheit in erheblichem Umfang am gesellschaftlichen Leben teil: Er geht zur "Go-Arbeitsgemeinschaft" in der Montessori-Schule, dem "Go-Klub" im Neuen Palais (Mitwoch) und in Spandau (Donnerstag), nimmt Bewegungsbäder, singt im Hans-Beimler-Chor in Berlin, macht Zen-Meditation und verabredet sich abends zum geselligen Beisammensein (u.a. Behindertenstammtisch, Stammtisch vom Freifunk Potsdam). Zudem ist er jeweils im Vorstand des Mietervereins Potsdam und des Fördervereins der Montessorischule Potsdam aktiv.

Der Antragsteller stellte erstmals am 20. Juli 2011 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Assistenzkosten in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Seither ist zwischen den Beteiligten trotz diverser Fallkonferenzen und Erörterungen zum bestehenden Hilfebedarf die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Leistungen streitig.

Mit einem ersten Bescheid vom 23. Februar 2012 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ab dem 1. Februar 2012 Leistungen in Form des persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell von 1.469,53 €. Dabei ging sie von einem Hilfebedarf des Antragstellers von 6 Stunden für pflegerische Leistungen und 1,5 Stunden für Teilhabeleistungen aus (Bl. 54 ff. der Gerichtsakte - GA - zum Az: S 20 SO 33/13 ER). Auf den dagegen erhobenen

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Widerspruch des Antragstellers änderte die Antragsgegnerin ihren Bescheid am 29. Mai 2012 dahingehend, dass sie ihm ab dem 1. Februar 2012 zusätzlich ein gekürztes Pflegegeld von 233,33 € gewährte sowie von einem Eingliederungshilfebedarf von nunmehr 2 Stunden täglich ausging (Bl. 68 f. GA S 20 SO 33/13 ER).

Mit weiterem Bescheid_vom_25.06.2012 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. August 2012 bis zum 31. Juli 2013 Eingliederungshilfe für täglich zwei Stunden sowie Leistungen der Hilfe zur Pflege für täglich sechs Stunden. Daraus errechnete sich - abzüglich des dem Antragsteller von der Pflegekasse ausgezahlten Pflegegeldes von 700,00 € - ein Betrag von 2.004,65 € (Bl. 74 ff. GA S 20 SO 33/13 ER). Über den dagegen vom Antragsteller erhobenen Widerspruch hat die Antragsgegnerin - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden.

Mit Änderungsantrag vom 28. Juli 2012 beantragte der Antragsteller, ihm das persönliche Budget als Arbeitgebermodell zu gewähren. Er begründete diesen damit, dass er jedenfalls nunmehr einen 24-stündigen Assistenzbedarf habe; diesen könne er mit dem ihm bewilligten Stundenumfang von insgesamt 8 Stunden nicht decken. Er erhalte zwar ehrenamtliche Hilfe durch seine Familie (Kinder und Eltern) sowie Freunde, dies sei jedoch keine dauerhaft tragfähige und verläßliche Lösung. Zudem beantragte er, ihm Kosten für eine Begleitperson gemäß §22 der Eingliederungshilfeverordnung zu gewähren, weil er nahezu täglich Physiotherapietermine außerhalb und andere Termine zur Aufrechterhaltung seines Gesundheitszustandes wahrzunehmen habe.

Am 6. September 2012 und 13. September 2012 erörterten die Beteiligten die Sach- und Rechtslage erneut in einem persönlichen Gespräch. Mit Bescheid vom 20. September 2012 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ab dem 1. August 2012 bis zum 31. Oktober 2012 Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form eines persönlichen Budgets für die Hilfen zum selbstbestimmten Leben in der eigenen Wohnung. Dabei ging sie erneut von einem Eingliederungshilfebedarf von 2 Stunden pro Tag sowie einem Bedarf an Hilfe zur Pflege von täglich acht Stunden aus (Bl. 105 ff. GA S 20 SO 33/13 ER). Das Gesamtbudget setzte die Antragsgegnerin unter Einbeziehung des von Pflegekasse gewährten Pflegegeldes auf monatlich 2.373,14 € fest. Dagegen erhob der Antragsteller ebenfalls Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden wurde.

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Der Antragsteller hatte am 27. Januar 2012 erstmals mit der Antragsgegnerin bzw. der Pflegekasse TKK für den Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis zu 31. Juli 2012 eine Zielvereinbarung zur Sicherstellung von Leistungen personeller Hilfen (Pflege, Haushaltsführung, Arbeitsassistenz etc.) und Mobilität im Rahmen des persönlichen Budgets geschlossen. Diese setzte er als sogenanntes Arbeitgebermodell um und beschäftigte beispielsweise im Mai 2013 insgesamt 7 Personen. Nach Mitteilung der Antragsgegnerin vom 15. Oktober 2013 an das Gericht hat der Antragsteller zuletzt im Juni 2013 eine Zielvereinbarung unterzeichnet (diese liegt dem Gericht allerdings nicht vor). Diese Zielvereinbarung dürfte jedenfalls hinsichtlich der Höhe des persönlichen Budgets unter dem Vorbehalt des Ergebnisses dieses Verfahrens bzw. der laufenden Verwaltungsverfahren stehen.

Der Antragsteller hatte am 20. März 2013 einen ersten Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung zum Az: S 20 SO 33/13 ER beim erkennenden Gericht gestellt. Mit diesem hatte er sein Begehren auf Gewährung eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell mit einem Betrag von mindestens 9.855,27 € weiterverfolgt. Bereits mit der Antragserwiderung vom 5. April 2013 hatte die Antragsgegnerin die Erforderlichkeit der Gewährung eines persönlichen Budgets in Form des Arbeitgebermodells für eine 24-stündige Assistenz zur Deckung des Pflege- und Eingliederungshilfebedarfs des Antragstellers von 3.742,60 € monatlich anerkannt. Dabei stellte sie dar, dass sich die vom Antragsteller benötigte 24-stündige Assistenz in eine tägliche Arbeitszeit von 8,5 Stunden und 15,5 Stunden aktive Bereitschaftszeit untergliedere. Letztere sei mit 30% des Stundenlohnes von 7,75 € netto bzw. 9,42 € brutto (d.h. unter Berücksichtung eines 21,575 %-igen Arbeitgeberanteils = 1,67 €) bzw. ab dem 1. Juli 2013 von 8,00 € netto bzw. 9,70 € brutto zu vergüten. Ein Anspruch auf rechnerische Vergütung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld bestehe nicht. Es handele sich insoweit um eine an den TVöD angelehnte freie Entscheidung des Antragstellers diese Leistungen als Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer zu erbringen. Sie sei jedenfalls unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitgebotes des § 17 Abs. 3 Satz 4 SGB IX nicht verpflichtet, ihm diese Bestandteile des Arbeitsentgelts zu finanzieren. Auch eine Berücksichtigung von Weiterbildungszeiten für die Assistenten erachte sie nicht als erforderlich. Vertretungen im Krankheitsfall seien aus dem Budget zu finanzieren; Lohnfortzahlungen könnten bei Teilnahme im Umlageverfahren durch die zuständige Krankenkasse erfolgen. Sie übernehme im Rahmen der Finanzierung des Arbeitgebermodells pauschal Lohnfortzahlungen für zehn Krankheitstage pro Jahr. Im Falle länger andauernder Erkrankungen würden Lohnfortzahlungen grundsätzlich von der jeweiligen Krankenkasse des Arbeitnehmers übernommen, wofür sie im Rahmen des persönlichen Budgets entsprechende Beiträge

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berücksichtige. Eine gesonderte Finanzierung von Vertretungen erfolge nicht. Auch Einarbeitungszeiten seien üblicherweise nicht gesondert zu finanzieren. Gleiches gelte für den Dienst an Feiertagen. Im Gesundheits- und Pflegebereich würden Pflegekräfte dafür einen Freizeitausgleich erhalten; darüber hinaus würden keine zusätzlichen Vergütungen für die Feiertagsarbeit gewährt. In Bezug auf die begehrten Regiekosten verweise sie auf die Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gemäß § 102 Abs. 4 SGB IX. Als Aufwandspauschale für Regiekosten könnten bei Fremdvergabe an Dritte 30,00 € pro Monat und beschäftigten Arbeitnehmer übernommen werden. Hierfür seien Nachweise zu erbringen. Nur ergänzend verweise sie darauf, dass der Antragsteller sämtliche pflegeerleichternden und zeitaufwandverringernden Pflegehilfsmittel wie ein Pflegebett oder einen Elektrorollstuhl kategorisch ablehne. Auch das Angebot zur Beschaffung einer behindertengerechten Wohnung in seinem Wohnumfeld habe er abgelehnt. Durch einen solchen Umzug würde beispielsweise der zeitaufwendige Transport mit der Treppenraupe entfallen. Durch die Nutzung würde der Antragsteller seine eigenständige Mobilität erhöhen. Durch die Nutzung eines Pflegebettes würden pflegerische Verrichtungen wie das nächtliche Umlagern erleichtert werden.

Zum Verfahren S 20 SO 33/13 ER fand am 31. Mai 2013 beim erkennenden Gericht ein Erörterungstermin statt. Dabei schlossen die Beteiligten einen Zwischenvergleich. Danach verpflichtete sich die Antragsgegnerin an den Antragssteller für den Zeitraum vom 1. Juni 2013 bis einschließlich 30. Juni 2013 einen Betrag von 5.750,00 € in Form eines persönlichen Budgets für Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu zahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Erörterung wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 170 ff. GA S 20 SO 33/13 ER) verwiesen. Eine weitere geplante Erörterung am 28. Juni 2013 erfolgte dann nicht mehr, weil die Antragsgegnerin zwischenzeitlich in einem parallel geführten Rechtsstreit eines anderen Antragstellers den geschlossenen Vergleich widerrufen hatte. Die Antragsgegnerin zahlt nach der übereinstimmenden Mitteilung der Beteiligten an das Gericht seither auf der Basis des am 31. Mai 2013 geschlossenen Zwischenvergleich die Leistungen an den Antragsteller weiter.

Der Antragsteller hat mit Blick auf das Ende der ursprünglichen Bewilligung zum 31. Juli 2013 am 8. Juli 2013 beim Sozialgericht zum Az: S 20 SO 67/13 ER einen erneuten Antrag auf Kostenübernahme des persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bestellt. Er macht geltend: Er habe einen Anspruch auf

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die Leistungen für einen Zeitraum von 24 h täglich an sieben Tagen der Woche. Er benötige den ganzen Tag über Hilfe. Wegen seiner unregelmäßigen, aber immer wiederkehrenden Spastiken benötige er eine durchgehend anwesende Betreuungsperson. Die von der Antragsgegnerin berechnete Höhe des persönlichen Budgets treffe nicht zu. Es sei von einem Stundensatz von 9,42 € auszugehen. Diese benötige er tagsüber 14 Stunden in Höhe von 100 % sowie über einen Zeitraum von 10 Stunden von 50 %, da es sich hierbei um Zeiten mit eingeschränktem Assistenzbedarf handele. Da er an 365 Tagen einen Anspruch auf die oben benannten Ansprüche habe, ergäbe sich ein jährlicher Bedarf von 65.372,45 €. Hinzu kämen Einmalbezüge der Assistenten in Höhe von 50 % für Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von jährlich 5.447,00 €, Pauschalen für Krankheit, Einarbeitung, Weiterbildung, Feiertag und Urlaub von 17.898,00 € im Jahr. Weiterhin seien die Arbeitgeberanteile für Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung von jährlich 19.469,20 €, steuer- und sozialversicherungsfreie Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit von jährlich 9.437,00 € abzüglich einer Erstattung der fiktiven Lohnfortzahlungskosten von 4.740,50 € zu berücksichtigen. Letztlich seien die Kosten der Berufsgenossenschaft, der Unterkunft, pauschalierte Regiekosten ohne Nachweise sowie Kosten der Lohnabrechnung (Steuerberater) sowie der Begleitperson nach §§22, 23 Eingliederungshilfeverordnung einzubeziehen, somit noch einmal zusätzliche Kosten von jährlich 5.150,00 €. Sein Gesamtanspruch belaufe sich somit auf jährlich mindestens 118.263,22 € und monatlich 9.855,27 €. Er habe zudem ein besonderes Interesse an der vorläufigen Bewilligung, da es ihm auch mit dem von der Antragsgegnerin zuletzt im Wege de Zwischenvergleichs vom 31. Mai 2013 zugestandenen Betrages von 5.750,00 € nicht möglich sei, die für ihn dringend benötigten Leistungen der Pflege, der Eingliederungshilfe, der Assistenz, der Rehabilitation, der häuslichen Krankenpflege und der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft über einen Zeitraum von 24 h täglich abzudecken. Andernfalls bestünde für ihn eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben. Zudem könne er dann weder seinen Verpflichtungen auf Zahlung der Lohnsteuer noch auf Abführung von Sozialabgaben nachkommen.

Er beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens für das beantragte trägerübergreifende persönliche Budget als Arbeitgebermodell monatlich einen Betrag von mindestens 9.855,27 € zu gewähren.

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Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und beantragt,

den Antrag über den dem Antragsteller bereits zugestandenen Betrag von 3.742,60 € hinaus zurückzuweisen.

Sie macht geltend: Sie erkenne eine Erforderlichkeit der Gewährung eines persönlichen Budgets in Form des Arbeitgebermodells für eine 24-h-Assistenz zur Deckung des Pflege- und Eingliederungshilfebedarfes des Antragstellers in Höhe von 3.742,60 € monatlich an in Höhe von 6.112,67 € sei der Antrag abzulehnen. Es verbleibe bei ihrer Auffassung, wonach sich im Rahmen eines Arbeitgebermodells für eine 24-Stunden-Assistenz die tägliche Arbeitszeit in 8,5 Stunden tatsächliche (aktive) Arbeitszeit und 15,5 Stunden sog. aktive Bereitschaftszeit untergliedere, wobei die aktive Bereitschaftszeit in Höhe von 30% des Stundensatzes zu finanzieren sei. Im Übrigen sei ihr mit Blick auf die gravierenden krankheitsbedingten körperlichen Einschränkungen des Antragstellers nicht erklärlich, wie dieser beispielsweise am 16. Juni 2012 an einem elfstündigen Turnier sowie am 28. August 2012 an einem neunstündigen Treffen der Linken habe teilnehmen können. Am 2. Juni 2012 habe er ab 13:00 Uhr an einer Mieterdemo teilgenommen, sei anschließend zum Vorsingen gefahren und habe danach bis 23:00 Uhr noch ein Stadtteilfest besucht. Nach den ihr vorliegenden Zeitaufstellungen des Antragstellers gebe es häufig Tage, an denen dieser ohne Pause mehr als zehn Stunden unterwegs sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten S 20 SO 33/13 ER und S 20 SO 67/13 ER (3 Bände) sowie den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag des Antragstellers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Denn er hat einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihm ab dem 1. August 2013 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zu dem im Tenor genannten Zeitpunkt (31. Juli 2014), Leistungen von monatlich 6.734,25 € unter Außerachtlassung der Leistungen der Pflegekasse von derzeit 700,00 € in Form des persönlichen Budgets gem. §57 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - i.V.m. §§53 ff. und 61 ff. SGB XII und dem SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewährt und auszahlt.

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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint, wobei Anordnungsanspruch - das zu sichernde Recht - und Anordnungsgrund - die besondere Eilbedürftigkeit - glaubhaft zu machen sind, § 86b Abs. 2 Absatz 4 SGG i.V. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Vorliegend war ein Antrag auf § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft, weil der Antragsteller mit seinem Antrag Leistungen von der Antragsgegnerin begehrt, die über die mit der Zielvereinbarung bzw. dem geschlossenen Zwischenvergleich gewährten Leistungen in Form des persönlichen Budgets hinausgehen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin für die Zeit ab dem 1. August 2013 noch keinen Leistungsbescheid zugunsten des Antragstellers erlassen hat.

Die Sache ist eilbedürftig, weil der Antragsteller zur Aufrechterhaltung seines hohen Bedarfes an Hilfe zur Pflege und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Teilnahme am Go-Club, Chormitgliedschaft, Meditationskurs, Teilnahme am Behindertenstammtisch, Vorstandstätigkeit im Mieterverein Potsdam und der Montessori-Schule Potsdam etc.) dringend auf die Bewilligung und die Auszahlung des begehrten Geldbetrages in Form des trägerübergreifenden persönlichen Budgets angewiesen ist, zumal er als Arbeitgeber die laufenden Gehaltskosten für mehrere Angestellte einschließlich der Sozialversicherungabgaben pünktlich zu leisten hat. Ohne die Regelung bestünde die Gefahr, dass die von ihm unstreitig in einem Zeitraum von täglich 24 Stunden benötigten Assistenzleistungen nicht realisiert werden können, weswegen das grundsetzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache mit Blick auf sein Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG zurückzutreten hat.

Dass der Antragsteller als schwerstpflegebedürftige Person gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Hilfegewährung in Form des trägerübergreifenden persönlichen Budgets dem Grunde nach glaubhaft gemacht hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Antragsgegnerin hat die Koordinierung der Leistungen, bestehend aus Pflegegeld, ergänzender Hilfe zur Pflege sowie Eingliederungshilfeleistungen übernommen, was eine Beiladung weiterer Leistungsträger nach § 75 SGG entbehrlich macht.

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Dem Antragsteller steht ein Anordnungsanspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 ff. SGB XII i.V.m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 7, 60 SGB XII, § 22 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-VO) auf ergänzende Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII sowie ein Anspruch auf Pflegegeld gem. § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3c Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) zu. Denn er gehört aufgrund der in den Gründen zu I. genannten schwerwiegenden Erkrankungen unstreitig zum Kreis der Leistungsberechtigten nach §§ 53 ff. SGB XII. Er ist behindert im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, d.h. er ist wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt, weil seine körperlichen Funktionen und geistigen Fähigkeiten länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen.

Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich die Höhe der dem Antragsteller in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets gem. §§ 57, 61 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB XII, § 35a SGB XI i.V.m. den §§ 17 Abs. 2 bis 4, § 159 Abs. 5 SGB IX, §§ 1 ff. BudgetV zu gewährenden Leistungen, insbesondere, ob die Antragsgegnerin berechtigt ist, den auch von ihr nicht bestrittenen Bedarf des Antragstellers an Assistenzleistungen im Umfang von 24 Stunden täglich (mit Blick darauf ist es jedenfalls unerheblich, dass der Antragsteller pflegeerleichternde Hilfsmittel wie Elektrorollstuhl oder Pflegebett ablehnt) in sog. "aktive Arbeitszeit" und "aktive Bereitschaftszeit" zu unterteilen. Dies hätte für den Antragsteller zur Folge, dass die Antragsgegnerin ihm lediglich die tatsächlichen Arbeitszeiten seiner Assistenten mit 100 % eines Stundenlohnes von 7,75 € netto und 9,42 € brutto vergütet, während sie die übrigen Anwesenheitszeiten der Assistenten mit nur 30 % des genannten Stundenlohnes veranschlagt hat. Sie beruft sich für ihre Rechtsauffassung auf das Urteil des SG Dortmund vom 26. März 2012 - S 62 SO 5/10 - zit. nach Juris. In dieser Entscheidung hatte das Gericht die vom dortigen Beklagten angewandte Rechenmethode, die im Grundsatz von einer individuellen Bedarfsfeststellung ausgehend eine Differenzierung zwischen Nachtwache/Nachtbereitschaftszeiten und Arbeitszeiten vorgenommen hatte, nicht beanstandet, wobei dort - soweit der Kammer ersichtlich - Zeiten der Nachtwache/Nachtbereitschaft mit 50 % des Stundenlohnes vergütet wurden und nicht wie von der Antragsgegnerin nach "unten abgewandelt", mit 30 % des üblichen Stundenlohnes.

Allein aus dem Umstand, dass das SG Dortmund (a.a.O.) im dort entschiedenen Einzelfall eine Berechnungsmethode, die abgesehen von kleineren Unsicherheiten zwischen den Beteiligten auch nicht streitig war, nicht moniert hat, lässt sich allerdings nicht schlußfolgern, dass diese

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Art der Berechnung auch im Fall des Antragstellers sinnvoll und praktikabel ist. Das ist nämlich nach der Überzeugung der Kammer nicht der Fall, weil ihm damit evident zu niedrige Leistungen bewilligt wurden. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin auch erklärungslos die von ihr angenommenen Zeiten der sog. "aktiven Bereitschaft" nicht in dem vom SG Dortmund entschiedenen Verfahrens mit 50 % des Stundenlohnes, sondern lediglich mit 30 % des Stundenlohnes angesetzt hat. Einen sachlichen Grund dafür hat sie weder in dem umfangreichen Vorbringen selbst benannt noch ist der Kammer ein solcher auch nur im Ansatz ersichtlich.

Streitentscheidende Norm für den Umfang und die Höhe des trägerübergreifenden persönlichen Budgets ist § 57 SGB XII i.V.m. § 17 Abs. 3 SGB IX. Danach werden persönliche Budgets in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich (§ 17 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Gem. § 17 Abs. 3 Satz 3 SGB IX werden persönliche Budgets auf der Grundlage der nach § 10 Abs. 1 getroffenen Feststellungen so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten, ohne das persönliche Budget zu erbringenden, Leistungen nicht überschreiten.

Vorliegend besteht der individuell festgestellte Bedarf des Antragstellers unstreitig in einer 24-stündigen Assistenz. Dies zu Grunde gelegt kann der Antragsteller mit den von der Antragsgegnerin im Rahmen des persönlichen Budgets gewährten Leistungen aber gerade nicht seine 24-stündige Betreuung und Hilfe durch von ihm angestellte persönliche Assistenz- und Pflegekräfte in sog. Arbeitgebermodell sicherstellen. Denn die ihm hier im streitgegenständlichen Zeitraum seit dem 1. August 2013 entsprechend der Zielvereinbarung vom Juni 2013 bzw. entsprechend des am 31. Mai 2013 geschlossenen "Zwischenvergleichs" - die Antragsgegnerin zahlt ungeachtet der dort festgelegten Gültigkeitsdauer für den Monat Juni 2013 dem Antragsteller seither weiter den dort festgelegten Betrag von 5.750,00 € - gewährten Leistungen sind nach der Überzeugung der Kammer nicht bedarfsdeckend.

Einen höheren als der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Leistungsbewilligung steht vor allem auch nicht die von dem Antragsteller unterzeichnete Zielvereinbarung vom Juni 2013 entgegen. Bei der Zielvereinbarung handelt es sich gem. § 4 BudgetV um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i.S.d. §§ 53 ff. SGB X, welcher grundsätzlich Bindungswirkung entfaltet. Soweit hier auch in der Zielvereinbarung konkrete dem Antragsteller zustehende Beträge festgehalten wären - diese Vereinbarung liegt dem Gericht im Einzelnen nicht vor - besteht

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eine Bindung des Antragstellers daran gleichwohl schon deshalb nicht, weil er den Abschluss des Vertrages mit Blick auf den bisherigen Verfahrensverlauf erkennbar "unter den Vorbehalt des anhängigen Klage- und Rechtsschutzverfahrens" gestellt hat (vgl. zum Ganzen z.B. SG München, Urteil vom 7. Mai 2013 - S 48 SO 235/12 - zit. nach Juris). Damit entfaltet jedenfalls die Höhe des festgelegten persönlichen Budgets in der Zielvereinbarung für ihn keine Bindung, ohne dass der Vertragsabschluss im Übrigen gefährdet wäre, vgl. auch Ziffer 8, letzter Absatz der Zielvereinbarung). Denn Sinn und Zweck der Zielvereinbarung liegt vor allem darin, eine zweckentsprechende Verwendung des zur Verfügung gestellten Budgets sicherzustellen, nicht aber darin, den Budgetnehmer bei Streitigkeiten über die Höhe des zu gewährenden Budgets bei grundsätzlichem Einverständnis mit dem Regelwerk im Übrigen rechtschutzlos zu stellen und "erpressbar" zu machen (so auch SG München, a.a.O.), zumal wenn - wie hier - der Bereich seiner gesamten Lebensführung einschließlich der Aufrechterhaltung seiner Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben sowie sämtliche Pflegeleistungen betroffen sind.

Im Einzelnen:
Der Antragsteller mag - was die Kammer nicht beurteilen kann, aber zwischen den Beteiligten auch nicht streitig zu sein scheint - über einen Zeitraum von 24 Stunden einen konkreten individuellen Hilfebedarf von insgesamt 8,5 Stunden an tatsächlicher Hilfeleistung durch die Assistenten aufweisen, während dieser für 15,5 Stunden lediglich anwesend zu sein haben und im Falle eines Hilfebedarfs ihm diese tatsächlich leisten. Die sich daran anschließende Berechnung der Antragsgegnerin, wonach die sog. "aktive Arbeitszeit" mit 100% des Stundenlohnes zu vergüten ist, während die Zeiten der sog. "aktiven Bereitschaft" mit 30 % des Stundenlohnes berechnet werden, ist aber weder sinnvoll noch praktikabel.

Das ergibt sich zum einen eindrucksvoll aus der sozialmedizinisch-gutachterlichen Stellungnahme des Dr. med. W[]. J[]. vom 14. Januar 2013, diesen hatte die Kammer mit Beweisanordnung vom 17. Dezember 2012 zu einem parallel geführten Verfahren eines anderen Antragstellers (S 20 SO 139/12 ER) gebeten, den Akteninhalt auszuwerten und dazu Stellung zu nehmen, auf welche Weise üblicherweise eine Vergütung für den streitgegenständlichen Sachverhalt vorgenommen wird. Zudem sollte er speziell dazu Stellung nehmen, ob eine Unterteilung in aktive Bereitschaft von dort 14,5 Stunden (30% des Lohnes) und 9,5 Stunden aktive Arbeitszeit (100% des Stundenlohnes) üblich und geboten sei.

Der Gutachter Herr Dr. med. W. J. hat am 14. Januar 2013 eine sozialmedizinisch-

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gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage gefertigt. Er habe im Wesentlichen ausgeführt: Der Versuch, einen derartigen Hilfebedarf in minutiöser Weise zu erfassen und eine Unterteilung in aktive Arbeitszeit und Bereitschaft vorzunehmen, könne nicht anders als völlig realitätsfern angesehen werden. Dies wäre in etwa so, wenn einer Nachtschwester im Krankenhaus oder einem Polizisten im Nachtdienst auf der Wache vorgerechnet würde, wieviel seiner Anweisenheitszeit aktiv gearbeitet werde und welcher Anteil Bereitschaftszeit sei mit dem Ziel, statt wie üblich einen Nachtzuschlag auf den Stundenlohn zu gewähren, die Vergütung für die Bereitschaft auf 30 Prozent des Stundenlohnes zu reduzieren. Anders würde es sich verhalten, wenn eine Bereitschafszeit dergestalt bestünde, dass eine Rufbereitschaft bestehe, bei der der Arbeitnehmer zu Hause verbleiben und seiner Freizeitgestaltung, d.h. eigenen Dingen nachgehen könne, dabei aber immer damit rechnen müsse, dass er gerufen werde und leistungsfähig erscheinen müsse. Hierzu sei als Beispiel die Rufbereitschaft eines Oberarztes oder eines Staatsanwaltes genannt, die selbstverständlich keinen vollen Stundensatz rechtfertigten. Solche Bereitschaft sei aber im vorliegenden Fall nicht praktikabel, da die erforderlichen Hilfestellungen (auch nachts) zu zahlreich und zu engmaschig seien, so dass eine Vorort-Anwesenheit unerlässlich sei. Gleichwohl sei es aber möglich, vor Ort gesetzlich geforderte Pausenzeiten einzuhalten und zu dokumentieren, wenn diese zeitlich flexibel bleiben müssten. Bei der Vergütung sei zu berücksichtigen, dass die Assistenz im vorliegenden Fall zwar nicht zwingend eine Berufsausbildung, gleichwohl aber sowohl im Hinblick auf die Studienassistenz einen gewissen Bildungsstand und für die pflegerischen Tätigkeiten einfühlsame sowie auch teilweise körperlich schwere Arbeit erfordere. Dies sei wesentlich anspruchsvoller als etwa ein reiner Mobilitätsdienst, um einen Klienten z.B. ins Kino zu begleiten, wofür ein geringerer Stundenlohn anzuwenden wäre.

Die Kammer schließt sich ungeachtet der teilweise in der Diktion von der Antragsgegnerin als etwas polemisch empfundenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. W. J. vom 14. Januar 2013 an, weil diese in der Sache in jeder Hinsicht überzeugend sind.

Auch die Kammer geht nach der eingehenden Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten davon aus, dass ungeachtet dessen, in welchen Abständen im Einzelnen der Antragsteller nun einer konkreten Hilfe durch seine Assistenten bedarf, eine 24-stündige Assistenz für ihn zur Aufrechterhaltung sämtlicher Pflege- und Teilhabebereiche zwingend erforderlich ist. Daraus folgt aber zugleich, dass dem Antragsteller dann auch der gesamte Umfang der von ihm auf dem "freien Arbeitsmarkt einzukaufenden Assistenzleistungen" auf geeignete Weise zu vergüten ist. Dabei wäre die von der Antragstellerin gewählte

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Berechnungsmethode möglicherweise dann nicht zu beanstanden, wenn - wie offenbar in dem vom SG Dortmund entschiedenen Hilfefall - das Gesamtergebnis, d.h. die Höhe des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden persönlichen Budgets dem Leistungsfall im Großen und Ganzen gerecht wird. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn die Antragsgegnerin würde dem Antragsteller für die von ihr "extrahierten" Zeiten der sog. "aktiven Bereitschaft" ernsthaft auf die Zahlung eines Stundenlohnes von 2,33 € netto (2012) bzw. 2,40 € (ab dem 1. Juli 2013) [30% des von der Antragsgegnerin nach der Pflegearbeitsbedingungsverordnung für Brandenburg zu Grunde gelegten Stundenlohnes von 7,75 € netto für 2012 bzw. ab dem 1. Juli 2013 von 8,00 netto] verweisen und damit der institutionalisiert in Kauf genommenen Zahlung von klar sittenwidrigen Löhnen durch den Antragsteller bewusst Vorschub leisten. Schon mit Blick auf die aktuellen Diskussionen zur Höhe eines flächendeckenden Mindestlohnes in der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von etwa 8,50 €, der vor allem auch für komplett "ungelernte und unqualifizierte" Personen gelten würde, erschließt sich, dass die von der Antragsgegnerin bewusst zum Nachteil des Antragstellers angewandte Berechnungsmethode keinen Bestand haben kann, zumal der Antragsteller - worauf auch der Sachverständige Dr. J. zutreffend hingewiesen hat - zwingend darauf angewiesen ist, vor allem auch verlässliches Assistenzpersonal zur Verfügung zu haben, um die Aufrechterhaltung seiner Pflege- und Teilhabeleistungen nicht zu gefährden. Dieses verlässliche Personal wird sich nach der Überzeugung der Kammer nicht finden lassen, wenn der Antragsteller diesen Personen insgesamt nur die Zahlung eines sittenwidrigen Lohnes anbieten kann, denn das wäre die zwingende Folge, wenn der Antragsteller darauf verwiesen wird, ihnen für Teile der Arbeitszeit 8,00 € netto zu zahlen und - für größere Teile - lediglich 2,40 € netto, was in Mittel immernoch lediglich 5,20 € netto sind. Die Antragsgegnerin bzw. konkret deren "Entscheidungsträger" haben es auf die Bitte des Gerichts in dem Erörterungstermin vom 18. Juni 2013 zum Parallelverfahren eines anderen Antragstellers (S 20 SO 139/12 ER), diese Problematik der Höhe der dann zu zahlenden Löhne mit Blick auf die Entscheidung über die Beibehaltung des dort gefundenen Kompromisses einzubeziehen, sogar unterlassen, sich wenigstens im Ansatz damit zu befassen, ob es im Interesse einer staatlichen Institution sein kann, einen schwerstbehinderten Menschen wie dem Antragsteller auf die Zahlung sittenwidriger Löhne im Rahmen der Gewährung eines vom Gesetzgeber gerade für diesen Personenkreis geschaffenen persönlichen Budgets zu verweisen.

Erweist sich die Berechnungsmethode der Antragsgegnerin nach alledem nicht als tragfähig, ist die Kammer im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht gehindert, eine eigene Sachentscheidung und Berechnung zur Höhe der dem Antragsteller vorläufig bis zur

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Entscheidung der Hauptsache, längstens bis zum 31. Juli 2014 zu gewährenden Leistungen, zu treffen. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:

Unter Zugrundelegung eines mit Blick auf die "Mischaufgaben" der vom Antragsteller angestellten Assistenten der Hilfe zur Pflege einerseits und der Eingliederungshilfe/Teilhabeleistungen andererseits der Höhe nach angemessenen Stundenlohnes von 7,50 € netto ergäbe sich bei einem durchschnittlichen Stundenvolumen von monatlich 730 Arbeitsstunden ein Betrag von 5.475,00 €. Zuzüglich eines überschlägig 23%-igen Arbeitgeberanteils von 1.259,25 € ergäbe sich rechnerisch ein Leistungsbetrag von 6.734,25 €. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kann es auch dahinstehen, ob die Leistungshöhe nach einzelnen Bedarfen (Eingliederungshilfe/Teilhabeleistungen bzw. Hilfe zur Pflege) aufzuteilen wäre.

Bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache, in der die Kammer ggf. eine genaue Berechnung der dem Antragsteller konkret zustehenden Leistungen im Rahmen der Gewährung des persönlichen Budgets vorzunehmen hat, ist dem Antragsteller der Betrag von 700,00 €, der ihm gesondert von der Barmer GEK - Pflegekasse - gezahlt wird, zu belassen. Der Antragsteller benötigt diese Summe als monatliche "Reserve", um Krankheits- und Urlaubszeiten seiner ausweislich der vorliegenden Arbeitsverträge jedenfalls zum großen Teil fest angestellten Mitarbeiter auszugleichen, in denen er diesen ihren Lohn jedenfalls für eine bestimmte Zeit fortzuzahlen hat und gleichzeitig Ersatzmitarbeiter beschäftigen muss, damit die ihm benötigten Hilfeleistungen im Umfang von 24 Stunden täglich sichergestellt sind. Die Kammer hält diese Summe vorläufig für angemessen, um die zusätzlichen Verpflichtungen des Antragstellers finanziell abzusichern. Auch wenn der Antragsteller nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin in dem gesamten Zeitraum des Erhalts des persönlichen Budgets teilweise nicht unerheblichen Anlass zu Beanstandungen im Rahmen der Abrechnung gegeben hat, wird die Höhe des im vergangenen Zeitraum benötigten finanziellen Rahmens einen Anhaltspunkt dafür geben, in welcher Höhe letztlich im Hauptsacheverfahren das persönliche Budget zu bestimmen sein wird.

Der darüber hinausgehende Antrag war abzulehnen. Nach der Überzeugung der Kammer ist der dem Antragsteller vorläufig zugesprochene Betrag erforderlich, aber auch ausreichend, um seinen Bedarf an Assistenzleistungen abzusichern. Zusätzliche Leistungen wie Urlaubs-/Weihnachtsgeld sowie Einarbeitungszeiten und Weiterbildungszeiten für die von ihm angestellten Assistenten waren bei der Berechnung der Höhe des persönlichen Budgets nicht zu

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berücksichtigen, weil der Antragsteller als Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, derartige Leistungen an seine Mitarbeiter zu erbringen und die Sozialgemeinschaft umgekehrt nicht für freiwillige Leistungen aufzukommen hat.

Die Kammer hat den Beginn der Leistungsgewährung wegen des eindeutigen Antrags des anwaltlich vertretenen Antragstellers ungeachtet der Antragserhebung am 8.2013 auf den 1. August 2013 festgesetzt, weil eine Leistungsgewährung über den ausdrücklich beantragten Zeitraum - hier ab dem 1. August 2013 - nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §193 SGG entsprechend und entspricht dem Anteil des Obsiegens und Verlierens der Beteiligten.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht Potsdam, Rubensstraße 8, 14467 Potsdam einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam, schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

H.
Richterin am Sozialgericht

Ausgefertigt

R.
Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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