Schriftliches Urteil vom 28.05.2013

Aus cvo6
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24 C 221/12

verkündet am 28.05.2013

Inhaltsverzeichnis

Amtsgericht Potsdam

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

C.
- Kläger -

  • Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwälte A S

gegen

1. Oliver Lenz, Carl-von-Ossietzky-Str. 6, 14471 Potsdam
- Beklagter zu 1. -

  • Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwältin Katja Damrow, Friedrich-Ebert-Str. 38, 14469 Potsdam; Az.: 697/12 -

2. H. L., ..., Potsdam
- Beklagte zu 2. -

  • Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwältin Katja Damrow, Friedrich-Ebert-Str. 38, 14469 Potsdam; Az.: 697/12 -

hat das Amtsgericht Potsdam

auf die mündliche Verhandlung vom 22.03.2013

durch Richter am Amtsgericht Dr. Sternberg

für R e c h t erkannt:

  1. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. ...

Tatbestand

Der Beklagten sind seit dem Jahre 1990 Mieter einer Wohnung in der Carl-von-Ossietzky-Straße sechs in Potsdam. Die Beklagten leben getrennt.
Der Kläger erwarb das Eigentum im Wege der Zwangsversteigerung mit Zuschlagsbeschluss vom 12.05.2011. Die Eintragung des Klägers in das Grundbuch erfolgte am 23.05.2011.
Mit Schriftsatz vom 01.07.2011 kündigte der Kläger das Mietverhältnis zum 31.3.2012 wegen Eigenbedarfs.
In dem Schreiben heißt es u.a.:
"Ich benötige die Wohnung ..., da ich von H. nach Berlin umziehen werde[...]."
Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf dieses verwiesen (vgl. Anlage K6, Bl. 19 d.A).
Mit Schreiben vom 26.12.2011 widersprachen die Beklagten der Kündigung. Wegen Einzelheiten des Schreiben wird dieses verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 06.05.2013 erklärte der Kläger, dass er die Kündigung auch auf den Umstand stütze, dass der Beklagte mit seinem Treppensteiger bereits mehrfach die Treppenstufen sowohl im Treppenhaus als auch im Flurbereich beschädigt habe.
Der Kläger behauptet, dass er die Wohnung für sich und seine Familie, nämlich seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind, das am ... in H. geboren worden sei, benötige. Der Kläger habe bereits beim Erwerb der Wohnung beabsichtigt, mit seiner Familie in die Wohnung einzuziehen, weil er seinen Lebensmittelpunkt und seinen künftigen Arbeitsplatz nach Potsdam und Berlin verlegen wolle. Keinesfalls habe der Kläger die Wohnung als Investment erworben. Die Tatsache, dass der Kläger in der Kündigung vom 1.7.2011 erklärt habe, dass er von H. nach Berlin umziehen wolle sei ungenau, er habe aber aufgrund der geographischen Lage Potsdam mit Berlin gleichgesetzt.
Überdies sei die Wohnung für den Beklagten nicht geeignet, da sie nicht behindertengerecht eingerichtet sei. Auch sei der Beklagte nicht auf eine Wohnung in dieser Größe angewiesen. Denn die Beklagte zu 2) wohne ebenso wie die Kinder nicht mehr bei den Beklagten. Darüber hinaus habe der Kläger dem Beklagten dazu auch Alternativ Wohnungen angeboten.
Der Kläger beantragt,
  • die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die im Hause Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam, 3. Obergeschoss links, belegene Wohnung, bestehend aus drei Zimmern, Bad und Balkon, zu räumen und geräumt eine Kläger herauszugeben.
Die Beklagten beantragen,
  • die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, dass der Kläger die Wohnung des Beklagten ausschließlich zum Zwecke der Kapitalanlage und des Weiterverkaufs erworben habe.

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Darüber hinaus leide der Beklagte zu 1) an einer „Primär Progredienter Multipler Sklerose“. Diese Form der multiplen Sklerose unterscheide sich vom bekannten Verlauf der Krankheit derart, dass die Symptome nicht in Schüben auftauchten, sondern stetig schlimmer werden würden. Zurzeit habe der Beklagte zu 1) eine Assistentin, die ihn für 8 Stunden täglich versorge, eine 24 Stunden Assistenz sei beantragt. Die restlichen Stunden würden von Familie, Freunden und Honorarkräften abgedeckt. Der Beklagte sei zu 100 % körperbehindert, habe Pflegestufe 3 sowie die Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert), B (Begleitung erforderlich), H (Hilflos) und RF (Rundfunkgebührenbefreit). Der Beklagte könne sich nicht alleine bewegen, der Rollstuhl könne nur mit Hilfe einer anderen Person bewegt werden. Die Wohnung des Beklagten sei behindertengerecht. Die Türen seien ausreichend breit für einen Rollstuhl, da es in der Wohnung mit der Ausnahme des größeren Raums, der nach der Sanierung der Wohnungen hinzugekommen sei, keine Schwellen gebe. Die zwei Treppenstufen dorthin könnten mit Hilfe überwunden werden. Die Lage der Wohnung im dritten OG stehe der Nutzbarkeit nicht im Wege, da der Beklagte zu 1) über eine Treppenraupe verfüge, die es ihm ermögliche, mit dem Rollstuhl die Treppen zu überwinden.
Durchaus habe der Beklagte vier Kinder. Die Kinder hätten zunächst alle in der Nähe gewohnt, der ältere Sohn sei mittlerweile zur Ausbildung nach Leipzig gezogen und komme nur alle 2 Wochen nach Potsdam. Der Beklagte sei körperlich nicht in der Lage, seine Kinder zu besuchen. Sie wohnten im 2. OG und in deren Haus könne die Treppenraupe nicht eingesetzt werden. Seine minderjährigen Kinder (geboren 1998 und 2002) schliefen regelmäßig bei ihm. Die erwachsenen Kinder besuchten ihn regelmäßig und würden ihm helfen. Auch sei den Nachbarn die Situation bekannt. Sie bilden eine Art Notfallnetz. Der Beklagte könne sich eine angemessene Wohnung nicht leisten, zumal eine solche kleiner sein würde, wodurch der Beklagte Probleme hätte, seine technischen Geräte dort unterzubringen. Auch sei anzunehmen, dass er in ca. 2-4 Jahren bettlägerig sein werde.
Das Gericht hat Beweis durch Einvernahme der Zeugen D., H., H. und F. L. sowie M. erhoben. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.03.2013 verwiesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf alle zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die Sitzungsniederschriften sowie die sonstigen Aktenbestandteile Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Das Mietverhältnis ist nicht durch die Kündigung des Klägers gem. § 573 II Nr. 2 BGB vom 01.07.2011 beendet worden.
Der Eigenbedarfskündigung des Klägers steht jedoch § 574 BGB entgegen, da dem berechtigten Interesse des Klägers und Vermieters an der Vertragsbeendigung im Rahmen einer Gesamtabwägung das Interesse des Mieters an einer Fortsetzung des Mietvertrages entgegensteht.
Der Kläger hat seine berechtigten Interessen an der Nutzung der Wohnung hinreichend dargetan. Auch steht nach der Einvernahme der Zeugin H. fest, dass der Kläger die Wohnung für sich und seine Familie benötigt.
Der Kündigung stehen jedoch die entgegenstehenden Interessen des Beklagten zu 1) entgegen, sodass das auch aus Art. 14 I GG herzuleitende Erlangungsinteresse des Klägers hinter den Bestandsinteressen der Beklagten gem. § Art 13 GG zurücktritt.
Gem. § 574 BGB sind unter Härtegründen auf Mieterseite alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können (vgl Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 10., Auflage, § 574 Rn 20). Hinsichtlich der Intensität des Nachteils sind jedoch Härtegründe von - unbeachtlichen - bloßen Unbequemlichkeiten abzugrenzen, die jeder Umzug mit sich bringt. Für den Eintritt relevanter Nachteile muss dabei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (Schmidt-Futterer/Blank a.a.O„ Rn 20) bestehen, so dass die lediglich theoretische Möglichkeit ihres Eintritts nicht ausreichend ist. Der Eintritt der Nachteile muss aber auch nicht mit absoluter Sicherheit feststehen (Schmidt/Futterer/Blank, a.a.O.) Andererseits muss

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keine sittenwidrige Härte vorliegen. Erforderlich ist, dass die Nachteile von einigem Gewicht sind.
Zwar führt der Gesundheitszustand des Beklagten zu 1), von welchem sich das Gericht in den mündlichen Verhandlungen einen Eindruck verschaffen konnte, nicht zwangsläufig zur Räumungsunfähigkeit des Beklagten zu 1). Jedoch ist im besonderen Maße zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) zu 100 % körperbehindert, Pflegestufe 3 nebst der Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert), B (Begleitung erforderlich), H (Hilflos) und RF (Rundfunkgebührenbefreit) besitzt.
Im Streitfall überwiegt das Interesse des Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses unter Berücksichtigung der Wertungen von Art. 1 I GG, 2 II GG, 12 I GG das von Art. 141 GG geschützte Interesse des Klägers.
Das Gericht konnte sich in den Verhandlungen einen Eindruck von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beklagten zu 1) machen. Dabei ist offensichtlich, dass der Beklagte zu 1) sich ohne fremde Hilfe nicht mehr fortbewegen kann.
Die Wohnung ist für den Beklagten zu 1) geeignet. Die Zeugin D. hat insoweit bekundet, dass ihre beiden gemeinsamen Kinder den Beklagten zu 1) besuchten und dass ein Besuch des Beklagten in ihrer Wohnung nicht möglich sei, da der Beklagte zu 1) dort die Treppenraupe nicht nutzen könne. Auch der Zeuge L. hat bestätigt, dass die Wohnung ausreichend groß sei, zumal dort auch ein Assistent oder eine Assistentin übernachten könne. Die Zeugin L. hat des Weiteren nachvollziehbar ausgesagt, dass die Wohnung für ihren Vater quasi zugeschnitten sei, da sich in der Wohnung noch ein Lifter, 2 Rollstühle und 2 Trainingsgeräte befänden.
Zu Gunsten des Bestandsinteresses der Beklagten ist auch zu berücksichtigen, dass die Lage der Wohnung dem Beklagten zu 1) auch eine Teilnahme am sozialen Leben leichter ermöglicht. So hat die Zeugin L. insoweit bekundet, die Wohnung mit dem Fahrrad 15 min entfernt sei und auf ihrem Weg zur Universität liege.

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Demgegenüber streiten die seitens des Klägers geltend gemachten Gründe nicht für sein überwiegendes Interesse am Erhalt der Wohnung. Richtig ist, dass der Kläger als Eigentümer der Wohnung durch die Mietnutzung seitens der Beklagten in seinem Eigentumsrecht aus Art. 14 I GG nicht unerheblich beeinträchtigt wird. Angesichts der in ihrer sozialen Bedeutung gewichtigen Wohnraummietrechte des Beklagten zu 1) ist in diesem Einzelfall bei der gegenwärtig vorzunehmenden Abwägung der Eigentums- gegen die Wohnungsinteressen denjenigen der Beklagten der Vorrang vor denjenigen des Klägers zu geben.
Das lediglich bei dem Beklagten zu 1), nicht aber bei der Beklagten zu 2), eine Härte vorliegt, ist unschädlich, da es bei mehreren Mietern ausreichend ist, wenn die Kündigung für einen eine Härte bedeutet (vgl. Häublein, in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl. 2012, § 574 Rn. 9).
Soweit der Kläger die Kündigung auf die Beschädigungen der Treppenstufen durch die Treppenraupe gründet, so ist dieser Vortrag bereits prozessual verspätet. Überdies stellt der Hinweis im Schriftsatz vom 06.05.2013 keine formal wirksame Kündigungserklärung dar und schließlich würde, die Richtigkeit des Vortrags unterstellt, dies auch keine Kündigung begründen, da es sich bei den behaupteten Schäden nicht um eine erhebliche Vertragsverletzung durch den Beklagen zu 1) handeln würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.
Streitwert: 2.172,36 €(§§3 ZPO, 41 GKG)
Dr. Sternberg
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