Widerspruchsbegründung des Widerspruchs vom 24.10.2012

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RA Peter Klink
Lennèstr. 71
14471 Potsdam

Landeshauptstadt Potsdam
Fachbereich Soziales, Gesundheit und Umwelt
Hegelallee 6/8, Haus 2
14469 Potsdam

Potsdam, den 28.03.2013
Mein Zeichen: 00014-13/PK/PK

Lenz, Oliver ./. Stadt Potsdam
Ihr Zeichen: 384 ...
hier: Widerspruchsbegründung des Widerspruchs vom 24. Oktober 2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

in der vorbezeichneten Angelegenheit wird der mit Schreiben vom 24. Oktober 2012 erhobene Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. September 2012 nunmehr wie folgt begründet:
Der Widerspruchsführer leidet an einer Form der Multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderungen der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Mißempfindungen, eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Es besteht eine häufig schnelle Erschöpfbarkeit und Müdigkeit.
Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Widerspruchsführer nicht laufen kann, mit seinen Armen und Händen kaum Sachen - vor allem filigrane Sachen wie Zahnbürsten u. ä. - halten und führen kann und häufig, d.h. mehrfach am Tage, Ruhezeiten wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit einlegen muss.
Der Widerspruchsführer ist seitens des Versorgungsamtes mit einem GdB von 100 verbeschieden worden. Zudem sind dem Widerspruchsführer die Merkzeichen "aG", "G", "B", "H" und "RF" zuerkannt.
Der Widerspruchsführer teilte in seiner Aufstellung der Widerspruchsgegnerin mit, dass er einen täglichen Hilfebedarf an Assistenz und Pflege in Höhe von tagsüber mindestens 16 Stunden und 56 Minuten hat.
Dabei ging der Widerspruchsführer zunächst von einem Pflegeaufwand von 425,2 Minuten aus, wobei er Hilfen für die Motomedbenutzung, Brille putzen, Reinigen des Rollators und der Rollstühle, Begleitung zur Physiotherapie sowie zum Arzt mit einbezogen hatte.
An hauswirtschaftlichem Zeitaufwand vermerkte der Widerspruchsführer 87,2 Minuten sowie an Assistenzen für Ablagen von Unterlagen diverser Vereine, Hilfe beim Schreiben von Mails, postings und wiki-texten, Eintragungen in den Terminkalender, Leeren des Briefkastens, Erledigung der Post, Bedienung der Treppenraupe, Auf- bzw. Abbau des und Umsetzen in den Stoßhebelrollstuhl bzw. in den Stehrollstuhl nebst diverser Handreichungen 147 Minuten.
Wöchentlich kommen nach Angaben des Widerspruchsführers an Assistenzen hinzu die Arbeitsgemeinschaft Go in der Montessori-Schule, der Go-Klub am Mittwoch im Neuen Palais und am Donnerstag in Spandau, Gesangsunterricht, Bewegungsbad, Singen im Hans-Beimler-Chor in Berlin, Zen-Meditation sowie abends mal ein Bier trinken. Der tägliche Aufwand hierzu beträgt 299,3 Minuten.
Monatlich kommen an Assistenzen hinzu eine Vorstandssitzung im Mieterverein Potsdam, eine Vorstandssitzung im Förderverein der Montessorischule Potsdam, eine Vorstandssitzung im Potsdamer Behindertenverband (jetzt nicht mehr), die Teilnahme am monatlichen Behindertenstammtisch, die Teilnahme am monatlichen Stammtisch vom Freifunk Potsdam. Der tägliche Aufwand hierbei beträgt 57 Minuten.
In der Nacht benötigt der Widerspruchsführer mehrfach Hilfe beim Wasserlassen und auch beim Trinken durch Reichung der Wasser- und Urinflaschen sowie bei spontan und unvermittelt einschießenden Spastiken.
Der Widerspruchsführer hat gegenüber der Widerspruchsgegnerin einen Anspruch auf Gewährung eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets im Arbeitgebermodell mindestens in dem beantragten Umfang.
Grundsätzlich setzt das persönliche Budget nach § 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX einen Anspruch auf Teilhabeleistungen bzw. andere budgetfähige Sozialleistungen voraus. Der behinderte Mensch hat die Möglichkeit und das Recht, diese Leistungsansprüche in Form von Geldleistungen als Alternative zu Sachleistungen zu verwirklichen. Als Budgetnehmer erhält der behinderte Mensch die ihm bewilligten Leistungen als Geldbetrag und kann aufgrund der Zielvereinbarung selbst darüber entscheiden, wann, wo, wie und durch wen er seine der Leistung zugrunde liegenden Bedarfe deckt und wie und wodurch die vereinbarten Ziele erreicht werden.
Beim trägerübergreifenden Persönlichen Budget umfasst die Rolle des Beauftragten im gesamten Verfahren von der Beantragung bis zum Bescheid und gegebenenfalls Widerspruch und Klage sowohl die Erstellung des Bescheides über noch festzustellende Grundansprüche auf Leistungen als auch die Funktion der Ermittlung, Ausführung und Koordination der Leistungsform des Persönlichen Budgets.
Die Ausführung des Persönlichen Budgets erfolgt dabei nach der Budgetverordnung (BudgetVO).
Gemäß § 3 der BudgetVO unterrichtet der nach § 17 Abs. 2 SGB IX zuständige Leistungsträger (Beauftragter) unverzüglich die an der Komplexleistung beteiligten Leistungsträger und holt von diesen Stellungnahmen ein. Insbesondere werden Stellungnahmen dazu eingeholt zu dem Bedarf, der durch budgetfähige Leistungen gedeckt werden kann, unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts nach § 9 Abs. 1 SGB IX. Die beteiligten Leistungträger sollen ihre Stellungnahmen innerhalb von zwei Wochen abgeben. Der Beauftragte und, soweit erforderlich, die beteiligten Leistungsträger beraten gemeinsam mit der Antrag stellenden Person in einem trägerübergreifenden Bedarfsfeststellungsverfahren die Ergebnisse der von ihnen getroffenen Feststellungen sowie die gemäß § 4 BudgetVO abzuschließende Zielvereinbarung.
Insbesondere sei an dieser Stelle noch auf die kurzfristige Durchführung des Verfahrens nach §§ 14, 15 SGB IX hingewiesen.
Die dem Widerspruchsführer zustehenden Ansprüche stellen sich - aufgrund der beim Widerspruchsführer vorliegenden gesundheitlichen Situation - wie folgt dar:
  • Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege gemäß § 61 Abs. 2 S. 1, 3 SGB XII. Bei Schwerstpflegebedürftigkeit (Stufe III), welche beim Widerspruchsführer vorliegt, hat der Widerspruchsführer Anspruch auf Pflegegeld in Höhe von 700,00 € sowie weitere Leistungen wie Aufwendungsersatz, Beihilfen und Alterssicherungsbeiträge, Pflegekraftübernahme, Kommunikationshilfen, Kosten von Beratung und Entlastung
  • Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII, wobei diese Leistungen neben den Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX bestehen. Hier seinen insbesondere Leistungen wie Kosten der Begleitperson nach der Eingliederungs-Hilfeverordnung genannt
  • Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 26 SGB IX
  • Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemäß § 55 SGB IX, hier insbesondere Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX. Die einzelnen, hierzu zu zählenden Leistungen, regelt § 58 SGB IX. Dort heißt es, dass die Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben vor allem Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen (Nr. 1), Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen (Nr. 2) oder die Bereitstellung von Hilfsmitteln, die der Unterrichtung über das Zeitgeschehen oder über kulturelle Ereignisse dienen, wenn wegen der Art und Schwere der Behinderung anders eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nur unzureichend möglich ist (Nr. 3).
  • Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V für die Medikamentengabe 3 x täglich/7 x wöchentlich sowie das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe
  • Anspruch auf Leistungen zur Mobilität gem. §§ 53, 54 SGB XII iVm §§ 55, 58 SGB IX für seine Mobilität in Form der Begleitung zu den Therapien sowie zu den diversen Vereinen und Tätigkeiten (z.B. Führung der Arbeitsgemeinschaft GO in der Montessorischule), seine Assistenz bei der Bearbeitung von Unterlagen im Rahmen seiner Tätigkeiten als Schatzmeister in verschiedenen Vereinen
Derartige Leistungen (Mobilität sowie zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) hat die Widerspruchsgegnerin bislang beharrlich verweigert bzw. nur mit einem täglichen Zeitaufwand von 2 Stunden (!!!) genehmigt und trotz der detailliert aufgeschlüsselten Bedarfsfeststellung nicht vollständig akzeptiert, so dass der Widerspruchsführer durch das Verhalten der Widerspruchsgegnerin bei diesen Bedarfen fast zur Unbeweglichkeit gezwungen wird. Eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschft als auch die notwendige Begleitung zu den diversen Therapien kann daher für den Widerspruchführer nicht im notwendigen Umfange stattfinden.
Der Widerspruchsführer benötigt aufgrund seiner Erkrankung bei sämtlichen Unternehmungen und Handreichungen Hilfe bzw. Unterstützung durch eine Assistenz. Er ist nicht in der Lage selbständig in den Rollstuhl zu gelangen, sich anzuziehen oder auszuziehen, sich umzusetzen oder umzulagern, seine Urinflasche zu nutzen, seine Hygiene beim Toilettengang selbst zu organisieren oder ähnliche Verrichtungen vorzunehmen.
Exemplarisch sei hier nur die Situation des Weges zu einer Therapie aufgeführt:
Der Widerspruchsführer muss angezogen werden, der Rollstuhl muss entsprechend hergerichtet werden (Fußstützen), der Widerspruchsführer muss in den Rollstuhl gehoben und platziert werden, der Widerspruchsführer muss die drei Etagen mit der Treppenraupe nach unten begleitet werden, dann erfolgt die Begleitung zur Therapie (Schieben des Rollstuhles), bei der Therapie muss der Widerspruchsführer in den Raum der Therapie geschoben werden, dort muss er ausgezogen werden, gegebenenfalls muss er auf die Toilette begleitet werden, nach der Therapie muss der Widerspruchsführer wieder angezogen werden, aus den Räumlichkeiten geschoben werden, wieder nach Hause geschoben werden, mit der Treppenraupe wieder nach oben in seine Wohnung gebracht und begleitet werden und dort ausgezogen und entsprechend umgesetzt werden.
Dieser Vorgang dauert ca. 3 Stunden, wobei eine Stunde beim Therapeuten zugebracht wird. Die Kosten für die Therapie selbst übernimmt die Krankenkasse des Widerspruchsführers in Form einer Sachleistung. Für alle anderen Verrichtungen benötigt der Widerspruchsführer Hilfe anderer Personen, d.h. Assistenz. Da der Widerspruchsführer mittlerweile täglicher, teilweise sogar zweimal am Tag, Therapien erhält, ist allein hierfür eine zusätzliche Genehmigung von täglich mindestens 3 Stunden Eingliederungshilfe bzw. Assistenz notwendig. Denn der/die Assistenz muß auch während der Therapie anwesend sein, um eventuell den Widerspruchsführer auf die Toilette zu begleiten und ihm dort behilflich zu sein.
Aufgrund der beim Widerspruchsführer unstreitig vorliegenden Grunderkrankung sowie weiteren gesundheitliche Einschränkungen hat er einen Anspruch auf die oben benannten Leistungen für einen Zeitraum von 24 Stunden für 7 Tage in der Woche.
Die vom Widerspruchsführer der Widerspruchsgegnerin übergebene Zeitaufstellung entspricht grundsätzlich den Ansprüchen, die der Widerspruchsführer gegenüber den einzelnen Leistungsträgern hat und die im Rahmen seines Antrages auf ein Persönliches Budget im Arbeitgebermodell monatlich in Form des beantragten Geldbetrages mindestens zur Verfügung gestellt werden müssen.
Dabei dürfen die Leistungen der Behandlungspflege oder Eingliederungshilfe sowie Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht ausschließlich auf die reinen Verrichtungstätigkeiten begrenzt werden, sondern auch die notwendigen Beobachtungszeiten umfassen. Mithin darf die Widerspruchssgegnerin nicht – wie bislang geschehen – die Kostenübernahmen auf die reinen Maßnahmen begrenzen (Urteil des BSG vom 10. November 2005, Az.: B 3 KR 38/04 R, Urteil des SG Leipzig vom 12. Februar 2004, Az.: S 13 KR 25/03). Die Behandlungspflege findet beim Widerspruchsführer nicht nur punktuell statt, sondern beginnt gegen 08.00 Uhr morgens und endet in dem Augenblick, wenn der Widerspruchsführer zu Bett geht. In der Nacht benötigt der Widerspruchsführer wegen der bei ihm unregelmäßig, aber immer wiederkehrenden, einschießenden Spastiken ebenfalls durchgehende, wenn auch eingeschränkte, Behandlungspflege. Im Übrigen wird Bezug genommen, auf die vom Widerspruchsführer bei der Widerspruchsgegnerin eingereichten und mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung noch einmal eingereichten Stundenübersichten, aus denen sich der Tagesablauf des Widerspruchsführer und seine Bedarfe ergeben.
Die notwendige Höhe des monatlichen Finanzbedarfs des Widerspruchsführers ergibt sich aus der anliegenden Übersicht.
Dabei wird von einem Stundensatz von brutto 9,42 € ausgegangen; am Tag, über 14 Stunden 100%, d. h. vollem Assistenzbedarf, sowie über einen Zeitraum von 10 Stunden 50%, da es sich hierbei um Zeiten mit eingeschränktem Assistenzbedarf handelt.
Da der Widerspruchsführer an 365 Tagen Anspruch auf die oben benannten Ansprüche hat, ergibt sich ein jährlicher Bedarf in Höhe von 65.372,45 €. Hinzu kommen Einmalbezüge der Assistenten in Höhe von 50% für Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von jährlich 5.447,70 €, Pauschalen für Krankheit, Einarbeitung, Weiterbildung, Feiertage und Urlaub in Höhe von 17.898,00 € im Jahr. Weiterhin sind zu berücksichtigen die Arbeitgeberanteile für Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung in Höhe von jährlich 19.469,20 €, steuer- und sozialversicherungsfreie Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit in Höhe von jährlich 9.400,37 €, abzüglich einer Erstattung der fiktiven Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 4.740,50 €. Letztlich sind hinzuzuaddieren die Kosten der Berufsgenossenschaft, der Unterkunftskosten, pauschalierter Regiekosten ohne Nachweise, Kosten der Lohnabrechnung (Steuerberater) sowie Kosten der Begleitperson nach §§ 22, 23 Eingliederungshilfeverordnung, mithin noch einmal zusätzliche Kosten in Höhe von jährlich 5.150,00 €. Die Gesamtkosten belaufen sich für den Widerspruchsführer somit auf jährlich mindestens 118.263,22 € und monatlich 9.855,27 €.
Es wird erwartet, dass dem Widerspruch vollumfänglich abgeholfen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Klink
Rechtsanwalt

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