Begruendung der Klageerwiderung
Kanzlei
Katja Damrow
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Amtsgericht Potsdam
Hegelallee 8
14467 Potsdam
28. Juni 2012
Aktenzeichen: 24 C 221/12 Unser Zeichen: 697/12
In der Sache
Lenz ./. Cizmic
begründe ich die Klageerwiderung wie folgt:
Der Kläger ist Inhaber einer Firma, die vorwiegend für Kunden Immobilienobjekte als Geldanlage kauft. Im Fokus stehen dabei "unterbewertete Immobilien" im Raum Berlin.
- Beweis: Augenscheinnahme der Internetseite http://www.jci-online.de
Ich behaupte, dass der Kläger die Wohnung des Beklagten ausschließlich zum Zwecke der Kapitalanlage oder des Weiterverkaufs erworben hat.
In seinem Portfolio auf seiner Webseite erklärt der Kläger, dass er u. a. die Wohnung des Beklagten zum Zwecke des Investments erworben hat. Dort steht:
- Wir investieren für Sie - individuell ausgerichtet an Ihren persönlichen Möglichkeiten und Zielen. Bei der Objektidentifizierung legen wir Wert auf hohes Ertrags- und nachhaltiges Wertsteigerungspotenzial. Hier sehen Sie einige Investments, die wir in der Vergangenheit für unsere Kunden und uns selbst getätigt haben. Als Beispiel wird die Wohnung des Beklagten aufgeführt.
- Beweis: Augenscheinnahme der Internetseite http://www.jci-online.de
Ausdruck der entsprechenden Seite als Screenshot . Anlage B 1 -
Er legte dabei Wert auf Wertsteigerungsmöglichkeiten des Objekts.
Der Beklagte steht dem Kläger aufgrund der geringen Miete bei der Wertsteigerung im Weg. Deshalb versucht der Kläger, den Beklagten zu kündigen.
Ich gehe davon aus, dass der Kläger die Wohnung ohne Mieter verkaufen möchte.
Ich bestreite, dass der Kläger in die Wohnung des Beklagten einziehen möchte.
Ich bestreite mit Nichtwissen, dass der Kläger mit Frau O. H. zusammen in die Wohnung ziehen möchte.
Ich bestreite mit Nichtwissen, dass J. M. Cimzic das gemeinsame Kind des Klägers und Frau H. ist.
Der Kläger gibt an, dass er nach Berlin ziehen möchte. Dies war bereits der Grund in der Kündigung an den Beklagten.
Wenn der Beklagte aus der Wohnung auszieht, hat der Kläger weiterhin keine Wohnung in Berlin. Der Beklagte wohnt in Potsdam. Potsdam ist die Landeshauptstadt von Brandenburg und kein Teil von Berlin.
Der Kündigungsgrund „Wunsch des Umzugs nach Berlin“ kann mit der Kündigung nicht erreicht werden.
Zum Widerspruch:
Der Beklagte leidet unter Primär Progredienter Multipler Sklerose.
- Beweis: U.a. http://www.cvo6.de/MS/Epikrisen/AHB_2009_2.jpg (Epikrise einer Anschlußheilbehandlung von 2009)
Die Krankheit wurde 2001 beim Beklagten diagnostiziert. Diese Form der Multiplen Sklerose unterscheidet sich vom bekannten Verlauf der Krankheit derart, dass die Symptome nicht in Schüben auftauchen, sondern stetig schlimmer werden. Die Prognose einer Primär Chronisch Progredienten Multiplen Sklerose ist schlechter als bei der gewöhnlichen Verlaufsform von MS.
Der Beklagte ist mittlerweile zu 100% körperbehindert, hat die Pflegestufe III sowie die Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert), B (Begleitung erforderlich), H (hilflos) und RF (rundfunkgebührenbefreit).
- Beweis: Schreiben des Versorgungsamtes vom 16.11.2011, siehe: http://www.cvo6.de/Wiki/index.php?title=SBA
Der Beklagte hat entgegen der Behauptung in der Klage keinen Pflegedienst, der ihn versorgt. Momentan lebt er mit einem „Persönlichen Budget“. Er hat am 18.07.2011 16 h Assistenz täglich beantragt. Am 29.05.2012 wurden ihm von der Stadt Potsdam 8 h täglich genehmigt.
Damit kann er notdürftig und eher schlecht als recht leben, die restlichen Stunden werden von Familie und Freunden ehrenamtlich gedeckt. Es ist beabsichtigt, die Assistenz auch für die Nacht zu beantragen, denn wie schon die Pflegestufe 3 aussagt, besteht auch nachts.
- Beweis: ...
Der Beklagte kann sich allein nicht bewegen. Der Rollstuhl kann nur mit Hilfe einer anderen Person bewegt werden.
Die Wohnung ist behindertengerecht: Die Türen sind ausreichend breit für einen Rollstuhl. Es gibt keine Schwellen in der Wohnung.
Einzige Ausnahme ist der größere Raum im hinteren Teil der Wohnung. Hier sind zwei Treppenstufen zu überwinden. Diese Treppenstufen bilden jedoch kein nennenswertes Hindernis, weil der Beklagte sich allein in keinen Raum bewegen kann. Er ist stets auf Hilfe angewiesen. Für die Hilfe sind die zwei Treppenstufen jedoch kein Problem, sie können mit dem Rollstuhl überwunden werden. Hier hätte auch eine Schräge eingebaut werden können. Dies ist aber nicht nötig.
Die Lage der Wohnung im 3. OG steht der Nutzbarkeit nicht im Wege. Der Beklagte hat eine sogenannte Treppenraupe, die es ihm ermöglicht, mit dem Rollstuhl die Treppen zu überwinden. Das Gericht kann sich unter http://www.youtube.com/watch?v=B9-gvEoHiOI einen Eindruck von der Treppenraupe und der Situation im Hausflur verschaffen. Der Film zeigt den Beklagten bei der Nutzung seiner Treppenraupe.
Als er 2010 noch in einem "guten" Zustand war, sah sein treppengehen so aus: http://www.youtube.com/watch?v=I4EUtPTbjCA
Der zur Verfügung stehende Raum in der Wohnung dient dem gesellschaftlichen Leben des Beklagten. Aufgrund seiner eingeschränkten Beweglichkeit finden Vereinsversammlungen, Spieleabende und sonstige gesellschaftliche Zusammenkünfte in der Wohnung des Beklagten statt. Das führt dazu, dass der Beklagte trotz seiner Krankheit sozial nicht verarmt.
Der Beklagte hat vier Kinder. Seine beiden minderjährigen Kinder (Jg. 1998 und 2002), für die er das Sorgerecht hat, haben Nebenwohnsitz bei ihm und schlafen regelmäßig bei ihm (in der Schulzeit jeden Freitag zu Samstag). Ansonsten wohnen sie einige Straßen weiter, in der Kantstr. 11 b und können so ihren Vater regelmäßig besuchen. Der Beklagte ist körperlich nicht in der Lage, seine Kinder zu besuchen. Sie wohnen im 2. OG und das enge Treppenhaus gestattet das Manövrieren mit einer Treppenraupe nicht. Darüberhinaus ist das Bad dort zu eng um mit dem Rollstuhl das WC-Becken zu erreichen.
- Beweis: Zeugnis von Michaela Donle, zu laden über die Adresse Kantstr. 11 b, 14471 Potsdam.
Seine erwachsenen Kinder (21 und 23 Jahre) kommen regelmäßig und helfen dem Beklagten.
- Beweis: Zeugnis von Heinrich und Friederike Lenz, zu laden über die Beklagte Frau H. Lenz (Mutter von Heinrich) und zu laden über die Adresse Auf dem Kiewitt 9, 14471 Potsdam (Friederike).
Die Mutter des Beklagten wohnt ebenfalls in der Nähe, in der Zeppelinstraße 170. Sie hilft regelmäßig und kann in Notfällen schnell vor Ort sein.
- Beweis: Zeugnis von Frau L., zu laden Zeppelinstraße 170/5, 14471 Potsdam.
Die Nachbarn kennen die Situation des Beklagten und bilden daher eine Art Notfallnetz. Beispiel: Am 18.02.2012 war der Beklagte allein. Er beugte sich im Rollstuhl herab um etwas aufzuheben und war nicht mehr in der Lage sich aufzurichten, konnte aber aufgrund der Kniestützen auch nicht aus dem Rollstuhl heraus. Er schrie solange um Rettung, bis die Nachbarin Eva Müller dies hört und ihn erlöste.
- Beweis: Zeugnis der Frau Eva Müller, zu laden Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam.
Der Beklagte wohnt seit 1990 in der Wohnung, er ist derart in das soziale Umfeld eingebunden, dass ein Umzug bedeuten würde, dass er nicht mehr so gut versorgt wäre. Es fielen die lebensnotwendigen Hilfen aus der mittelbaren und unmittelbaren Umgebung weg.
Aufgrund der Leerstandsquote in Potsdam in Höhe von ca. 1,1 % ist es dem Beklagten nahezu unmöglich, eine neue Wohnung zu finden, die eine ähnliche Struktur gewährleistet.
Abgesehen davon wäre eine neue Wohnung bedeutend kleiner, so dass weder seine Kinder bei ihm schlafen könnten, noch ein Raum für gesellschaftliches Leben zur Verfügung stünde, noch er seine technischen Hilfsmittel unterbringen könnte. Seine technischen Hilfsmittel sind z. Zt.:
- zwei Rollstühle, davon ein sog. "Stehrollstuhl"
- Personenlifter (Aufrichtlifter)
- Treppenraupe
- Toilettenstuhl
Dem Gericht dürfte aus seiner Praxis hinlänglich bekannt sein, dass Wohnungen für ca. 400 EUR. warm sehr klein sind und höchstens an den Randgebieten Potsdams, nicht aber in Potsdam-West zu bekommen sind.
Der Beklagte wird in ca. 2-4 Jahren bettlägerig sein (Aussage der Assistentin Frau W., einer erfahrenen Pflegerin). Bis dahin kann er nicht aus seinem Umfeld gerissen werden, welches ihm ein erträgliches Maß an normalen Leben ermöglicht. Inwieweit ein Umzug im Falle der Bettlägrigkeit zumutbar ist, müsste dann entschieden werden.
Auf jeden Fall erfordert der nächtlich bestehende Hilfebedarf ein gesondertes "Assistenzzimmer". Spätestens bei einer 24-h-Assistenz, die deutlich absehbar ist, ist ein Assistenzzimmer zwingend (!) erforderlich, da die Assistenten dann einen Schlaf- und Wohnraum benötigen. Sein zunehmender nächtlicher Hilfebedarf geht unter anderen aus seinem Bescheid für sein persönliches Budget hervor.
- Beweis: http://www.pbvev.de/...
Eine persönliche Bemerkung des Beklagten: Herr Cizmic hat 2011 die Wohnung des Beklagten im Zwangsversteigerungsverfahren erworben. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Informationen über die Lebenssituation des Beklagten öffentlich zugänglich, denn sie ist auf seiner Homepage http://www.cvo6.de seit Jahren und vollständig dokumentiert. Andere Wohnungsinteressenten riefen bei dem Beklagten an und ließen sich von ihm persönlich informieren. Wieder ein anderer Wohnungsinteressent war persönlich vor Ort. Herr Cizmic hätte klar sein müssen, was eine Wohnungskündigung für den Beklagten bedeutet. Wenn Herr Cizmic trotz aller zur Verfügung stehender Informationen die Wohnung (für 145.000 €) erwirbt, dann ist das einfach nur fragwürdig.
Im Übrigen wurde dem Beklagten nach Umwandlung der Wohnung in Sondereigentum im Jahre 2001 kein Vorkaufsrecht nach § 577 BGB eingeräumt.
Ich stelle zu.
Katja Damrow
Rechtsanwältin