Polyamorie

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(Umgang mit Eifersucht)
(Kinder in polyamoren Familien)
 
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==Formen, Benennungen und Beziehungskonstellationen==
 
==Formen, Benennungen und Beziehungskonstellationen==
   
Die gelebten und praktizierten Formen der Polyamory können viele verschiedene Formen annehmen, da jede einzelne Beziehung einzigartig ist und sich von anderen unterscheiden kann. Es gibt verschiedene Bezeichnungen für diese Beziehungsstrukturen, wobei diese jedoch nicht durchgehend einheitlich verwendet werden.
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Häufig gibt es eine Hauptbeziehung (engl. „primary relationship“; deutsch: Primärbeziehung) oder Partnerschaft zwischen zwei (oder mehr) Partnern, die zusammen leben, wobei aber jeder der Partner nebenher noch weniger intensive oder enge Liebschaften oder Geliebte (engl. „secondary relationships“; deutsch: Sekundärbeziehung) hat, etwa entsprechend nicht zusammen wohnenden Paaren.
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Zusätzlich können noch „tertiary relationships“(Tertiäbeziehungen) hinzukommen, zum Beispiel erweiterte, Sexualität beinhaltende Freundschaften („Friends with benefits, intimate friendships“) mit Personen, welche häufig weiter entfernt wohnen. Ein Teil der Menschen, die Polyamory praktizieren, lehnt aber das Konzept einer Hierarchie von Beziehungspartnern eher ab, da es den individuellen Personen nicht gerecht werden könne. Andere stellen auch die Dichotomie, mit Menschen entweder in einer Beziehung oder in keiner Beziehung zu sein, in Frage. Kritiker dieser Sichtweise betonen die Wichtigkeit einer Offenlegung und Anerkennung real bestehender Prioritäten, so dass alle Beteiligten um ihre Position wissen.
   
Häufig gibt es eine Hauptbeziehung (engl. „primary relationship“) oder Partnerschaft zwischen zwei (oder mehr) Partnern, die zusammen leben, wobei aber jeder der Partner nebenher noch weniger intensive oder enge Liebschaften oder Geliebte (engl. „secondary relationships“) hat, etwa entsprechend nicht zusammen wohnenden Paaren. Zusätzlich können noch „tertiary relationships“ hinzukommen, zum Beispiel erweiterte, Sexualität beinhaltende Freundschaften („Friends with benefits, intimate friendships“) mit Personen, welche häufig weiter entfernt wohnen. Ein Teil der Menschen, die Polyamory praktizieren, lehnt aber das Konzept einer Hierarchie von Beziehungspartnern eher ab, da es den individuellen Personen nicht gerecht werden könne. Andere stellen auch die Dichotomie, mit Menschen entweder in einer Beziehung oder in keiner Beziehung zu sein, in Frage. Kritiker dieser Sichtweise betonen die Wichtigkeit einer Offenlegung und Anerkennung real bestehender Prioritäten, so dass alle Beteiligten um ihre Position wissen.[50]
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Es kann auch vorkommen, dass eine Gruppe von Menschen ein exklusives Netzwerk bildet, dessen Mitglieder jeweils nur untereinander emotionale und sexuelle Beziehungen haben. Dies wird oft „Polyfidelity“ genannt. Auch verbindliche Partnerschaften zwischen mehr als zwei Menschen (Group Marriages), Beziehungsnetzwerke von Menschen, die nicht mit jemandem zusammen leben (Intimate Networks), bis hin zu „erweiterten Freundschaften“, welche Sexualität als zusätzliche Option beinhalten, kommen vor. Schließlich gibt es den Begriff Stamm oder Clan, bei denen die Beziehungspartner erweiterten Lebensgemeinschaften, beispielsweise Kommunen angehören.
   
Liegt der Schwerpunkt auf der sexuellen Nicht-Ausschließlichkeit, wird dies oft als „Offene Ehe“ oder „Offene Beziehung“ bezeichnet. Sofern vereinbart wird, keine Liebesbeziehungen außerhalb der Hauptbeziehung entstehen zu lassen, liegt genau genommen keine Praxis von Polyamory vor.
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Weiterhin gibt es mono-polyamore Beziehungen, in denen von zwei Partnern einer mehrere Beziehungen hat, während der andere den weiteren Beziehungen des ersten zustimmt, selber aber keine zusätzliche Beziehung möchte. Solche „1:N-Beziehungen“, in denen ein Teil eines Paares sich monogam verhält und der andere mehrere Beziehungen hat, können durchaus glücklich sein. Zur Unterscheidung wird gelegentlich eine monogame Beziehung zweier Menschen, als Eins-zu-Eins-Beziehung bezeichnet.
   
Es kann auch vorkommen, dass eine Gruppe von Menschen ein exklusives Netzwerk bildet, dessen Mitglieder jeweils nur untereinander emotionale und sexuelle Beziehungen haben. Dies wird oft „Polyfidelity“ genannt, dieser Begriff bezeichnet manchmal jedoch auch Polyamory im Allgemeinen. Auch verbindliche Partnerschaften zwischen mehr als zwei Menschen (Group Marriages), Beziehungsnetzwerke von Menschen, die nicht mit jemandem zusammen leben (Intimate Networks), bis hin zu „erweiterten Freundschaften“, welche Sexualität als zusätzliche Option beinhalten, kommen vor. Der Begriff Group Marriage wurde von einigen Autoren fiktionaler Werke wie Robert Heinlein in Fremder in einer fremden Welt und The Moon Is a Harsh Mistress, Robert Rimmer und Valentine Starhawk popularisiert. Schließlich gibt es den Begriff Stamm oder Clan, bei denen die Beziehungspartner erweiterten Lebensgemeinschaften, beispielsweise Kommunen angehören.
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Beziehungen zwischen Menschen, die Polyamory praktizieren möchten, und solchen, die einen monogamen Partner wünschen, sind dagegen im Allgemeinen konfliktträchtig und werden häufig vermieden, denn Versuche, die eigene Orientierung oder diejenige des Partners hin zu polyamoren oder monogamen Beziehungen beeinflussen zu wollen, schlagen in aller Regel fehl.
   
Weiterhin gibt es mono-polyamore Beziehungen, in denen von zwei Partnern einer mehrere Beziehungen hat, während der andere den weiteren Beziehungen des ersten zustimmt, selber aber keine zusätzliche Beziehung möchte. Solche „1:N-Beziehungen“, in denen ein Teil eines Paares sich monogam verhält und der andere mehrere Beziehungen hat, können durchaus glücklich sein. Zur Unterscheidung wird gelegentlich die Beziehung zweier Menschen, die wechselseitige Monogamie vereinbaren, als Eins-zu-Eins-Beziehung bezeichnet.
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Für die Stellung von einzelnen Personen zueinander haben sich, besonders in englischsprachigen elektronischen Medien, bestimmte „geometrische“ Bezeichnungen eingebürgert. Dabei wird als „V (engl. Vee)“ bezeichnet, wenn eine Person zu zwei anderen eine enge Beziehung hat. Ebenso gibt es „N“, „Z“, und „W“.
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Als „Triade“ wird bezeichnet, wenn drei Menschen untereinander eine enge Beziehung haben, was nur selten vorkommt, und als „Quad“ eine Partnerschaft oder Gruppenehe von vier Personen. Eine Paarbeziehung zwischen zwei Personen wird „Dyade“ genannt. Viele solcher Beziehungen sind sehr langlebig, wenn sie eine gewisse Vertrautheit und Stabilität einmal erreicht haben. Auch liebevolle Beziehungen, die keine Sexualität beinhalten, können gegebenenfalls als polyamor bezeichnet werden.
   
Beziehungen zwischen Menschen, die Polyamory praktizieren möchten, und solchen, die einen monogamen Partner wünschen, sind dagegen im Allgemeinen konfliktträchtig und werden häufig vermieden, denn Versuche, die eigene Orientierung oder diejenige des Partners hin zu polyamoren oder monogamen Beziehungen beeinflussen zu wollen, schlagen in aller Regel fehl.[51] Ein Teil der polyamoren Menschen, der sich dessen meist wohl bewusst ist, betrachtet sich als in der Lage, wahlweise sowohl in mehrfachen als auch in ausschließlichen Beziehungen gleich glücklich zu leben, und die Bereitschaft polyamorer Individuen, sich auf experimentelle Beziehungen zu Personen einzulassen, deren Orientierung und Bedürfnisse unsicher sind, variiert stark.
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==Polyamore Vernetzungen==
   
Für die Stellung von einzelnen Personen zueinander haben sich, besonders in englischsprachigen elektronischen Medien, bestimmte „geometrische“ Bezeichnungen eingebürgert. Dabei wird als „V (engl. Vee)“ bezeichnet, wenn eine Person zu zwei anderen eine enge Beziehung hat. Ebenso gibt es „N“, „Z“, und „W“. Als „Triade“ wird bezeichnet, wenn drei Menschen untereinander eine enge Beziehung haben, was nur selten vorkommt, und als „Quad“ eine Partnerschaft oder Gruppenehe von vier Personen. Eine Paarbeziehung zwischen zwei Personen wird „Dyade“ genannt. Viele solcher Beziehungen sind sehr langlebig, wenn sie eine gewisse Vertrautheit und Stabilität einmal erreicht haben. Auch liebevolle Beziehungen, die keine Sexualität beinhalten – zum Beispiel weil diese die Vereinbarungen bestehender Beziehungen verletzen würde – können gegebenenfalls als polyamor bezeichnet werden. Jede Konstellation hat ihre eigene Struktur und Dynamik, die sehr komplex sein kann. Zum Beispiel wird für Quads, die aus zwei Dyaden gebildet werden, von manchen Autoren die Tendenz berichtet, eine Person abzuspalten und eine Triade zu bilden.[52]
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Im deutschsprachigen Raum finden seit Ende der 1990er Jahre regionale Treffen statt, deren Häufigkeit und Verbreitung beständig zunimmt. Seit April 2008 richtet der im gleichen Jahr gegründete Verein PAN e. V. zweimal jährlich überregionale Treffen für den deutschsprachigen Raum aus.
Polyamore Vernetzungen
 
Allgemeines
 
Polyamory Pride, San Francisco, 2004
 
   
Polyamory praktizieren heute vor allem Menschen, die sich als kleine Minderheit von möglicherweise mehreren hunderttausend bis hin zu wenigen Millionen Personen teils über einen lebhaften Austausch im World Wide Web vernetzen, teils über regionale Treffen organisieren. Neben den USA mit den Zentren Kalifornien / San Francisco Bay Area und Massachusetts haben sich auch in England und den Niederlanden Verbreitungsschwerpunkte entwickelt.[53] Daneben gibt es Ansätze von polyamoren Vernetzungen in praktisch allen westeuropäischen Ländern und vielen weiteren Teilen der Welt.[54] Im deutschsprachigen Raum finden seit Ende der 1990er Jahre regionale Treffen statt, deren Häufigkeit und Verbreitung beständig zunimmt. Seit April 2008 richtet der im gleichen Jahr gegründete Verein PAN e. V. zweimal jährlich überregionale Treffen für den deutschsprachigen Raum aus.
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Statistische Zahlen über Menschen, die in mehrfachen Beziehungen leben, können nur geschätzt werden.
   
Statistische Zahlen über Menschen, die in mehrfachen Beziehungen leben, können nur geschätzt werden. Im Rahmen einer Diskussion über ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert,[55] welches das Zusammenleben mehrerer Partner in Kanada unter Strafe stellt,[56] nannte die „Canadian Polyamory Advocacy Association“ (CPAA) bei einer Anhörung im kanadischen Supreme Court eine gesicherte Zahl von 1120 einzeln bekannten polyamoren Familien, und eine geschätzte Zahl von 17.000 Familien. Die Zahl allein lebender polyamorer Menschen in Kanada wurde auf etwa 550.000 geschätzt.[57][58] Zufolge der CPAA ist die wahrscheinliche Zahl von in egalitären polyamoren Beziehungen lebenden Menschen um ein Vielfaches höher als jener in patriarchal strukturierten polygynen Familien von fundamentalistischen Strömungen der Mormonen oder traditionell lebenden Hmong, und mindestens so hoch wie die Minderheit polygyn lebender kanadischer Muslime, vermutlich jedoch deutlich höher.
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Ein überdurchschnittlich hoher Anteil dieser Menschen ist bisexuell orientiert, es sind jedoch alle sexuellen Orientierungen vertreten. Berührungen und Überschneidungen der Subkultur der Polyamory existieren außer mit der Bi-Bewegung, mit der BDSM-Szene, der Neotantra-Szene, der Queer-Bewegung sowie mit Teilen der lesbischen und schwulen Bewegung, und der linken Subkultur, welche die konventionelleren Beziehungsformen unter dem Stichwort „Romantische Zweierbeziehung“ hinterfragt und diskutiert.
   
Ein Teil dieser Personen spricht beispielsweise am Arbeitsplatz offen über die von ihm gewählte Beziehungsform und macht in vielen Fällen gute Erfahrungen damit. Unterschiedslos empfohlen wird eine solche Offenheit nicht. In dieser Subkultur, deren Mitglieder häufig verstreut leben, haben elektronische Medien und die Kommunikation per Internet eine große Bedeutung. War dies zu Anfang vor allem die Usenet Newsgroup alt.polyamory, die Zeitschrift „Loving More“ und zahlreiche Webseiten und Webringe, so stellen heute neben lokalen E-Mail-Listen, Blogs, Online-Foren und virtuelle Gemeinschaften wie polyamore.de, StudiVZ und beziehungsgarten.net die wichtigsten Medien dar, von denen einige englischsprachige, wie LiveJournal mit Forumsgruppen wie Polyamory oder mono_poly, mehrere Tausend Mitglieder haben. Im deutschsprachigen Raum lässt sich ein schnelles Wachstum sowie eine fortschreitende Diversifizierung dieser Foren feststellen. Zum Finden von Kontakten und potenziellen Partnern hat außerdem die Website OkCupid Beliebtheit erlangt.[59][60] Daneben sind lokale Treffen und Konferenzen wichtig, wie beispielsweise die „Loving More“ Konferenzen in den USA, die „International Conference on Polyamory & Mono-Normativity“, die im November 2005 in Hamburg stattfand, oder die Filmtage „Mehr als Eine Liebe – Facetten Polyamoren L(i)ebens“ im Juli 2007 in Oldenburg.[61]
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Aufgrund der Vielfalt polyamorer Menschen und Lebensformen, der räumlichen Verstreutheit polyamorer Menschen und des Fehlens von kulturellen Merkmalen, welche über die Lebensform und deren praktische Realisierung hinausgehen, kann aber nicht von einer „Polyamory-Szene“ oder einer abgegrenzten Subkultur gesprochen werden. Polyamor lebende Menschen gehören heute allen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen an, wobei Menschen mit überdurchschnittlicher Ausbildung häufiger vertreten sind. Polyamore Konzepte verbreiten sich immer mehr in den gesellschaftlichen Mainstream.
   
Manche polyamore Aktivisten, wie beispielsweise Dossie Easton, leisten wichtige Informations- und Aufklärungsarbeit insbesondere in den Bereichen Kommunikation, bestehen auf klaren Beziehungen, Verhütung ungeplanter Schwangerschaften und Verhütung von Krankheiten wie AIDS und Hepatitis B durch Safer Sex.
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Polyamor lebende Frauen geben seit 2006 die im Selbstverlag erscheinende Zeitschrift „Die Krake“ heraus.
   
Ein überdurchschnittlich hoher Anteil dieser Menschen ist bisexuell orientiert, es sind jedoch alle sexuellen Orientierungen vertreten. Berührungen und Überschneidungen der Subkultur der Polyamory existieren außer mit der Bi-Bewegung mit der BDSM-Szene, der Neotantra-Szene, der Queer-Bewegung sowie mit Teilen der lesbischen und schwulen Bewegung, wie der Schlampagne, und der linken Subkultur, welche die konventionelleren Beziehungsformen unter dem Stichwort „Romantische Zweierbeziehung“ oder „RZB“ hinterfragt und diskutiert.[62] Polyamor lebende Menschen zeichnen sich nach eigener Wahrnehmung durch eine sehr große Vielfalt und Wertschätzung für Offenheit und Diversität aus.
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==Kinder in polyamoren Familien==
 
Aufgrund der Vielfalt polyamorer Menschen und Lebensformen, der räumlichen Verstreutheit polyamorer Menschen und des Fehlens von kulturellen Merkmalen, welche über die Lebensform und deren praktische Realisierung hinausgehen, kann aber nicht von einer „Polyamory-Szene“ oder einer abgegrenzten Subkultur gesprochen werden. Polyamor lebende Menschen gehören heute allen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen an, wobei Menschen mit überdurchschnittlicher Ausbildung häufiger vertreten sind. Polyamore Konzepte verbreiten sich immer mehr in den gesellschaftlichen Mainstream, wie an nicht an Subkulturen orientierten Protagonisten wie Jenny Block[63] sichtbar wird. Zudem stellen sich in den elektronischen Medien immer wieder Menschen vor, die den Prinzipien von Polyamory seit vielen Jahren folgen, den Begriff aber bisher nicht kannten. Als Lobbyorganisation mit einem hohen Anteil polyamorer Menschen und einer klaren Toleranz für polyamore Lebensformen ist das Bisexuelle Netzwerk e. V. (BiNE) erwähnenswert. Seit 2009 baut das Polyamore Netzwerk (PAN e. V.) seine Angebote für polyamore Menschen immer mehr aus.
 
 
Polyamor lebende Frauen geben seit 2006 die im Selbstverlag erscheinende Zeitschrift „Die Krake“ heraus.[64]
 
Kinder in polyamoren Familien
 
   
 
In zahlreichen Familien, in denen ein oder mehrere Partner weitere polyamore Partnerschaften unterhalten, leben Kinder. Wie auch bei anderen Charakteristika der Polyamory, variiert hierbei die Art und Weise, wie Kinder in die Familie integriert sind:
 
In zahlreichen Familien, in denen ein oder mehrere Partner weitere polyamore Partnerschaften unterhalten, leben Kinder. Wie auch bei anderen Charakteristika der Polyamory, variiert hierbei die Art und Weise, wie Kinder in die Familie integriert sind:
   
Die Eltern sind voll verantwortlich für ihre eigenen Kinder, während die Kinder andere Mitglieder polyamorer Beziehungen als Freunde der Eltern begreifen.
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Die Eltern sind voll verantwortlich für ihre eigenen Kinder. Die Eltern tragen die Hauptverantwortung für ihre eigenen Kinder (biologische, Adoptiv- oder Stiefkinder), aber auch andere Mitglieder des Beziehungsgeflechtes fungieren als eine erweiterte Familie, die Hilfe bei der Kindererziehung leisten kann. Durch Polyamory verbundene Erwachsene erziehen ihre Kinder kollektiv, alle nehmen die gleiche Verantwortung für jedes Kind unabhängig von der Blutsverwandtschaft wahr.
Die Eltern tragen die Hauptverantwortung für ihre eigenen Kinder (biologische, Adoptiv- oder Stiefkinder), aber auch andere Mitglieder des Beziehungsgeflechtes fungieren als eine erweiterte Familie, die Hilfe bei der Kindererziehung leisten kann. Hierbei kommt es auch vor, dass Kinder die Partner der Eltern als Form von Stiefeltern behandeln oder dass ihnen gesagt wird, diese als Tanten und Onkel einzuordnen.
 
Durch Polyamory verbundene Erwachsene erziehen ihre Kinder kollektiv, alle nehmen die gleiche Verantwortung für jedes Kind unabhängig von der Blutsverwandtschaft wahr.
 
   
 
Oft wird befürchtet, dass nicht-ausschließliche Beziehungen negative Folgen für Kinder haben könnten. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist, sofern die Bezugspersonen in einer stabilen Partnerschaft leben. Die unterschiedlichen Entwicklungsstadien des Kindes scheinen jedoch einen Effekt auf die Wahrnehmung der Eltern zu besitzen.
 
Oft wird befürchtet, dass nicht-ausschließliche Beziehungen negative Folgen für Kinder haben könnten. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist, sofern die Bezugspersonen in einer stabilen Partnerschaft leben. Die unterschiedlichen Entwicklungsstadien des Kindes scheinen jedoch einen Effekt auf die Wahrnehmung der Eltern zu besitzen.
Bei Teenagern in der Phase der Identitätsfindung kann eine nichtmonogame Beziehungsform der Eltern Unsicherheit und Ablehnung auslösen; kleinere Kinder profitieren oft von den zusätzlichen Bezugspersonen.[65][66][67] Bei Heranwachsenden aus solchen Familien kommt es sowohl vor, dass sie nicht-ausschließliche Beziehungen als zusätzliche Option betrachten, als auch, dass sie eher traditionelle Lebensentwürfe wählen und sich damit von ihren Eltern abgrenzen. Gelegentlich wird berichtet, dass Kinder weniger oder gar keine Eifersucht zeigen, was die Hypothese stützt, dass Eifersucht eine (wenn auch tief verwurzelte) kulturelle Norm darstellt.
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Bei Teenagern in der Phase der Identitätsfindung kann eine nichtmonogame Beziehungsform der Eltern Unsicherheit und Ablehnung auslösen; kleinere Kinder profitieren oft von den zusätzlichen Bezugspersonen.
Es gibt einige wenige Kinderbücher, welche die Lebenswelt von Kindern in Familien mit mehrfachen Beziehungen oder mehrfacher Elternschaft reflektieren, und ihnen helfen können, die Besonderheit ihrer Familie selbstbewusst aufzufassen. Auf Deutsch erschienen ist „Else-Marie und die kleinen Papas“ (Else-Marie and Her Seven Little Daddies) von Gabrielle Charbonnet und Pija Lindenbaum.
 
Insgesamt lässt sich vermuten, dass ein Erwachsener, der mehr Zeit im Leben mit einem Kind verbracht hat, wahrscheinlich auch eine stärkere elterliche Bindung zu diesem Kind entwickeln wird, als jemand, der nur kürzere Zeiträume mit dem Kind in Verbindung stand. Der Grad der logistischen und emotionalen Beteiligung zwischen Mitgliedern polyamorer Partnerschaften ist für die Beziehungen zu Kindern ebenso ein entscheidender Faktor.
 
In Kanada ist es möglich, dass mehr als zwei Menschen die Elternschaft für ein Kind übernehmen können.[68]
 
Symbole
 
Die Polyamory-Schleife
 
   
Als Erkennungszeichen und als Zeichen von Respekt gegenüber Menschen, die Polyamory leben, nutzen manche Internetseiten die Polyamory-Flagge oder die Polyamory-Schleife, ähnlich der roten HIV-Schleife.
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Gelegentlich wird berichtet, dass Kinder weniger oder gar keine Eifersucht zeigen, was die Hypothese stützt, dass Eifersucht eine (wenn auch tief verwurzelte) kulturelle Norm darstellt.
Die Polyamory-Flagge (nach Jim Evans)
 
   
Die Flagge (und in ähnlicher Form auch die Schleife) zeigt von oben nach unten drei gleich große Balken in blau, rot und schwarz, mit folgender Symbolik: Blau steht für Offenheit und Ehrlichkeit zwischen den Partnern in einer Poly-Beziehung, rot steht für Liebe und Leidenschaft, schwarz zeigt Solidarität mit jenen Menschen, die polyamor empfinden, es aber aufgrund sozialen Drucks nicht leben können.
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Insgesamt lässt sich vermuten, dass ein Erwachsener, der mehr Zeit im Leben mit einem Kind verbracht hat, wahrscheinlich auch eine stärkere elterliche Bindung zu diesem Kind entwickeln wird, als jemand, der nur kürzere Zeiträume mit dem Kind in Verbindung stand.
   
In der Mitte der Flagge steht ein goldenes π. Der griechische Buchstabe π (Pi) steht für den Anfangsbuchstaben des Wortes Polyamory. Die Farbe Gold symbolisiert den hohen Wert, der auf innige, emotionale Verbindung gelegt wird. Sie soll also auch zeigen, dass es nicht nur um physische Nähe geht.
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Beliebte Symbole für Polyamorie sind Papageien, die auf englisch oft „Polly“ genannt werden, sowie ein rotes Herz für die Liebe mit dem blauen Symbol der Unendlichkeit für Offenheit und Bedingungslosigkeit.
Papagei von Ray Dillinger
 
 
Weitere beliebte Symbole sind Papageien, die auf englisch oft „Polly“ genannt werden, sowie ein rotes Herz für die Liebe mit dem blauen Symbol der Unendlichkeit für Offenheit und Bedingungslosigkeit, wie es am Beginn dieses Artikels abgebildet ist.
 
   
 
Als Symbol für die Liebe zu mehreren Menschen werden auch drei ineinander verschränkte oder verschlungene Formen oder Objekte verwendet, beispielsweise drei Ringe, drei Delfine, drei Menschen, drei Kreise, ein Dreieck. Manche Menschen, die in einer polyamoren Beziehung miteinander verbunden sind, tragen als Zeichen der Verbundenheit den gleichen Schmuck oder (wie Ehepaare) den gleichen Ring.
 
Als Symbol für die Liebe zu mehreren Menschen werden auch drei ineinander verschränkte oder verschlungene Formen oder Objekte verwendet, beispielsweise drei Ringe, drei Delfine, drei Menschen, drei Kreise, ein Dreieck. Manche Menschen, die in einer polyamoren Beziehung miteinander verbunden sind, tragen als Zeichen der Verbundenheit den gleichen Schmuck oder (wie Ehepaare) den gleichen Ring.
Entwicklung angepasster Begriffe
 
   
Polyamore Menschen haben für bestimmte Situationen, die in monogamen Beziehungen ungewohnt sind, neuartige Begriffe entwickelt, um ihre Erfahrungen, Gefühle, und Lebenswelten zu beschreiben. Einige, die zum Beispiel von den Soziologinnen Meg Barker und Ani Ritchie beschrieben wurden, sind im Folgenden vorgestellt.[69]
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==Entwicklung angepasster Begriffe==
   
Mitfreude (Compersion oder „Resonanzfreude“) bezeichnet eine Manifestation von Liebe, wenn jemand im Geliebtwerden eines geliebten Menschen durch eine andere Person Glück und Erweiterung findet und sich daran freut, und stellt somit in gewisser Weise einen Gegenpol zur Eifersucht dar. Sie ist eine Form von Empathie, das heißt, Freude daran, dass der nahestehende Mensch etwas Schönes in seinem Leben erfährt. Das Gefühl von Mitfreude erstmalig zu erleben, wird manchmal als ungewohnt oder fremdartig beschrieben, denn es läuft dem Gefühl von Eifersucht, das die meisten Menschen in solchen Situationen als normal erwarten, zuwider.[70]
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Polyamore Menschen haben für bestimmte Situationen, die in monogamen Beziehungen ungewohnt sind, neuartige Begriffe entwickelt, um ihre Erfahrungen, Gefühle, und Lebenswelten zu beschreiben.
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Mitfreude (Compersion oder „Resonanzfreude“) bezeichnet eine Manifestation von Liebe, wenn jemand im Geliebtwerden eines geliebten Menschen durch eine andere Person Glück und Erweiterung findet und sich daran freut, und stellt somit in gewisser Weise einen Gegenpol zur Eifersucht dar.
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Sie ist eine Form von Empathie, das heißt, Freude daran, dass der nahestehende Mensch etwas Schönes in seinem Leben erfährt. Das Gefühl von Mitfreude erstmalig zu erleben, wird manchmal als ungewohnt oder fremdartig beschrieben, denn es läuft dem Gefühl von Eifersucht, das die meisten Menschen in solchen Situationen als normal erwarten, zuwider.
   
 
Das Adjektiv frubbly (deutsch manchmal: frubbelig) wurde als Ausdruck für das Gefühl von Compersion geprägt. Entsprechend nennen im deutschsprachigen Raum manche polyamore Menschen die Partner ihrer Partner „Frubbel“, daneben existiert auch der Begriff der „Metamour“.
 
Das Adjektiv frubbly (deutsch manchmal: frubbelig) wurde als Ausdruck für das Gefühl von Compersion geprägt. Entsprechend nennen im deutschsprachigen Raum manche polyamore Menschen die Partner ihrer Partner „Frubbel“, daneben existiert auch der Begriff der „Metamour“.
Werte in der Polyamory
 
   
Wie viele andere gesellschaftliche und weltanschauliche Strömungen wird die Polyamorie durch eine Reihe von Werten gekennzeichnet, die einen besonderen Stellenwert haben. Die im Folgenden aufgelisteten Werte sind Ideale. Wie bei allen Idealen werden sie von ihren Anhängern manchmal nicht erreicht – aber ein schwerwiegendes Verfehlen der vereinbarten Ideale einer polyamoren Beziehung wird wahrscheinlich als ebenso ernst gesehen wie in jeder anderen Beziehung und kann oft deren Ende bedeuten. Werte, die polyamore Beziehungen fördern, sind auch ausschließlichen Beziehungen zuträglich und werden auch dort geschätzt, nehmen aber unter Umständen einen anderen Stellenwert ein, oder haben andere Ausprägungen. Die aufgeführten Werte beschreiben zwar teilweise auch identitätsstiftende Elemente, haben sich jedoch vor allem deswegen als wichtig herausgebildet, weil sie, konsequent angewandt, zu praktischen Handlungsweisen führen, die authentische und dauerhafte Beziehungen fördern. Allerdings haben sie häufig auch die tendenzielle Wirkung, unstimmige Beziehungen schneller zu beenden.
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==Ehrlichkeit und Respekt==
Ehrlichkeit und Respekt
 
   
Menschen, welche Polyamory praktizieren, betonen oft die Wichtigkeit von Ehrlichkeit und Selbstoffenbarung gegenüber allen Partnern, die als eines der wesentlichen Prinzipien gilt. Von einem Verschweigen von Tatsachen – selbst eine „schweigende Vereinbarung“ der Form „Mach, was Du möchtest, solange ich nichts erfahre“ – wird nachdrücklich abgeraten.[71][72] Diesem liege meistens die Vorstellung zugrunde, dass Partner die Wahrheit nicht ertragen können oder ihren Geliebten nicht zutrauen, Abmachungen einzuhalten. Der oder die Geliebte eines Partners sollte als Bestandteil des Lebens dieses Partners akzeptiert und nicht bloß toleriert werden.
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Menschen, welche Polyamory praktizieren, betonen oft die Wichtigkeit von Ehrlichkeit und Selbstoffenbarung gegenüber allen Partnern, die als eines der wesentlichen Prinzipien gilt. Von einem Verschweigen von Tatsachen – selbst eine „schweigende Vereinbarung“ der Form „Mach, was Du möchtest, solange ich nichts erfahre“ – wird nachdrücklich abgeraten.
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Diesem liege meistens die Vorstellung zugrunde, dass Partner die Wahrheit nicht ertragen können oder ihren Geliebten nicht zutrauen, Abmachungen einzuhalten. Der oder die Geliebte eines Partners sollte als Bestandteil des Lebens dieses Partners akzeptiert und nicht bloß toleriert werden.
Es muss aber betont werden, dass diese Ehrlichkeit im Detail, welche eine Ehrlichkeit über die polyamore Beziehungsorientierung voraussetzt, vielen polyamoren Menschen nicht gleichsam „in die Wiege gelegt wurde“, sondern oft Produkt eines mühsamen Entfaltungs-, Entwicklungs- und Lernprozesses ist, der zu dem Schluss führt, dass nichtmonogame Beziehungen anders nicht funktionieren.[73] Dieser ist dem „Coming Out“ von bisexuellen Menschen ähnlich und beinhaltet unter anderem, das Selbstvertrauen zu gewinnen, mit der offen gelebten eigenen Orientierung – ob mit oder ohne passende Partner – glücklich werden zu können (siehe das Beispiel von Edna St. Vincent Millay im Abschnitt „In einvernehmlichen mehrfachen Beziehungen lebende Personen“).
 
   
 
Im Unterschied zu – meist unausgesprochenen – traditionellen Verhaltensnormen, in denen bestimmte Dinge oft ‚dem Partner zuliebe‘ nicht ausgesprochen werden, erstreckt sich diese Priorität von Ehrlichkeit auch auf Sachverhalte, die beim Partner erhebliche seelische Schmerzen, Ängste und Eifersucht auslösen können. Dauerhafte und authentische Beziehungen setzen damit die Bereitschaft der Partner voraus, sich den eigenen schmerzhaften Gefühlen zu stellen.
 
Im Unterschied zu – meist unausgesprochenen – traditionellen Verhaltensnormen, in denen bestimmte Dinge oft ‚dem Partner zuliebe‘ nicht ausgesprochen werden, erstreckt sich diese Priorität von Ehrlichkeit auch auf Sachverhalte, die beim Partner erhebliche seelische Schmerzen, Ängste und Eifersucht auslösen können. Dauerhafte und authentische Beziehungen setzen damit die Bereitschaft der Partner voraus, sich den eigenen schmerzhaften Gefühlen zu stellen.
 
Respekt vor dem anderen schließt Respekt vor dessen Leben und Gesundheit ein. Ein liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen setzt bei mehreren sexuellen Beziehungen voraus, dass die Partner Safer Sex praktizieren, über sexuell übertragbare Krankheiten wie AIDS und Hepatitis B sprechen, verbindliche Entscheidungen treffen, welche Risiken sie eingehen wollen, vorhandene Impfungen in Anspruch nehmen und sich darüber kontinuierlich austauschen. Ausführliche Informationen hierzu in Bezug auf die Polyamory sind in The Ethical Slut von Easton und Liszt zu finden, auch die örtlichen Gesundheitsämter und AIDS-Hilfen bieten oft vertrauliche, respektvolle und kompetente Information.
 
Treue
 
   
 
In Eins-zu-eins (oder „monogamen“) Beziehungen wird Treue oft verstanden als Eingehen einer Verbindlichkeit zu nur einem Partner und Ausübung von Sexualität nur mit dieser Person (in traditionellen Ehen dem Ideal zufolge lebenslang, „bis dass der Tod euch scheidet“). Ein Verstoß gegen diese Regel wird als Untreue angesehen. In polyamoren Beziehungen wird unter Treue hingegen Ehrlichkeit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Wohlwollen in Bezug auf die Beziehung verstanden, sowie die Einhaltung von Absprachen innerhalb dieser Beziehung. Generell werden dauerhafte Beziehungen angestrebt, was bei Schwierigkeiten wie Konflikten oder Aufkommen von Eifersucht oft ein sehr hohes Engagement verlangt. Allerdings werden auch promiske Verhaltensweisen im Allgemeinen toleriert, solange dies in ehrlicher Weise geschieht.
 
In Eins-zu-eins (oder „monogamen“) Beziehungen wird Treue oft verstanden als Eingehen einer Verbindlichkeit zu nur einem Partner und Ausübung von Sexualität nur mit dieser Person (in traditionellen Ehen dem Ideal zufolge lebenslang, „bis dass der Tod euch scheidet“). Ein Verstoß gegen diese Regel wird als Untreue angesehen. In polyamoren Beziehungen wird unter Treue hingegen Ehrlichkeit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Wohlwollen in Bezug auf die Beziehung verstanden, sowie die Einhaltung von Absprachen innerhalb dieser Beziehung. Generell werden dauerhafte Beziehungen angestrebt, was bei Schwierigkeiten wie Konflikten oder Aufkommen von Eifersucht oft ein sehr hohes Engagement verlangt. Allerdings werden auch promiske Verhaltensweisen im Allgemeinen toleriert, solange dies in ehrlicher Weise geschieht.
Kommunikation und Verhandlung
 
   
Weil es keine „Standardausführung“ von polyamoren Beziehungen gibt, werden die Beteiligten einer Beziehung meist unterschiedliche Vorstellungen haben, wie diese Beziehung aussehen soll. Wenn solche unterschiedlichen Erwartungen nicht angesprochen werden, kann dies der Beziehung schweren Schaden zufügen. Deswegen befürworten viele Menschen, die Polyamory praktizieren, die Regeln der Beziehung mit allen Beteiligten gemeinsam festzulegen, ein Prozess, welcher ein hohes Maß an engagierter Kommunikation verlangt. Im Unterschied zu manchen anderen Formen ausgehandelter Beziehungen (wie Eheverträge) sehen Personen, die Polyamory praktizieren, diese Verhandlung oft als Prozess, der die gesamte Lebensdauer einer Beziehung andauert. Dieser Prozess benötigt von allen beteiligten Partnern eine hohe Bewusstheit ihrer eigenen Bedürfnisse und die Ausbildung der Fähigkeit, diese zu äußern.
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==Nicht besitzergreifendes Verhalten==
 
In konventionelleren Beziehungen können sich die Beteiligten zu einem gemeinsamen Paket von Erwartungen einigen, ohne diese bewusst zu verhandeln, einfach indem gesellschaftliche Normen befolgt und als schweigende Vereinbarung übernommen werden: zum Beispiel, dass der Ehemann die finanzielle Verantwortung für die Familie übernimmt, sobald das Paar Kinder hat, und die Frau dann nicht mehr zu arbeiten braucht; oder, dass die Frau alleine für Empfängnisverhütung zuständig ist und die Entscheidung zu einer Schwangerschaft unter Umständen einseitig trifft.[74] Da polyamore Beziehungen nicht von solchen „vordefinierten“ Normen ausgehen können, muss innerhalb der Beziehung sehr viel mehr bewusst verhandelt und gewählt werden, auf dem Weg von miteinander Reden und gegenseitigem Respekt und Verständnis anstelle von angenommenen Erwartungen. Nicht zuletzt deswegen lautet die als Poly Mantra bekannte gängige Empfehlung beim Neuentstehen von Beziehungen – oder Veränderungen in bestehenden: „Kommuniziere! Kommuniziere! Kommuniziere!“. Eines der Kommunikationsmodelle, die sich in der Praxis polyamorer Beziehungen bewährt haben, ist die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg[75] sowie das Gordon-Modell nach Thomas Gordon.[76] Eine im deutschsprachigen Raum beliebte Praxis ist das „Zwiegespräch“, ein Gesprächsritual, welches von Michael Lukas Moeller entwickelt wurde, bei dem sich die Partner regelmäßig zu einem intensiven Gespräch verabreden, bei dem jeweils eine Person für 20 bis 30 Minuten in der Ich-Form spricht und die andere nicht-wertend zuhört.[77]
 
 
Polyamouröse Menschen haben gewöhnlich eine pragmatische Haltung zu ihren Beziehungen. Sie akzeptieren, dass sie und ihre Partner manchmal Fehler machen werden und es nicht immer schaffen, ihre eigenen Ideale zu erfüllen. Wenn das passiert, ist Kommunikation ein wichtiger Weg, um einen entstandenen Schaden zu heilen und das Vertrauen langfristig zu erhalten. Als Originalquelle zum hohen Stellenwert von Ehrlichkeit und Kommunikation siehe zum Beispiel den Weblink Poly for Dummies (dt. „Poly für Dummies“).
 
Nicht besitzergreifendes Verhalten
 
   
 
Menschen in konventionellen Beziehungen vereinbaren oft, unter keinen Umständen andere Beziehungen einzugehen, da diese ihre bestehende Beziehung bedrohen, verwässern oder ersetzen würden. Polyamore Menschen glauben, dass solche Beschränkungen unter Umständen schädlich für eine Beziehung sein können, da sie die Tendenz haben, Vertrauen durch besitzergreifende Verbote zu ersetzen und Beziehungen in einen Rahmen aus Besitz und Kontrolle bringen: „Du bist mein“. Dies spiegelt kulturelle Annahmen wider, dass Beschränkungen nötig seien, um Partner daran zu hindern, sich aus der Beziehung zu entfernen, und dass zusätzliche nahe Beziehungen die Bindung gefährden würden. Zum Teil liegt der Sinn dieser Beschränkungen auch darin, das als gefährlich oder nicht ertragbar empfundene Gefühl von Eifersucht zu vermeiden.
 
Menschen in konventionellen Beziehungen vereinbaren oft, unter keinen Umständen andere Beziehungen einzugehen, da diese ihre bestehende Beziehung bedrohen, verwässern oder ersetzen würden. Polyamore Menschen glauben, dass solche Beschränkungen unter Umständen schädlich für eine Beziehung sein können, da sie die Tendenz haben, Vertrauen durch besitzergreifende Verbote zu ersetzen und Beziehungen in einen Rahmen aus Besitz und Kontrolle bringen: „Du bist mein“. Dies spiegelt kulturelle Annahmen wider, dass Beschränkungen nötig seien, um Partner daran zu hindern, sich aus der Beziehung zu entfernen, und dass zusätzliche nahe Beziehungen die Bindung gefährden würden. Zum Teil liegt der Sinn dieser Beschränkungen auch darin, das als gefährlich oder nicht ertragbar empfundene Gefühl von Eifersucht zu vermeiden.
   
 
Polyamore Menschen neigen dazu, die Liebesbeziehungen ihrer Partner eher als Bereicherung des Lebens ihrer Partner zu sehen denn als Bedrohung ihres eigenen. Das geflügelte Wort „Wenn du etwas liebst, lass es frei. Kommt es zu dir zurück, hast du es nicht verloren. Kehrt es nicht zu dir zurück, so hast du es nie besessen.“ beschreibt eine ähnliche Haltung. Aus diesem Grund sehen viele Menschen, die Polyamory praktizieren, eine besitzergreifende Einstellung zu Beziehungen als etwas, das vermieden werden sollte. Dies verlangt ein hohes Maß an Vertrauen und Selbstvertrauen. Interessanterweise kann gerade das Nicht-Vermeiden von Eifersucht den Weg zu solchem Selbstvertrauen aufzeigen.[78][79][80][81]
 
Polyamore Menschen neigen dazu, die Liebesbeziehungen ihrer Partner eher als Bereicherung des Lebens ihrer Partner zu sehen denn als Bedrohung ihres eigenen. Das geflügelte Wort „Wenn du etwas liebst, lass es frei. Kommt es zu dir zurück, hast du es nicht verloren. Kehrt es nicht zu dir zurück, so hast du es nie besessen.“ beschreibt eine ähnliche Haltung. Aus diesem Grund sehen viele Menschen, die Polyamory praktizieren, eine besitzergreifende Einstellung zu Beziehungen als etwas, das vermieden werden sollte. Dies verlangt ein hohes Maß an Vertrauen und Selbstvertrauen. Interessanterweise kann gerade das Nicht-Vermeiden von Eifersucht den Weg zu solchem Selbstvertrauen aufzeigen.[78][79][80][81]
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Wiewohl es durchaus Anhänger der Polyamory gibt, die ihre individuellen Werte konventionelleren Wertsystemen gegenüber als überlegen ansehen, betrachten viele von ihnen Polyamory und Eins-zu-eins Beziehungen als gleichwertige Lebensweisen, wobei die Wahl von der Einzelperson abhängt. Auch wenn nach ihrer Überzeugung manche monogamen Beziehungen auf bloßem Konformismus oder besitzergreifendem Denken basieren, betrachten sie dies genauso wenig als ein notwendiges Merkmal von monogamen Beziehungen, wie sie Bindungsunfähigkeit als ein Charakteristikum der Polyamory anerkennen würden.
   
Obwohl eine nicht-besitzergreifende Haltung ein wichtiger Bestandteil vieler polyamorer Beziehungen ist, ist sie nicht so universell wie die anderen oben diskutierten Werte. Beziehungen können beispielsweise in ihrer Priorität abgestuft sein, mit Vetorechten des Lebenspartners, oder auch in Bezug auf Ausschließlichkeit und „Besitz“ am anderen asymmetrisch sein.
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Menschen, welche Polyamory praktizieren, lehnen demgegenüber heimliche außereheliche Beziehungen (Fremdgehen) meist ab, da dies einen schweren Eingriff in die Freiheit des Anderen darstelle, anhand der Tatsachen über seine Beziehung zu entscheiden. Eine länger bestehende heimliche Dreiecksbeziehung in eine polyamore umzuwandeln, gelingt in der Praxis nur in den seltensten Fällen, da das für die notwendige Kommunikation unabdingbare Vertrauen in der Primärbeziehung meist zu schwer beschädigt wird.
Commitment (Hingabe und Verbindlichkeit)
 
 
Der englische Begriff Commitment ist schwer vollwertig zu übersetzen, er bedeutet so viel wie „Engagement“, „Festlegung“ oder „Hingabe“ im Sinne von innengeleitete Verbindlichkeit, ein Wert, der etwa die Stelle der traditionellen Treue einnimmt. Polyamory umfasst den Gedanken, eine bestehende Beziehung nicht zugunsten einer neu entstehenden zusätzlichen Beziehung aufzugeben oder ihr die Ressourcen, die sie zum Bestehen braucht (Zeit, Aufmerksamkeit, Hingabe), zu entziehen.
 
 
Auch wenn das nicht für alle Beziehungen gewährleistet werden kann (zum Beispiel werden erweiterte Freundschaften oft zurückstecken müssen, wenn eine Person mit ihrem Partner an einen weit entfernten Ort umzieht) und nicht alle Menschen, die Polyamory praktizieren, auch eine hohe Verbindlichkeit anstreben, kann eine solche für eine Partnerschaft (Primary Relationship), die eine gewisse Tiefe und Vertrautheit erreichen soll, sehr wichtig sein. Die Aussage, dass eine Partnerschaft verbindlich ist, bedeutet den Willen, sie nicht zugunsten einer anderen Beziehung aufzugeben und sich loyal in Bezug auf die Partnerschaft zu verhalten. Commitment wird oft eher als Willenserklärung statt als bindende Verpflichtung gesehen, da letztlich ohnehin die freie Entscheidung der beteiligten Personen den Ausschlag geben wird. Commitment im Sinne der Polyamory kann wohl, muss jedoch nicht bedeuten, dass eine Beziehung auf unbestimmte Zeit eingegangen wird. Beziehungen können auch auf Zeit bestehen und ihr Ende bedeutet nach Ansicht vieler Vertreter der Polyamory nicht notwendigerweise, dass die Beziehung gescheitert ist.
 
 
Wesentlich ist, dass Commitment nie von einem der Partner stillschweigend angenommen werden darf, sondern Ergebnis eines gegenseitigen Abstimmungs- und Klärungsprozesses sein muss, bei dem alle offenen Fragen und Konflikte, welche die Beziehung gefährden könnten, geklärt werden.
 
Verhältnis der Werte in den Konzepten von Polyamory und Monogamie
 
 
Wie aus dieser Aufstellung häufiger Werte in polyamoren Beziehungen hervorgeht, stellen diese weniger einen Gegensatz zu den Werten „monoamorer“ Beziehungen dar, sondern eher eine veränderte Priorität von Werten, die auf den menschlichen Grundbedürfnissen von Verbundenheit und Freiheit basieren.
 
 
Wiewohl es durchaus Anhänger der Polyamory gibt, die ihre individuellen Werte konventionelleren Wertsystemen gegenüber als überlegen ansehen, betrachten viele von ihnen Polyamory und Eins-zu-eins Beziehungen als gleichwertige Lebensweisen, wobei die Wahl von der Einzelperson abhängt. Auch wenn nach ihrer Überzeugung manche monogamen Beziehungen auf bloßem Konformismus oder besitzergreifendem Denken basieren, betrachten sie dies genauso wenig als ein notwendiges Merkmal von monogamen Beziehungen, wie sie Bindungsunfähigkeit als ein Charakteristikum der Polyamory anerkennen würden. Demgegenüber wird aber Polyamory gleichzeitig als radikal anderes Konzept aufgefasst.[82]
 
 
Menschen, welche Polyamory praktizieren, lehnen demgegenüber heimliche außereheliche Beziehungen (Fremdgehen) meist ab, da dies einen schweren Eingriff in die Freiheit des Anderen darstelle, anhand der Tatsachen über seine Beziehung zu entscheiden. Eine länger bestehende heimliche Dreiecksbeziehung in eine polyamore umzuwandeln, gelingt in der Praxis nur in den seltensten Fällen, da das für die notwendige Kommunikation unabdingbare Vertrauen in der Primärbeziehung meist zu schwer beschädigt wird.[83][84][85]
 
 
 
Polyamory und Gesellschaft
 
Gleichstellung polyamorer Lebensformen
 
 
Polyamore Lebensformen sind gesellschaftlich wenig anerkannt, oft wird ihre Möglichkeit in Frage gestellt. Als Mono-Normativität wird die Sichtweise bezeichnet, dass monogame, langfristige Zweierbeziehungen die einzige mögliche und erstrebenswerte Weise seien, Beziehungen zu führen. Diese ist in europäischen und angelsächsischen Kulturen tief verankert in kulturellen Symbolen, Mythen und Geschichten: Beispielsweise ist es ein typisches Handlungsmuster in griechischen Mythen wie in modernen Filmen, dass zwei Männer eifersüchtig um eine Frau konkurrieren und diese sich für einen der beiden entscheiden muss. Viele Geschichten enden mit dem Tod des Unterlegenen. Ältere Mythen zeugen davon, dass dies nicht zu allen Zeiten und in allen Kulturen so war.
 
 
Anthropologische Untersuchungen zeigen, dass zwar Paarbindungen zu den Grundkonstanten menschlichen Verhaltens zählen, in der Mehrheit der menschlichen Kulturen jedoch nichtmonogame Lebensformen, besonders Polygynie, zu einem geringen Grad auch Polyandrie, vorkamen; die Formen des Zusammenlebens waren immer eng mit ökonomischen Interessen der Wahrung und Weitergabe von familiären oder gemeinschaftlichem Besitz und den sonstigen sozialen Beziehungen verknüpft.[86][87] Ausschließliche Zweierbeziehungen als verbindliche soziale Norm beruhen zu einem großen Teil auf Konzepten und Idealvorstellungen, welche durch Polyamory fundamental in Frage gestellt werden. So kommen der Anthropologin Helen Fisher zufolge Verhaltensweisen wie Fremdgehen oder Ehebruch trotz oft harter Strafen in allen untersuchten Gesellschaften vor, in denen ausschließliche Zweierbeziehungen als Norm gelten. Trotzdem sind Äußerungen darüber, insbesondere gegenüber Beziehungspartnern, weitgehend tabuisiert.[88] In heutigen Gesellschaften ergeben genetische Untersuchungen zur Häufigkeit von außerehelichen Schwangerschaften Häufigkeiten zwischen wenigen Prozent und 30 %.[89]
 
 
Aufgrund der Befürchtung, diskriminiert zu werden, entscheiden sich daher sehr viele Menschen, die polyamore Beziehungen bevorzugen oder tolerieren, dies nur innerhalb eines engen Kreises von Freunden und Verwandten bekannt zu machen. Dies wiederum führt dazu, dass es schwieriger erscheint, passende Partner zu finden, als dies die Realität ist. Deswegen befürworten Aktivisten der Polyamory-Subkultur wie Ken Haslam oder Deborah Anapol die Förderung der öffentlichen Wahrnehmung der Polyamory als möglicher Beziehungsform. Eine Darstellung von Polyamory als „besser“ wird dabei – abgesehen von extrem dogmatischen Gruppierungen – nicht angestrebt. Vielmehr wird oft betont, dass solche Beziehungsformen nur für wenige Menschen erstrebenswert sind, sehr viel Energie und konstruktive Auseinandersetzung verlangen, und in aller Regel scheitern, wenn nicht alle Beteiligten wünschen, in einer solchen Form zu leben.[90]
 
 
Polyamory ist in den meisten europäischen Ländern infolge des Prinzips der sexuellen Selbstbestimmung legal, abgesehen vom Verbot der Mehrehe (Bigamie); schwere Strafen sind im Wesentlichen in islamischen Staaten zu erwarten, falls Polyandrie oder Homosexualität praktiziert werden. Menschen mit mehreren langfristigen Partnerschaften sehen oft eine Gleichstellung polyamorer Lebensformen in bestimmten Aspekten als wünschenswert an; oft genannt wird zum Beispiel, dass alle Partner das Recht haben sollten, im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung Krankenhausbesuche zu machen und Verfügungen zu treffen, oder dass bei Todesfällen das Wohnrecht für hinterbliebene Lebenspartner erhalten werden soll. Menschen in polyamoren Familien würde es Sicherheit verschaffen, wenn ein gemeinsames Aufziehen von Kindern durch ein angepasstes Sorgerecht geschützt würde.
 
 
In der bisherigen politischen Diskussion befürworten polyamore Menschen bisher zwar einen Abbau von Diskriminierungen und eine Anerkennung ihrer Lebensform als gleichberechtigt, formulierten jedoch darüber hinaus nur ein geringes Interesse an einer rechtlichen Formalisierung ihrer vielfältigen Lebensformen.[91] Solche Positionen sind vermutlich zum Teil in der bisherigen eigenen Wahrnehmung als extreme Minderheit begründet und beginnen sich in den letzten Jahren zu verändern.
 
 
Im Zuge der Diskussion um die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften wurde zudem die monogame Zweierbeziehung als einzig erstrebenswerte Form von Beziehungen in Frage gestellt. Gegenvorschläge erschienen im Bereich der Lebensformenpolitik zum Beispiel von Christina Schenk (Manifest „Einen Neuen Kuchen backen“), der Grünen Jugend in Deutschland mit Vertreterinnen wie Julia Seeliger („Ist Monogamie die Lösung?“, Stellungnahme des Bundesvorstands im Februar 2006),[92] oder der Jugendorganisation der Schwedischen Grünen Partei (Bericht der Zeitung Nya Dagen im März 2004).
 
 
In dieser Diskussion finden zunehmend auch die Interessen polyamor lebender Menschen ausdrückliche Erwähnung. Julia Seeliger (Bündnis 90 / Die Grünen) schlägt beispielsweise eine verbesserte Gleichstellung der Lebensformen und eine Ablösung der bisherigen steuerlichen Familienförderung durch einen Familienvertrag analog zum französischen Pact Civil de Solidarité (PACS) vor.[93] Einen ähnlichen Weg geht die Piratenpartei Deutschland, die 2010 die Forderung nach einer Gleichstellung polyamorer Beziehungen in ihr Grundsatzprogramm aufnahm.[94] Die Piratenpartei will die Gleichstellung durch die Öffnung von Lebenspartnerschaften auch für mehr als zwei Personen bei gleichzeitiger Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft erreichen. Lebenspartnerschaften sollen dabei in Anlehnung an PACS flexibilisiert werden.[95]
 
 
In den Niederlanden sammelte im April 2009 weltweit die erste Initiative, eine Gruppe um die Schriftstellerin Ageeth Veenemans, begleitend zur Kunstaktion „My Name is Spinoza“ mehrere tausend Unterschriften für eine Petition für die Legalisierung von polyamoren Ehen.[96]
 
   
Derartige Bestrebungen werden in den USA von Konservativen wie zum Beispiel Stanley Kurtz im National Review Magazin mit den gleichen Argumenten kritisiert wie jene zur Anerkennung von Ehen für homosexuelle Paare (Lebenspartnerschaft); eine solche Gleichstellung, so meint Kurtz, wäre eine Ursache für eine weitere Verminderung der Stabilität traditioneller Ehen, und würde auch den Druck auf Eltern, zu heiraten, weiter reduzieren; dies würde zu vermehrten nichtehelichen Schwangerschaften und Trennungen führen, da das Bestehen der Ehe als sozialer Institution davon abhänge, dass die gesamte Gesellschaft heterosexuelle, monogame Beziehungen und Heirat als einzige Form des Zusammenlebens fördere.[97][98] Diese Argumentation spricht der staatlichen Anerkennung von Lebensformen einen viel stärkeren Einfluss zu als dem allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandel.
 
Siehe auch: Lebensformenpolitik
 
Polyamory und Religion
 
   
Eine weitere Variante von Kritik gegen die Anerkennung polyamorer Lebensformen ist religiös begründet. Die Sexualethiken von Christentum, Islam, und Judentum sehen einvernehmliche und gleichberechtigte nichtmonogame Beziehungen von Männern und Frauen nicht vor, und diese werden gelegentlich dem Ehebruch gleichgesetzt oder als Unzucht bewertet, die heute noch in manchen islamisch geprägten Ländern mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden. In Teilen des sehr konservativen katholischen Spektrums und von fundamentalistischen Strömungen wird Polyamory als Form von Hurerei oder Perversion betrachtet. Dementsprechend stehen Menschen mit polyamorer Lebensweise diesen Religionen oft etwas distanziert gegenüber. Andere Religionen und spirituelle Praktiken wie Neopaganismus oder Wicca, Unitarismus, Tantrismus und (zu einem geringeren Grad) Daoismus und Buddhismus haben Normen, die Polyamory eher akzeptieren, und sind, vor allem in den USA, unter deren Anhängern verhältnismäßig populärer. Von diesen Tendenzen gibt es durchaus Ausnahmen, wie das Beispiel der Jüdin Etty Hillesum zeigt.[99]
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==Polyamory und Gesellschaft==
   
(weitere Ausführungen siehe unter Polygamie in den Weltreligionen und Homosexualität und Religion)
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Anthropologische Untersuchungen zeigen, dass zwar Paarbindungen zu den Grundkonstanten menschlichen Verhaltens zählen, in der Mehrheit der menschlichen Kulturen jedoch nichtmonogame Lebensformen, besonders Polygynie, zu einem geringen Grad auch Polyandrie, vorkamen; die Formen des Zusammenlebens waren immer eng mit ökonomischen Interessen der Wahrung und Weitergabe von familiären oder gemeinschaftlichem Besitz und den sonstigen sozialen Beziehungen verknüpft.
Bekannte in einvernehmlichen mehrfachen Beziehungen lebende Personen
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Ausschließliche Zweierbeziehungen als verbindliche soziale Norm beruhen zu einem großen Teil auf Konzepten und Idealvorstellungen, welche durch Polyamory fundamental in Frage gestellt werden. So kommen Verhaltensweisen wie Fremdgehen oder Ehebruch trotz oft harter Strafen in allen untersuchten Gesellschaften vor, in denen ausschließliche Zweierbeziehungen als Norm gelten.
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In heutigen Gesellschaften ergeben genetische Untersuchungen zur Häufigkeit von außerehelichen Schwangerschaften Häufigkeiten zwischen wenigen Prozent und 30 %.
   
Da die Begriffe der Polyamory und sein direkter Vorläufer Responsible Nonmonogamy erst zwischen den 1960er Jahren und 1990 entstanden sind, lassen sie sich nicht immer eindeutig auf Personen anwenden, die früher gelebt haben. Diese Liste folgt vier Kriterien: Sie führt zum einen nur Personen auf, die einvernehmlich mit den Partnern in mehreren Beziehungen gelebt haben. Eine erzwungene Einwilligung muss also ausgeschlossen sein. Als zweites Kriterium darf es keine Indizien geben, dass die Beziehungen gegenüber einem Partner verheimlicht wurden. Drittens führt die Liste bei lebenden Personen nur solche auf, die sich selbst öffentlich zu einvernehmlichen nichtmonogamen Beziehungen bekannt haben. Viertens sollte sich das Führen dieser Beziehungen im Leben, im Werk, oder im Denken derjenigen Personen niedergeschlagen haben.
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==Polyamory und Religion==
Edna St. Vincent Millay 1933, fotografiert von Carl Van Vechten
 
   
Einschränkend muss gesagt werden, dass nicht alle Personen, die in ihrem späteren Leben polyamoren Idealen entsprachen, dies von ihrer Jugend an realisiert haben, und dass natürlich, wie oben ausgeführt, auch in offenen Beziehungen lebende Menschen gelegentlich Fehler machen und Dinge tun, die ihren Überzeugungen widersprechen. Als Beispiel kann man hier die Poetin und Dramatikerin Edna St. Vincent Millay nennen, die sowohl mit Djuna Barnes als auch mit deren Partnerin Thelma Ellen Wood eine Beziehung hatte, die von beiden beendet wurde, als Millay die Beziehung aufdeckte. Millay führte später eine Offene Ehe mit Eugene Jan Boissevain. Schließlich soll daran erinnert werden, dass auch in einvernehmlichen nichtmonogamen Beziehungen starke Eifersucht zutage treten kann.
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Eine weitere Variante von Kritik gegen die Anerkennung polyamorer Lebensformen ist religiös begründet. Die Sexualethiken von Christentum, Islam, und Judentum sehen einvernehmliche und gleichberechtigte nichtmonogame Beziehungen von Männern und Frauen nicht vor, und diese werden gelegentlich dem Ehebruch gleichgesetzt oder als Unzucht bewertet, die heute noch in manchen islamisch geprägten Ländern mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden. In Teilen des sehr konservativen katholischen Spektrums und von fundamentalistischen Strömungen wird Polyamory als Form von Hurerei oder Perversion betrachtet. Dementsprechend stehen Menschen mit polyamorer Lebensweise diesen Religionen oft etwas distanziert gegenüber.
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Andere Religionen und spirituelle Praktiken wie Neopaganismus oder Wicca, Unitarismus, Tantrismus und (zu einem geringeren Grad) Daoismus und Buddhismus haben Normen, die Polyamory eher akzeptieren.

Aktuelle Version vom 4. Februar 2015, 17:37 Uhr

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten]

Polyamorie bedeutet, mehrere Menschen zur selben Zeit zu lieben. Mit vollem Herzen und auch sexuell. Bemerkenswert daran ist vor allem, dass es offen gelebt mit, mit der Zustimmung oder Billigung aller Beteiligten.

Mit der Liebe nicht Halt zu machen bei einem Menschen, ist ein alter Traum vieler Menschen.

??? hielt einen Vortrag: "Wer nur einen liebt, liebt keinen." Ist ja auch komisch: Die Liebe soll doch die einzige Sache sein, die sich durch Teilen verdoppelt! Wo gibt es denn sowas: Ein Kind kann ich lieben, aber zwei Kinder nicht?!

Irgendwas stimmt hier offensichtlich nicht. Mit der Monogamie sind wir tatsächlich auf den kulturellen Leim unserer Gesellschaft gegangen.

Die Leute, die das erkannt haben und sich daraus befreien wollten und das Lebensmuster Polyamorie (Polyamorie ist nicht die einzige Antwort) gewählt haben, nennen sich selber "Polys".

Es folgt eine Zusammenfassung bzw. Ergänzung des unheimlich langen Wikipediaartikels:

[Bearbeiten]

Polyamory ist ein Oberbegriff für die Praxis, Liebesbeziehungen zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit zu haben. Dies geschieht mit vollem Wissen und dem Einverständnis aller beteiligten Partner.

Die angestrebten Beziehungen sind langfristig und vertrauensvoll angelegt und schließen normalerweise (aber nicht notwendigerweise) Verliebtheit, Zärtlichkeit und Sexualität mit ein. Menschen, die diese Art von nichtmonogamen Beziehungen führen, werden als „polyamor“ bezeichnet. Seit den 1960er Jahren sind Erfahrungs- und Kommunikationsnetzwerke von Menschen entstanden, die in solchen Beziehungen leben.

Weltanschaulich stellt das polyamore Konzept die Vorstellung in Frage, dass Monogamie die einzig erstrebenswerte oder mögliche Form des Zusammenlebens darstellen. Das Konzept bejaht, dass ein Mensch mit mehreren Personen zur gleichen Zeit Liebesbeziehungen haben kann.


Die Polyamory definiert sich über die emotionale Seite von Liebesbeziehungen; ihr liegt die Idee zugrunde, dass Liebe, auch solche romantischer Färbung, nichts ist, das auf einzelne Personen eingeschränkt werden müsse. Polyamore Beziehungen erfordern in der Regel erheblich mehr Aufmerksamkeit, Energie und Kommunikation als emotional und sexuell ausschließliche Beziehungen und bieten den Beteiligten weniger Sicherheiten, haben für die Menschen, die sie führen, jedoch ausgleichende Vorteile.

Eifersucht stellt aus dieser Sicht eine Herausforderung dar, die durch Mut, Verständnis und Vertrauen der Partner und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit ihr gemeistert werden kann. Polyamore Beziehungen haben viele mögliche Konstellationen mit spezifischen Bezeichnungen, zum Beispiel bezeichnet ‚Triade‘ eine wechselseitige Liebesbeziehung zwischen drei Personen.

Zum Teil haben sich spezielle Begriffe entwickelt, wie ‚frubbelig‘ für ein Gefühlserleben gegensätzlich zur Eifersucht, einer Art (Mit-)Freude, die man empfindet, wenn man seinen Partner glücklich in der Gegenwart eines anderen Partners wähnt.

Menschen in polyamoren Netzwerken schätzen als Werte Treue im Sinn von Verbindlichkeit und Loyalität, Ehrlichkeit, Respekt, gleichberechtigte Kommunikation und Verhandlung sowie Hingabe. Diese Werte beruhen auf kollektiven Präferenzen sowie Erfahrungen, welche Verhaltensweisen erfüllte und dauerhafte nicht ausschließliche Beziehungen fördern. Als politische Strömung betrachtet das Konzept der Polyamorie die verschiedenen Lebensformen als gleichberechtigt und befürwortet den Abbau von Diskriminierungen.

[Bearbeiten] Begriffsabgrenzung zwischen Polyamory und „Freier Liebe“

In der sexuellen Revolution der 1960er Jahre wurde eine „freie Liebe“ popularisiert und teilweise als neue Norm vertreten, die promiskes Verhalten propagierte („Wer zweimal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment“). Ziel war das Aufbrechen sexueller Normen und Schaffen neuer Beziehungsformen, beispielsweise in der Kommune

Inzwischen hat sich ein weitgehend anerkannter Maßstab herausgebildet, um Polyamory von dem alten, häufig normativ gebrauchten Begriff der „Freien Liebe“ abzugrenzen, wie er in den 1970er Jahren verstanden wurde. Polyamore Beziehungen benötigen grundsätzlich das Einvernehmen aller Beteiligten. Der sexuellen Selbstbestimmung wird höchste Priorität eingeräumt. Das setzt voraus, dass alle Beteiligten umfassend informiert sind, Transparenz gewährleistet ist und ein gleichwertiger Umgang zwischen ihnen besteht.

[Bearbeiten] Allgemeines

Menschen, die sich als polyamor oder polyamorös bezeichnen, haben die Bereitschaft, Liebesbeziehungen und enge Freundschaften mit mehreren Menschen zu führen, da für sie diese Beziehungsform ein Ideal darstellt.

Die Liebe ist nach ihrer Auffassung kein endliches oder limitiertes Gut, das immer nur für die Liebe zu einer einzigen Person ausreicht, sondern gegenüber mehreren Menschen in einer ganz individuellen Ausprägung in Erscheinung treten kann.

Die Polyamory definiert sich dabei über die emotionale Seite der Liebesbeziehungen. Es steht also nicht das Erleben von Sexualität im Mittelpunkt.

Als Bedingungen für polyamouröse Beziehungen werden vielfach größtmögliche Ehrlichkeit zwischen den Beteiligten und gegenseitiges Einverständnis genannt. Deshalb gibt es im Konzept der Polyamory keine zu verheimlichenden Liebhaberinnen und Liebhaber.

Da die Polyamory im Gegensatz zur Monogamie keinen Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber dem Partner vertritt, besteht keine Notwendigkeit, eine Beziehung zu beenden, wenn der Partner parallel weitere Beziehungen eingeht. Akute Verliebtheit, in englischsprachigen Foren auch „New Relationship Energy“ (NRE) genannt.

Polyamore Beziehungen können einen erheblichen emotionalen Stress bedeuten, falls es Konflikte zwischen den Partnern gibt oder Eifersuchtsgefühle aufkommen. Nach Meinung vieler polyamorer Menschen verlangen solche Situationen neben Aufrichtigkeit, Empathie und Selbstkenntnis ein überdurchschnittliches Abgrenzungsvermögen.

Um sich beispielsweise vor Beziehungskonflikten in ungünstigen Lebensphasen wie der Stillzeit eines Kindes zu schützen, handeln langfristige Partner häufig vorher ein gegenseitiges, im Umfang begrenztes Vetorecht in Bezug auf neue Beziehungen aus.

Als Grund gegen ein Eingehen polyamorer Beziehungen führen viele polyamore Menschen an, dass oft viel mehr „Beziehungsarbeit“ geleistet werden müsse, was manchmal einen erheblichen Aufwand an Aufmerksamkeit, Zeit und Energie erfordere.

[Bearbeiten] Umgang mit Eifersucht

Polyamoren Autoren zufolge ist in polyamoren Beziehungen weniger die Abwesenheit von Eifersucht wichtig als die Bereitschaft zur Begegnung und Auseinandersetzung mit diesem Gefühl. Die Intensität der Empfindung ist von Person zu Person verschieden. Es gibt polyamore Menschen, bei denen sie ganz fehlt.

Grundlegend für einen Umgang mit Eifersucht ist der Gedanke, dass jeder Mensch selber für seine eigenen Gefühle und Gedanken verantwortlich ist, wie auch für den Umgang mit seinen Erfahrungen und Konditionierungen.

Autorinnen wie Celeste West weisen ferner darauf hin, dass es negative Folgen für die seelische Gesundheit haben kann, für längere Zeit das Ziel von verletzend eifersüchtigem Verhalten zu sein, auch wenn keine physische Gefährdung besteht.[49] Darüber hinaus ist Eifersucht in westlichen Ländern eine der häufigsten Ursachen für tödliche Gewalttaten und sogenannte Beziehungsdramen.

[Bearbeiten] Formen, Benennungen und Beziehungskonstellationen

Häufig gibt es eine Hauptbeziehung (engl. „primary relationship“; deutsch: Primärbeziehung) oder Partnerschaft zwischen zwei (oder mehr) Partnern, die zusammen leben, wobei aber jeder der Partner nebenher noch weniger intensive oder enge Liebschaften oder Geliebte (engl. „secondary relationships“; deutsch: Sekundärbeziehung) hat, etwa entsprechend nicht zusammen wohnenden Paaren. Zusätzlich können noch „tertiary relationships“(Tertiäbeziehungen) hinzukommen, zum Beispiel erweiterte, Sexualität beinhaltende Freundschaften („Friends with benefits, intimate friendships“) mit Personen, welche häufig weiter entfernt wohnen. Ein Teil der Menschen, die Polyamory praktizieren, lehnt aber das Konzept einer Hierarchie von Beziehungspartnern eher ab, da es den individuellen Personen nicht gerecht werden könne. Andere stellen auch die Dichotomie, mit Menschen entweder in einer Beziehung oder in keiner Beziehung zu sein, in Frage. Kritiker dieser Sichtweise betonen die Wichtigkeit einer Offenlegung und Anerkennung real bestehender Prioritäten, so dass alle Beteiligten um ihre Position wissen.

Es kann auch vorkommen, dass eine Gruppe von Menschen ein exklusives Netzwerk bildet, dessen Mitglieder jeweils nur untereinander emotionale und sexuelle Beziehungen haben. Dies wird oft „Polyfidelity“ genannt. Auch verbindliche Partnerschaften zwischen mehr als zwei Menschen (Group Marriages), Beziehungsnetzwerke von Menschen, die nicht mit jemandem zusammen leben (Intimate Networks), bis hin zu „erweiterten Freundschaften“, welche Sexualität als zusätzliche Option beinhalten, kommen vor. Schließlich gibt es den Begriff Stamm oder Clan, bei denen die Beziehungspartner erweiterten Lebensgemeinschaften, beispielsweise Kommunen angehören.

Weiterhin gibt es mono-polyamore Beziehungen, in denen von zwei Partnern einer mehrere Beziehungen hat, während der andere den weiteren Beziehungen des ersten zustimmt, selber aber keine zusätzliche Beziehung möchte. Solche „1:N-Beziehungen“, in denen ein Teil eines Paares sich monogam verhält und der andere mehrere Beziehungen hat, können durchaus glücklich sein. Zur Unterscheidung wird gelegentlich eine monogame Beziehung zweier Menschen, als Eins-zu-Eins-Beziehung bezeichnet.

Beziehungen zwischen Menschen, die Polyamory praktizieren möchten, und solchen, die einen monogamen Partner wünschen, sind dagegen im Allgemeinen konfliktträchtig und werden häufig vermieden, denn Versuche, die eigene Orientierung oder diejenige des Partners hin zu polyamoren oder monogamen Beziehungen beeinflussen zu wollen, schlagen in aller Regel fehl.

Für die Stellung von einzelnen Personen zueinander haben sich, besonders in englischsprachigen elektronischen Medien, bestimmte „geometrische“ Bezeichnungen eingebürgert. Dabei wird als „V (engl. Vee)“ bezeichnet, wenn eine Person zu zwei anderen eine enge Beziehung hat. Ebenso gibt es „N“, „Z“, und „W“. Als „Triade“ wird bezeichnet, wenn drei Menschen untereinander eine enge Beziehung haben, was nur selten vorkommt, und als „Quad“ eine Partnerschaft oder Gruppenehe von vier Personen. Eine Paarbeziehung zwischen zwei Personen wird „Dyade“ genannt. Viele solcher Beziehungen sind sehr langlebig, wenn sie eine gewisse Vertrautheit und Stabilität einmal erreicht haben. Auch liebevolle Beziehungen, die keine Sexualität beinhalten, können gegebenenfalls als polyamor bezeichnet werden.

[Bearbeiten] Polyamore Vernetzungen

Im deutschsprachigen Raum finden seit Ende der 1990er Jahre regionale Treffen statt, deren Häufigkeit und Verbreitung beständig zunimmt. Seit April 2008 richtet der im gleichen Jahr gegründete Verein PAN e. V. zweimal jährlich überregionale Treffen für den deutschsprachigen Raum aus.

Statistische Zahlen über Menschen, die in mehrfachen Beziehungen leben, können nur geschätzt werden.

Ein überdurchschnittlich hoher Anteil dieser Menschen ist bisexuell orientiert, es sind jedoch alle sexuellen Orientierungen vertreten. Berührungen und Überschneidungen der Subkultur der Polyamory existieren außer mit der Bi-Bewegung, mit der BDSM-Szene, der Neotantra-Szene, der Queer-Bewegung sowie mit Teilen der lesbischen und schwulen Bewegung, und der linken Subkultur, welche die konventionelleren Beziehungsformen unter dem Stichwort „Romantische Zweierbeziehung“ hinterfragt und diskutiert.

Aufgrund der Vielfalt polyamorer Menschen und Lebensformen, der räumlichen Verstreutheit polyamorer Menschen und des Fehlens von kulturellen Merkmalen, welche über die Lebensform und deren praktische Realisierung hinausgehen, kann aber nicht von einer „Polyamory-Szene“ oder einer abgegrenzten Subkultur gesprochen werden. Polyamor lebende Menschen gehören heute allen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen an, wobei Menschen mit überdurchschnittlicher Ausbildung häufiger vertreten sind. Polyamore Konzepte verbreiten sich immer mehr in den gesellschaftlichen Mainstream.

Polyamor lebende Frauen geben seit 2006 die im Selbstverlag erscheinende Zeitschrift „Die Krake“ heraus.

[Bearbeiten] Kinder in polyamoren Familien

In zahlreichen Familien, in denen ein oder mehrere Partner weitere polyamore Partnerschaften unterhalten, leben Kinder. Wie auch bei anderen Charakteristika der Polyamory, variiert hierbei die Art und Weise, wie Kinder in die Familie integriert sind:

Die Eltern sind voll verantwortlich für ihre eigenen Kinder. Die Eltern tragen die Hauptverantwortung für ihre eigenen Kinder (biologische, Adoptiv- oder Stiefkinder), aber auch andere Mitglieder des Beziehungsgeflechtes fungieren als eine erweiterte Familie, die Hilfe bei der Kindererziehung leisten kann. Durch Polyamory verbundene Erwachsene erziehen ihre Kinder kollektiv, alle nehmen die gleiche Verantwortung für jedes Kind unabhängig von der Blutsverwandtschaft wahr.

Oft wird befürchtet, dass nicht-ausschließliche Beziehungen negative Folgen für Kinder haben könnten. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist, sofern die Bezugspersonen in einer stabilen Partnerschaft leben. Die unterschiedlichen Entwicklungsstadien des Kindes scheinen jedoch einen Effekt auf die Wahrnehmung der Eltern zu besitzen. Bei Teenagern in der Phase der Identitätsfindung kann eine nichtmonogame Beziehungsform der Eltern Unsicherheit und Ablehnung auslösen; kleinere Kinder profitieren oft von den zusätzlichen Bezugspersonen.

Gelegentlich wird berichtet, dass Kinder weniger oder gar keine Eifersucht zeigen, was die Hypothese stützt, dass Eifersucht eine (wenn auch tief verwurzelte) kulturelle Norm darstellt.

Insgesamt lässt sich vermuten, dass ein Erwachsener, der mehr Zeit im Leben mit einem Kind verbracht hat, wahrscheinlich auch eine stärkere elterliche Bindung zu diesem Kind entwickeln wird, als jemand, der nur kürzere Zeiträume mit dem Kind in Verbindung stand.

Beliebte Symbole für Polyamorie sind Papageien, die auf englisch oft „Polly“ genannt werden, sowie ein rotes Herz für die Liebe mit dem blauen Symbol der Unendlichkeit für Offenheit und Bedingungslosigkeit.

Als Symbol für die Liebe zu mehreren Menschen werden auch drei ineinander verschränkte oder verschlungene Formen oder Objekte verwendet, beispielsweise drei Ringe, drei Delfine, drei Menschen, drei Kreise, ein Dreieck. Manche Menschen, die in einer polyamoren Beziehung miteinander verbunden sind, tragen als Zeichen der Verbundenheit den gleichen Schmuck oder (wie Ehepaare) den gleichen Ring.

[Bearbeiten] Entwicklung angepasster Begriffe

Polyamore Menschen haben für bestimmte Situationen, die in monogamen Beziehungen ungewohnt sind, neuartige Begriffe entwickelt, um ihre Erfahrungen, Gefühle, und Lebenswelten zu beschreiben.

Mitfreude (Compersion oder „Resonanzfreude“) bezeichnet eine Manifestation von Liebe, wenn jemand im Geliebtwerden eines geliebten Menschen durch eine andere Person Glück und Erweiterung findet und sich daran freut, und stellt somit in gewisser Weise einen Gegenpol zur Eifersucht dar. Sie ist eine Form von Empathie, das heißt, Freude daran, dass der nahestehende Mensch etwas Schönes in seinem Leben erfährt. Das Gefühl von Mitfreude erstmalig zu erleben, wird manchmal als ungewohnt oder fremdartig beschrieben, denn es läuft dem Gefühl von Eifersucht, das die meisten Menschen in solchen Situationen als normal erwarten, zuwider.

Das Adjektiv frubbly (deutsch manchmal: frubbelig) wurde als Ausdruck für das Gefühl von Compersion geprägt. Entsprechend nennen im deutschsprachigen Raum manche polyamore Menschen die Partner ihrer Partner „Frubbel“, daneben existiert auch der Begriff der „Metamour“.

[Bearbeiten] Ehrlichkeit und Respekt

Menschen, welche Polyamory praktizieren, betonen oft die Wichtigkeit von Ehrlichkeit und Selbstoffenbarung gegenüber allen Partnern, die als eines der wesentlichen Prinzipien gilt. Von einem Verschweigen von Tatsachen – selbst eine „schweigende Vereinbarung“ der Form „Mach, was Du möchtest, solange ich nichts erfahre“ – wird nachdrücklich abgeraten. Diesem liege meistens die Vorstellung zugrunde, dass Partner die Wahrheit nicht ertragen können oder ihren Geliebten nicht zutrauen, Abmachungen einzuhalten. Der oder die Geliebte eines Partners sollte als Bestandteil des Lebens dieses Partners akzeptiert und nicht bloß toleriert werden.

Im Unterschied zu – meist unausgesprochenen – traditionellen Verhaltensnormen, in denen bestimmte Dinge oft ‚dem Partner zuliebe‘ nicht ausgesprochen werden, erstreckt sich diese Priorität von Ehrlichkeit auch auf Sachverhalte, die beim Partner erhebliche seelische Schmerzen, Ängste und Eifersucht auslösen können. Dauerhafte und authentische Beziehungen setzen damit die Bereitschaft der Partner voraus, sich den eigenen schmerzhaften Gefühlen zu stellen.

In Eins-zu-eins (oder „monogamen“) Beziehungen wird Treue oft verstanden als Eingehen einer Verbindlichkeit zu nur einem Partner und Ausübung von Sexualität nur mit dieser Person (in traditionellen Ehen dem Ideal zufolge lebenslang, „bis dass der Tod euch scheidet“). Ein Verstoß gegen diese Regel wird als Untreue angesehen. In polyamoren Beziehungen wird unter Treue hingegen Ehrlichkeit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Wohlwollen in Bezug auf die Beziehung verstanden, sowie die Einhaltung von Absprachen innerhalb dieser Beziehung. Generell werden dauerhafte Beziehungen angestrebt, was bei Schwierigkeiten wie Konflikten oder Aufkommen von Eifersucht oft ein sehr hohes Engagement verlangt. Allerdings werden auch promiske Verhaltensweisen im Allgemeinen toleriert, solange dies in ehrlicher Weise geschieht.

[Bearbeiten] Nicht besitzergreifendes Verhalten

Menschen in konventionellen Beziehungen vereinbaren oft, unter keinen Umständen andere Beziehungen einzugehen, da diese ihre bestehende Beziehung bedrohen, verwässern oder ersetzen würden. Polyamore Menschen glauben, dass solche Beschränkungen unter Umständen schädlich für eine Beziehung sein können, da sie die Tendenz haben, Vertrauen durch besitzergreifende Verbote zu ersetzen und Beziehungen in einen Rahmen aus Besitz und Kontrolle bringen: „Du bist mein“. Dies spiegelt kulturelle Annahmen wider, dass Beschränkungen nötig seien, um Partner daran zu hindern, sich aus der Beziehung zu entfernen, und dass zusätzliche nahe Beziehungen die Bindung gefährden würden. Zum Teil liegt der Sinn dieser Beschränkungen auch darin, das als gefährlich oder nicht ertragbar empfundene Gefühl von Eifersucht zu vermeiden.

Polyamore Menschen neigen dazu, die Liebesbeziehungen ihrer Partner eher als Bereicherung des Lebens ihrer Partner zu sehen denn als Bedrohung ihres eigenen. Das geflügelte Wort „Wenn du etwas liebst, lass es frei. Kommt es zu dir zurück, hast du es nicht verloren. Kehrt es nicht zu dir zurück, so hast du es nie besessen.“ beschreibt eine ähnliche Haltung. Aus diesem Grund sehen viele Menschen, die Polyamory praktizieren, eine besitzergreifende Einstellung zu Beziehungen als etwas, das vermieden werden sollte. Dies verlangt ein hohes Maß an Vertrauen und Selbstvertrauen. Interessanterweise kann gerade das Nicht-Vermeiden von Eifersucht den Weg zu solchem Selbstvertrauen aufzeigen.[78][79][80][81]

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Wiewohl es durchaus Anhänger der Polyamory gibt, die ihre individuellen Werte konventionelleren Wertsystemen gegenüber als überlegen ansehen, betrachten viele von ihnen Polyamory und Eins-zu-eins Beziehungen als gleichwertige Lebensweisen, wobei die Wahl von der Einzelperson abhängt. Auch wenn nach ihrer Überzeugung manche monogamen Beziehungen auf bloßem Konformismus oder besitzergreifendem Denken basieren, betrachten sie dies genauso wenig als ein notwendiges Merkmal von monogamen Beziehungen, wie sie Bindungsunfähigkeit als ein Charakteristikum der Polyamory anerkennen würden.

Menschen, welche Polyamory praktizieren, lehnen demgegenüber heimliche außereheliche Beziehungen (Fremdgehen) meist ab, da dies einen schweren Eingriff in die Freiheit des Anderen darstelle, anhand der Tatsachen über seine Beziehung zu entscheiden. Eine länger bestehende heimliche Dreiecksbeziehung in eine polyamore umzuwandeln, gelingt in der Praxis nur in den seltensten Fällen, da das für die notwendige Kommunikation unabdingbare Vertrauen in der Primärbeziehung meist zu schwer beschädigt wird.


[Bearbeiten] Polyamory und Gesellschaft

Anthropologische Untersuchungen zeigen, dass zwar Paarbindungen zu den Grundkonstanten menschlichen Verhaltens zählen, in der Mehrheit der menschlichen Kulturen jedoch nichtmonogame Lebensformen, besonders Polygynie, zu einem geringen Grad auch Polyandrie, vorkamen; die Formen des Zusammenlebens waren immer eng mit ökonomischen Interessen der Wahrung und Weitergabe von familiären oder gemeinschaftlichem Besitz und den sonstigen sozialen Beziehungen verknüpft. Ausschließliche Zweierbeziehungen als verbindliche soziale Norm beruhen zu einem großen Teil auf Konzepten und Idealvorstellungen, welche durch Polyamory fundamental in Frage gestellt werden. So kommen Verhaltensweisen wie Fremdgehen oder Ehebruch trotz oft harter Strafen in allen untersuchten Gesellschaften vor, in denen ausschließliche Zweierbeziehungen als Norm gelten. In heutigen Gesellschaften ergeben genetische Untersuchungen zur Häufigkeit von außerehelichen Schwangerschaften Häufigkeiten zwischen wenigen Prozent und 30 %.

[Bearbeiten] Polyamory und Religion

Eine weitere Variante von Kritik gegen die Anerkennung polyamorer Lebensformen ist religiös begründet. Die Sexualethiken von Christentum, Islam, und Judentum sehen einvernehmliche und gleichberechtigte nichtmonogame Beziehungen von Männern und Frauen nicht vor, und diese werden gelegentlich dem Ehebruch gleichgesetzt oder als Unzucht bewertet, die heute noch in manchen islamisch geprägten Ländern mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden. In Teilen des sehr konservativen katholischen Spektrums und von fundamentalistischen Strömungen wird Polyamory als Form von Hurerei oder Perversion betrachtet. Dementsprechend stehen Menschen mit polyamorer Lebensweise diesen Religionen oft etwas distanziert gegenüber. Andere Religionen und spirituelle Praktiken wie Neopaganismus oder Wicca, Unitarismus, Tantrismus und (zu einem geringeren Grad) Daoismus und Buddhismus haben Normen, die Polyamory eher akzeptieren.

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