Beziehungsanarchie
Beziehungsanarchie (abgekürzt RA, nach englisch "relationship anarchy") ist die Praxis, zwischenmenschliche Beziehungen auf der Basis individueller Wünsche anstatt feststehender Normen und Regeln zu führen.
Sie unterscheidet sich von der Polyamorie dadurch, dass sie annimmt, man brauche keine formelle Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen von Beziehungen. Beziehungsanarchisten betrachten jede Beziehung (Liebesbeziehungen und andere) individuell, im Gegensatz zu der üblichen Kategorisierung nach gesellschaftlichen Normen wie "nur Freunde", "in einer Beziehung", "in einer offenen Beziehung", etc.
Es folgen neun Punkte, die für Beziehungsanarchie wichtig sind.
Liebe ist im Überfluss vorhanden, und jede Beziehung ist einzigartig.
Beziehungsanarchie stellt die Idee in Frage, dass Liebe eine begrenzte Ressource ist, die nur dann echt ist, wenn sie nur zwischen zwei Personen stattfindet. Du kannst viele Menschen lieben, und die Beziehung zu einem Menschen beschränkt nicht die Liebe, die du für jemand anderen empfindest. Bewerte und vergleiche keine Menschen oder Beziehungen - schätze jede Beziehung auf ihre individuelle Art und Weise. Es ist nicht nötig, jemanden als "Partner" zu benennen, damit die Beziehung echt ist. Jede Beziehung ist eigenständig, und eine Beziehung zwischen eigenständigen Menschen.
Liebe und Respekt statt Forderungen
Auf Forderungen als Grundlage für eine Beziehung zu verzichten, heißt die Autonomie und das Urteilsvermögen anderer Menschen zu respektieren. Deine Gefühle für jemanden oder eure gemeinsame Vergangenheit geben dir nicht das Recht, Forderungen und Ansprüche zu haben. Findet heraus, wie ihr miteinander umgehen könnt, ohne persönliche Grenzen zu übertreten. Anstatt immer nach einem Kompromiss zu suchen, lasse jeden Menschen seinen eigenen Weg finden, ohne dass das für die Beziehung eine Krise bedeutet. Keine Ansprüche zu haben, ist der einzige Weg, um sicher zu sein, dass die Beziehung immer auf beidseitiger Freiwilligkeit aufbaut. Liebe ist nicht "echter", wenn ihr euch füreinander verbiegt, nur weil das so üblich ist.
Finde deinen festen Standpunkt
Wie willst du von Anderen behandelt werden? Und ich meine alle anderen. Was sind deine Grenzen und Erwartungen für alle Beziehungen? Mit was für Menschen willst du dich umgeben, und wie soll deine Beziehung mit ihnen aussehen? Finde deine Kernpunkte, die für dich wichtigsten Werte, und verwende sie ohne Ausnahme in allen Beziehungen. Weiche nicht davon ab, um irgendwem zu beweisen, dass du ihn "wirklich" liebst.
Die heterosexistische Norm ist vorhanden, aber fürchte dich nicht.
Denke daran, dass es ein sehr starkes normatives System gibt, das dir sagen will, wie du zu leben hast und was wirkliche Liebe ist. Viele werden dich und deine Beziehungen in Frage stellen, wenn du nicht der Norm folgst. Arbeite mit den Menschen, die du liebst, zusammen und findet Wege und Tricks, um die Normen zu vermeiden, die euch Probleme bereiten. Findet positive Gegenentwürfe, damit ihr für etwas streiten könnt, und nicht nur gegen die Norm. Lasst eure Beziehungen nicht von der Angst vor gesellschaftlichen Normen beeinflussen.
Spontanität statt Verpflichtung
Die Freiheit, spontan zu sein - sich auszudrücken und zu handeln, ohne Angst vor Strafe und ohne Pflichtgefühl - das ist es, was eine anarchistische Beziehung lebendig macht. Spontanität ist vor allem das Gegenteil von Pflicht. Du willst eine Beziehung haben, in der man aus einem positiven Wunsch heraus miteinander zu tun hat, nicht aus Pflichtgefühl. Bei Spontanität geht es nicht darum, dass alles ohne Planung und Nachdenken gemacht wird, sondern darum, eine Beziehung zu schaffen die nicht auf Aufgaben und Anforderungen basiert. Organisiere deine Beziehungen so, dass Spontanität möglich ist!
- Ach übrigens: Maria Montessori sprach in ähnlichem Zusammenhang von "Normalisierung". Es bedeutet, sich etwas voll und ganz zu widmen, widmen zu können. Und das bedeutet: GLÜCK.
Fake it till you make it
Manchmal scheint es, als müsste man ein unglaublicher Übermensch sein, um solche anarchistischen Beziehungen "hinzukriegen". Aber das stimmt nicht. Verwende den Trick "Schummeln, bis es funktioniert": Überleg dir in einer ruhigen Situation, wie du handeln würdest wenn du dich so stark und sicher fühlst wie du dir wünschst. Verwandle das in einfache Verhaltensregeln, die du anwenden kannst wenn du dich nicht so stark fühlst. Sprich mit Anderen darüber wie sie das machen, und mach dir keine Vorwürfe wenn es nicht immer klappt!
Vertrauen ist besser
Gehe davon aus, dass die Menschen in deiner Umgebung dir nur Gutes wollen. Es ist Unsinn, dass Egoismus der einzige Antrieb des Menschen ist. Vetrauen ist besser als eine Beziehung, in der du ständig nach Bestätigung suchst, dass der Andere immernoch für dich da ist. Du und die Anderen wollt euch gerne sehen und kommunizieren, aber manchmal hat man so viel um die Ohren, dass man alle Energie auf seine eigenen Sorgen richten muss. Je mehr du dann eine verständnisvolle Umgebung für dich und andere schaffen kannst, desto mehr Energie bleibt übrig, um sich gegenseitig zu unterstützen. Gib den Leuten die Chance zu reden, sich zu erklären, und zu zeigen dass sie Verantwortung in der Beziehung übernehmen, aber auch die Chance, sich um sich selbst zu kümmern. Denke an deine Grenzen.
Veränderung durch Kommunikation
Für das meiste, was Menschen gemeinsam machen, gibt es schon eine Art von Standard, wie das im Normalfall gemacht wird. Wenn du mit den Menschen in deiner Umgebung nicht darüber redest, dann werden sie sich verhalten wie üblich. Kommunikation, und gemeinsam anders zu Handeln, ist der einzige Weg um sich von Normen zu befreien. In radikalen Beziehungen ist Kommunikation ein Hauptbestandteil, kein Ausnahmezustand. Vertrauensvolle Gespräche sind das wichtigste Werkzeug. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass Menschen nicht das sagen, was sie wirklich meinen, sondern dass wir die richtige Interpretation suchen müssen. Solche Interpretationen funktionieren aber nur auf der Grundlage von Normen - wer eine Beziehung jeseits der Norm führen will, muss Klartext reden!
Mach deine Verpflichtungen passend für dich
Das Leben wäre ärmer an Struktur und Bedeutung, wenn man sich nicht mit anderen Menschen zusammentun könnte um Dinge zu erreichen - gemeinsam etwas aufbauen, Kinder großziehen, ein Haus besitzen und zusammen durch dick und dünn gehen. Solche Unterfangen brauchen normalerweise sehr viel Vertrauen und Verbindlichkeit zwischen den Leuten, um zu funktionieren. Beziehungsanarchie heißt nicht, dass du dich niemals auf irgendwas festlegen darfst - es geht darum, mit den Menschen in deiner Umgebung deine eigenen Verbindlichkeiten zu entwerfen. Frei von den Normen, die dir vorschreiben wollen, dass bestimmte Arten von Verpflichtung für Liebe notwendig sind, damit sie echt ist, oder dass manche Verbindlichkeiten wie Kinder kriegen oder zusammen wohnen von bestimmten Gefühlen angetrieben sein müssen. Fang bei Null an und mache deutlich, welche Art von Verpflichtung genau du mit anderen Leuten eingehen willst!