Geschichtslehrbuch fuer Silka

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Inhaltsverzeichnis

Verwendung des Geschichtsschulbuchs und Bedeutung für das historische Lernen

Hinweis an meine geschätzten Leser*innen:
Zur Gestaltung und Nutzung von Geschichtsschulbüchern gibt es noch ein sehr ausführliches Kapitel. Wenn für Eure Bedürfnisse darauf hier zu wenig eingegangen wird, könnt ihr das trotzdem gern anmerken. Ich filter mir später die nützlichen Hinweise heraus.

Einleitung

Einleitung

Ich könnte euch Verschiedenes erzählen, was nicht in euren Lesebüchern steht. Geschichten, welche im Geschichtsbuch fehlen, sind immer die, um die sich alles dreht. (Erich Kästner, 1946)

„Das Schulbuch kann für die Durchführung des Geschichtsunterrichts im Klassenunterricht das zentrale Leitmedium sein; alle zentralen Themen und Teilkompetenzen lassen sich mit ihm ohne zusätzlichen organisatorischen Aufwand vor und während des Unterrichts behandeln und entwickeln.” Zu dieser Einschätzung kommt Hilke Günther-Arndt (2008: 16) nach einer sowohl normativen als auch analytischen Auseinandersetzung mit dem Medium Geschichtsschulbuch und seiner Funktion sowie seinem Potenzial für das historische Lernen im schulischen Geschichtsunterricht. Entscheidend an dieser Einschätzung1 ist, dass sie dem Schulbuch zuspricht, das Potenzial zum Leitmedium zu haben, in ihrer Evaluation der existierenden Veröffentlichungen jedoch nicht zu dem Schluss kommt, dass sie diesen Stand bereits erreicht hätten.2

Dieser Einschätzung schließen sich die Geschichtsdidaktikerinnen und -didaktiker einhellig an. Die Ursachen dafür sind verschiedentlich und werden ausführlicher im Grundlagenteil zum aktuellen Forschungsstand zum Thema dargelegt werden. Es sei hier schon einmal vorweggenommen, dass viele der Kritikpunkte sich aus einem fehlenden arbeitsorganisatorischen Schulterschluss sowie zum Teil nicht übereinstimmenden Zielen und Interessen zwischen geschichtsdidaktischer Forschung, schulischer Unterrichtspraxis und der wirtschaftlich orientierten Realität der Herstellung und Veröffentlichung von Schulbüchern in den Verlagshäusern erklärt. Das bedeutet, dass bei einer optimierten Zusammenarbeit das herkömmliche, also das gedruckte, Schulbuch aus geschichtsdidaktischer und auch unterrichtspraktischer Perspektive wesentlich sinnvoller gestaltet werden und damit für das historische Lernen von Schülerinnen und Schülern eine deutlich zielführendere Grundlage bilden könnte.

Diese Arbeit befasst sich jedoch nicht so sehr mit den Optimierungsmöglichkeiten des herkömmlichen Geschichtsschulbuches, sondern mit dem Potenzial, das ein digitales Schulbuch im Sinne des historischen Lernens über die Angebote des gedruckten Mediums hinaus bieten kann, aber auch welche Grenzen ihm in dieser Hinsicht gesetzt sind bzw. welche Risiken und besonderen Anforderungen dieses Medium in sich birgt. Es ist zwar eine nicht unbedeutende Frage dieser Untersuchung, inwiefern sich das digitale Geschichtsschulbuch vom gedruckten abhebt und damit eine die Schullandschaft übergreifende Einführung rechtfertigt. Allerdings geht es nicht so sehr um eine auf diesem Vergleich fußende Positionierung für das eine und wider das andere Medium. Im Zentrum des Interesses steht vielmehr die Frage, wie sich das schulische historische Lernen und Lehren unter den besonderen Bedingungen von Digitalität vereint mit dem nach wie vor als Leitmedium des Geschichtsunterrichts angesehenen Schulbuch aus geschichtsdidaktischer Perspektive wünschenswert und nutzbringend gestalten lässt, und welche Grenzen sich dabei auftun sowohl aus medialer, das heißt nicht zuletzt technischer, als auch geschichtsdidaktischer und unterrichtspraktischer Perspektive. Ziel ist es herauszustellen, inwiefern die Digitalisierung und Multimedialisierung von Geschichtsschulbüchern einen echten Mehrwert für schulisches historisches Lernen bedeutet und dadurch das angestammte gedruckte Leitmedium ersetzen könnte oder gar sollte.

Da sich diese Arbeit aufgrund ihres Umfangs nicht mit der Gesamtheit der im Geschichtsunterricht zu vermittelnden historischen Kompetenzen und schon garnicht der historischen Inhalte befassen kann, wurde eine Auswahl in Bezug auf historische Kompetenzen und damit einhergehend auch auf ein historisches Thema getroffen. Bei der historischen Kompetenz handelt es sich um die De-Konstruktionskompetenz – und damit in Verbindung die Orientierungskompetenz, bei dem historischen Thema um den Holocaust.

Die De-Konstruktionskompetenz ist nach Ansicht der Verfasserin deshalb von großem Interesse für die Didaktisierung in Geschichtsschulbüchern, weil sie in den bisherigen Veröffentlichungen stark vernachlässigt wurde, und das obwohl spätestens mit Beginn der Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik Anfang der 2000er Jahre Einstimmigkeit darüber herrscht, dass eines der vorrangigen Ziele historischen Lernens die Orientierung in Gegenwart und Zukunft unter Rückgriff auf die Vergangenheit ist, und das dazu in sehr großem Maße der Umgang mit Geschichtskultur gehört, da aus lebensweltlicher Perspektive diese Art Kontakt mit Geschichte für die Schülerinnen und Schüler sowie den Rest der Gesellschaft deutlich überwiegt gegenüber den geschichtswissenschaftlich orientierten Ansätzen der Geschichtsvermittlung in der Schule und den Universitäten. Über diesen Gesichtspunkt hinaus, der an sich noch keine Auseinandersetzung mit dem Potenzial des digitalen Schulbuches rechtfertigt, interessiert hier vor allen Dingen, was gerade dieses im besonderen Maße für den Erwerb der De-Konstruktionskompetenz leisten kann. Da die heutige Geschichtskultur erheblich von audio-visuellen und interaktiven Medien sowie dem Internet geprägt ist, scheint das digitale Geschichtsbuch auf den ersten Blick in dieser Hinsicht dem herkömmlichen Druckmedium deutlich überlegen zu sein. Die Beantwortung, ob und welchem Maße das zutrifft, hat sich diese Untersuchung zur Aufgabe gemacht.

Das historische Thema ‚Holocaust‘ wurde deshalb als Anschauungsbeispiel gewählt, weil es für Schülerinnen und Schüler in Deutschland auch heute noch ein Thema mit starkem Gegenwartsbezug ist und deshalb eine aktive lebensweltliche Orientierung erfordert. Zum einen leben viele der Betroffenen und auch Beteiligten und deren Nachfahren heute noch und bringen eigene Erinnerungsinteressen in den geschichtskulturellen Diskurs ein. Zum anderen gibt es in Deutschland aber auch international sehr viele geschichtskulturelle Angebote mit zum Teil divergierenden bis kontroversen Anschauungen über den Umgang mit diesem besonders schweren Thema der deutschen, der europäischen und außereuropäischen Vergangenheit und Geschichte. Da dieser menschliche ‚Tabubruch‘ und das auf ihn folgende gesellschaftlich weitgehend akzeptierte und geforderte Nie wieder! eine Sensibilisierung und eine reflektierte Stellungnahme von besonders hohem Anspruch erfordern, ist neben der historischen Beschäftigung mit dem Thema eine geschichtskulturelle dringend nötig. Sie wird in bisher zugelassenen Geschichtsschulbüchern leider nicht ansatzweise geboten, von einigen sehr wenigen Ausnahmen abgesehen.3

Die Untersuchung vereint also die drei im Hinblick auf das Geschichtsschulbuch relativ innovativen geschichtsdidaktischen Aspekte bzw. Themen.4 Der Fokus liegt dabei eindeutig auf der Kompetenzvermittlung unter besonderer Berücksichtigung der De-Konstruktionskompetenz. Das geschichtskulturelle Thema Holocaust ist bei aller dringlich erforderlichen Auseinandersetzung jedoch von untergeordneter Bedeutung und dient lediglich als Anschauungsfolie zur Erläuterung der Möglichkeiten und Grenzen des Lernens mit dem digitalen Geschichtsschulbuch.

Zur Beantwortung der Leitfrage wird wie folgt vorgegangen: Zunächst werden überblicksartig die aktuell anerkannten geschichtsdidaktischen Grundlagen mit dem Geschichtsbewusstsein als zentraler Kategorie und dem Erwerb historischer Kompetenzen als Leitprinzip überblicksartig erläutert. Aus den verschiedenen aktuellen Kompetenzmodellen5 wurde das Modell der FUER-Gruppe, das sogenannte FUER-Modell der Kompetenzen historischen Denkens ausgewählt, weil es nicht nur umfassend alle historischen Kompetenzen schlüssig strukturiert in sich vereint sondern auch deren Zusammenhänge und Interdependenzen verdeutlichen kann. Dem allgemeinen geschichtsdidaktischen Grundlagenteil wird eine Darlegung des Forschungsstandes zum historischen Lernen zum einen mit dem Geschichtsschulbuch an sich und zum anderen mit dem digitalen Medium desselben Geschichtsschulbuchs im besonderen. Schwerpunkte werden hier die Funktionalität und Nutzbarkeit des Mediums als Material- und Informationsbasis, seine Individualisierbarkeit und sein Interaktivitätspotenzial sowie seine Multimedialität und Hypertextualität und deren Bedeutung für historisches Lernen sein. Diesem literaturbasierten theoretischen Hauptteil folgt der bereits oben erwähnte Anschauungsteil zum Thema ‚Der Holocaust in der Erinnerungs- und Geschichtskultur‘, an dem der Erwerb der De-Konstruktionskompetenz sowie der Orientierungskompetenz erläutert werden soll. Den Abschluss er Arbeit wird eine Evaluation über die Möglichkeiten und Grenzen des historischen Lernens mit dem digitalen Geschichtsschulbuch bilden, die vor allem auf dem theoriebasierten Forschungsteil fußt, jedoch auch die Anwendbarkeit des Mediums im schulischen Alltags nicht außer Acht lassen wird.


methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit erläutern: literaturbasiert, nicht-empirische, exemplarische Analyse herkömmlicher aber auch des bereits veröffentlichten digiGbu aus Eichstätt

Eine kurze Geschichte des Geschichtsschulbuchs in Gestaltung, Funktion und Nutzung

Das Geschichtsschulbuch der heutigen Zeit ist Teil einer historischen Entwicklung, die in ihrer Anwendungsform in öffentlichen Schulen seit Beginn des 19. Jahrhunderts weite Verbreitung fand. Aber bereits Vorläufer in Schulbüchern im sich entwickelnden Schulwesens des 18. Jahrhunderts hatte. Und auch die Geschichtsbücher dieser Zeit haben ihre Vorläufer, nämlich in den Büchern bzw. Schriften, die zur - oft genealogischen - historischen Erziehung an Adels- und Herrscherhöfen verwendet wurden. Die Geschichte des Geschichtsschulbuchs befasst sich sowohl mit seiner medialen als auch seiner didaktischen Veränderung über die Zeit. Beide sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig.

Während der gesamten Zeit seiner Verwendung in den öffentlichen Schulen Deutschlands (bzw. deren Vorläufer), und zwar bis heute, war und ist das gedruckte Schulbuch der „wesentliche mediale Träger“ und hat als solches ein „Selbstverständnis“ als „ältestes Medium in der Schule.“1

1: Becker, Jörg (1978). Schulbuch und politisches System in der Bundesrepublik Deutschland. In: Schallenberger, Horst/Stein, Gerd (Hg.). Das Schulbuch zwischen staatlichem Zugriff und gesellschaftlichen Forderungen. Kastellaun/Hunsrück. S. 13–44, hier S. 15.

Zwar veränderten sich mit den Inhalten und der Gestaltung auch die didaktischen Funktionen und Ansprüche. Das gedruckte Buch ist jedoch nach wie vor eines der bedeutsamsten Lern- und Vermitt-

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lungsmedien, wenn nicht gar das wichtigste.1

Schönemann und Thünemann attestieren dem papiernen Geschichtsschulbuch jedenfalls noch 2010 – im Gegensatz zu einigen anderen Geschichtsdidaktiker*innen – weiterhin eine nachhaltige Position als „Leitmedium“ des Geschichtsunterrichts, und zwar trotz der bereits stattfindenden Entwicklung hin zum vermehrten Einsatz digitaler Medien.2

Geschichtsunterricht hatte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Funktion der Vermittlung von in der Öffentlichkeit vorherrschenden und politisch gewollten Geschichtsbildern, die vor allem die nationale Perspektive auf Vergangenheitsdeutungen positiv, das heißt einseitig und oft unkritisch, hervorhob. Auf diese Weise sollten bereits Schüler*innen mental und emotional an den Staat und die Verfolgung seiner Interessen gebunden werden.3

Für diesen, aus heutiger Sicht ideologisch bedenklichen didaktischen Ansatz passte die katechetische Art der Vermittlung durch das Lehrbuch: Es enthielt fertige historische Narrationen, die in der Regel vom Lehrer vorgelesen wurden, und die von den Schüler*innen auswendig gelernt werden mussten – jedenfalls deren zeitliche, räumliche sowie personelle Daten und Fakten und ihre temporalen, kausalen usw. Zusammenhänge – um sie in Form der Reproduktion abprüfbar zu machen.4

Eine kritische Auseinandersetzung mit den Erzählungen über die Vergangenheit fand nicht statt, ebensowenig wie der Erwerb von Re–Produktionskompetenz zum eigenständigen Erschließen vergangener Ereignisse und der Narrationsbildung darüber. Die Schulbücher waren entsprechend textlastig gestaltet.5

Bilder waren entweder zeitgenössische Darstellungen, die ausschließlich zur Illustration, also der visuellen Unterstützung, der

2: Mit „Bedeutung“ ist seine Prominenz im Hinblick auf die Existenz und den Einsatz des Schulbuchs als Unterrichtsmedium im Vergleich zu anderen Medien gemeint, und damit zum Teil auch auf seine didaktische Funktion, nämlich als Medium des Vermittelns (auf Seite der Lehrenden) und des Lernens (auf Seite der Lernenden). Die Bedeutung für den Lernenden wird hier aber zunächst in rein quantitativer Hinsicht gesehen, also in der Häufigkeit der Verwendung. Auf seine didaktische Sinnhaftigkeit, also seine Qualität in Bezug auf Vermittlung und Erwerb historischer Kompetenzen, wird an späterer Stelle ausführlicher eingegangen.
3: Schönemann, Bernd/Thünemann, Holger (2010). Schulbucharbeit: Das Geschichtslehrbuch in der Unterrichtspraxis. Schwalbach/Ts., S. 9–20.
4: Ref.
5: Ref. Die schulische Geschichtsvermittlung des 19. Jahrhunderts, vor allem im deutschen Kaiserreich, spiegelt nicht die durchaus reflektierte Art und Weise des Umgangs mit Vergangenheit wieder, wie sie von einer großen Zahl von Historikern praktiziert wurde. Zu nennen ist hier nicht zuletzt Gustav Droysen. Auch der damaligen Geschichtswissenschaft war der Aussagewert von Narrationen bekannt. Sie war sich neben der historischen Methode bereits einiger der heute anerkannten historischen epistemologischen Prinzipien wie Selektivität, Perspektivität und Partialität bewusst. Nichtsdestotrotz fanden sich auch unter den damaligen Historikern einige, die einem historistischen deutschen Geschichtsbild anhingen, das ihren persönlichen nationalpolitischen Interessen entgegenkam.
6: Ref.

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Narrationen dienten, oder Bildquellen, die aber ebenfalls nur illustrativ, nicht jedoch als zu analysierende Quellen eingesetzt wurden.1

Bereits zur Zeit der Weimarer Republik fand eine kritische Auseinandersetzung mit dem früheren Geschichtsunterricht, wieder [wieso wieder? Im Text davor ist keine Rede davon!] vor allem dem Geschichtsunterricht in der Kaiserzeit statt. Hier wurden erstmals Geschichtsschulbücher auf den Prüfstand genommen. Ganz im Sinne der jungen Demokratie wurde jetzt, zumindest von wissenschaftlicher Seite, darauf gedrungen, eine eher reflektierte Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Geschichte in den Schulen zu vermitteln. So wurden z.B. Geschichtsschulbücher erstmals international, zumindest intereuropäisch, verglichen. So konnte das eigene, von nationalen Interessen beeinflusste, Bedürfnis an historischer Auseinandersetzung und Identität sichtbar gemacht werden. Die Forschungsergebnisse aus den 1920er Jahren wurden in der BRD nach 1945 wieder aufgegriffen und im Verlauf der Jahrzehnte zwischen 1945 und 1989 von akademischen und schulischen Geschichtsdidaktiker*innen zu immer präziseren geschichtsdidaktischen Prinzipien, Ansprüchen und Zielen ausgearbeitet. Mit einiger zeitlicher Verzögerung hielten diese auch Einzug in die Geschichtsschulbücher.

Der Einführung des Geschichtsbewusstseins als zentrale Kategorie in die Geschichtsdidaktik folgte auch ein immer elaborierteres geschichtsdidaktisches Verständnis. Die Frage war, wie der bereits in allen Schüler*innen vorhandene Bewusstseinsgrundstock sinnvoll gefördert werden könnte, um die Lernenden zu einer umfassenden und reflektierten gesellschaftlichen Teilhabe im Umgang mit öffentlicher Geschichte zu befähigen. Die Schulbücher wurden dementsprechend von reinen Lehrbüchern mit fertigen Narrationen in Lehr-Lernbücher (gebräuchlicher ist der Begriff Lern- und Arbeitsbücher) umgewandelt. Bei denen neben den funktional begründeten fertigen Narrationen in Form von Darstellungstexten nun immer auch sehr viel Material (d.h. Quellen) zur Verfügung gestellt wurden. Darüber hinaus enthalten die Schulbücher seitdem nun auch Methodenseiten, die die eigenständige Auseinandersetzung mit Quellen und Vergangenheitspartikeln ermöglichen sollen. Aufgabenstellungen weisen die Schüler*innen an, wie sie die Auseinandersetzung anzugehen bzw. (selbst) zu gestalten haben. Ein Glossar rundet ein gutes Lern- und Arbeitsbuch ab, denn es ermöglicht die schnelle Suche nach Teilinformationen und verweist auf die entsprechenden Stellen im Buch, in denen die Schüler*innen eigenständig vertiefend lesen können. Glossare sind allerdings kein Standardelement in allen Schulbüchern. Ihr Vorhandensein erleichtert allerdings, bei einer entsprechenden Einübung im Umgang mit ihnen, die Verwendung des Schulbuchs. Ein Inhaltsverzeichnis mit Überschriften für Kapitel und Unterkapitel sowie Seitenzah-

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len – aus heutiger Sicht eine Selbstverständlichkeit – geben Orientierung auf der Ebene der übergeordneten Strukturen, die klassischerweise nach Epochen und darin in einzelne Geschichtsereignisse untergliedert sind. Die Schülerbände werden von Lehrerbänden flankiert, in denen die Aussage- und Vermittlungsabsichten der einzelnen Schulbuchabschnitte und -bestandteile verdeutlicht werden, und die Hinweise auf Didaktisierungsmöglichkeiten und weitere Informations- bzw. Arbeitsmedien außerhalb des Schulbuchs enthalten. Häufig sind in den Lehrerbänden zumindest teilweise jene wünschenswerten konstruktionstransparenten Informationen enthalten, die für ein reflektiertes Verständnis von Geschichte, also unter anderem von ihrem Konstruktcharakter, unabdingbar sind und deshalb eigentlich in das Schulbuch selbst gehörten.

Eine Besonderheit unter den Geschichtsschulbüchern, die dem geschichtsdidaktischen Paradigmenwechsel in den siebziger Jahren folgten bzw. ihn begleiteten, war das reine Arbeitsbuch „Fragen an die Geschichte”, das in vier Bänden zwischen 1975 und 1999 – zunächst bei Hirschgraben, später bei Cornelsen – erschien und noch bis 2011 vertrieben wurde. Dieses Schulbuch ist gekennzeichnet durch intensive und im Sinne der Lernprogression aufeinander aufbauende Methodenteile, die direkt bzw. über vermittelnde Aufgabenstellungen mit Quellen und historiographischen Darstellungen verknüpft sind. Die Narrationen selbst werden dabei mit Hilfe der im Buch bereits befindlichen Aufgaben sowie durch die didaktischen Impulse der Lehrkraft von den Schüler*innen selbständig erarbeitet. Eine diskursive Überprüfung der eigenen Narration ist in den meisten Kapiteln als fester Bestandteil des historischen Erkenntnisprozesses vorgesehen und wird durch kontroverse Historikertexte oder die Aufforderung zur pluralistischen Diskussion in der Lerngruppe angeregt.1

Aus der geschichtsdidaktisch erwünschten Perspektive eines reflektierten und reflexiven historischen Lernens und Denkens ist das Material „Fragen an die Geschichte” denkbar gut als Lernmedium geeignet. Dennoch hat es sich in den Klassenzimmern nicht gegen den Gebrauch des Lern- und Arbeitsbuches durchgesetzt, das anteilig deutlich mehr vorgefertigte Narrationen enthält, die im Buch selbst nicht reflektiert und zur Diskussion gestellt werden. Eine Begründung dafür liegt in den Arbeitsgewohnheiten aber auch im Grad der Reflektiertheit des historischen Bewusstseins der Lehrkräfte. Das reine Arbeitsbuch erfordert auf Seiten der Lehrkräfte einen sehr hohen Grad an reflektiertem und reflexivem Geschichtsbewusstsein, damit sie den Schüler*innen sinnvolle Umgangsweisen mit diesem Schulbuch nahe bringen können.

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Kennzeichnend für alle Geschichtsbücher gleichermaßen, und zwar bis in die letzten Jahre hinein, ist die fehlende, oder wenn vorkommend, dann nur sehr marginale Thematisierung von Geschichtskultur. Die eigentliche Funktion, die die Beschäftigung mit der Vergangenheit und der darüber bereits verfassten Geschichte(n) erfüllt, nämlich die Ermöglichung einer Orientierung in der Zeit, das heißt in der eigenen Gegenwart und einer antizipierten Zukunft, wird also vernachlässigt. Schließlich findet bekanntermaßen der weitaus größere Anteil von Begegnungen mit Geschichte in der Lebens- und Alltagswelt der Schüler*innen außerhalb des Geschichtsunterrichts statt. Auch über Schule als Teil unserer hiesigen Geschichtskultur könnte im Schulbuch räsoniert und reflektiert werden.1

Aber ganz so weit muss man sich vom »klassischen« Geschichtsunterricht gar nicht wegbewegen: Zu fast jedem – wenn nicht gar zu jedem – beliebigen historischen Thema, das von den Rahmenlehrplänen der Bundesländer verbindlich vorgesehen ist, gibt es außerwissenschaftliche öffentliche historische Äußerungen in den verschiedensten medialen Formen; genau die Befähigung zum Durchdringen von deren Aussagen und der hinter ihnen stehenden Absichten und Anlässe soll Geschichtsunterricht mit der Förderung unter anderem der De-Konstruktions- und der Sachkompetenzen fördern. Aufs knappste eingedampft bedeutet ja genau das, die historische(n) Orientierungskompetenz(en) der Schüler*innen zu fördern. Aber erst in den vergangenen Jahren wird diese Art der historischen Orientierung, also das Sich-Zurechtfinden in der gegenwärtigen Geschichtskultur, als Lerngegenstand auch in Geschichtsschulbüchern thematisiert.2

Die jüngste Entwicklung geschichtsdidaktischer Lernmittel steht in engem Zusammenhang mit dem Einzug digitaler Medien und ihrem besonderen Merkmal der (globalen) Vernetzbarkeit in das Bildungswesen. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vertrieben Schulbuchverlage zunächst digitale Lernsoftware zusätzlich zu den Schulbüchern. In Form von CDs oder DVDs wurde sie jedoch immer zentralistisch im Unterricht eingesetzt, das heißt alle Schüler*innen lernten und bearbeiteten synchron das gleiche, nämlich das, was über ein Projektionsgerät (Beamer oder DVD-Gerät an einem Fernse

9: Als schulisches Lern- aber auch geschichtsdidaktisches Forschungsprojekt wurde dieser Ansatz bereits von Lehrkräften und wissenschaftlichen Geschichtsdidaktiker*innen umgesetzt mit der gezielten, das heißt angeleiteten und von wissenschaftlicher Seite beobachteten, De-Konstruktion von Geschichtsschulbüchern. Vg. Schreiber… Geschichte durchdenken: Schüler de-konstruieren internationale Schulbücher. Das Beispiel »1989/1990 – Mauerfall«. Neuried. Vorschläge zu einem reflektierten Umgang mit dem eigenen Schulbuch anhand von dessen De-Konstruktion machen auch Günther–Arndt und Schönemann/Thünemann. REFERENZEN! Das Geschichtsschulbuch als geschichtskulturelles Medium zu begreifen, ist heutzutage einhellige und selbstverständliche Ansicht innerhalb der Geschichtsdidaktik.
10: Die einzige mir bekannte konsequente Implementierung findet im bisher noch unveröffentlichten digitalen Geschichtsschulbuch statt, dass an der Universität Duisburg-Essen von Markus Bernhardt und seinen Mitarbeiter*innen erstellt wird. Vgl. Bernhardt in Kühberger/Stuhlberger/Brunnenberger. Besagter Aufsatz betont die Notwendigkeit eines gesonderten geschichtskulturellen „Unterkapitels”, das in jedem Kapitel, also zu jedem historischen Thema, gestaltet wird.
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