Meditation

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Quelle: Peter Popper: Training der Gefühle; VEB Verlag Volk und Gesundheit, Berlin, 1989

Inhaltsverzeichnis

Meditation

Die Meditation ist die psychische Übungsform, über die im Be­wußtsein der Allgemeinheit die meisten Missverständnisse und Irrtümer bestehen. Es scheint ausreichend, zwei der häufigsten Varianten falscher Interpretation der Meditation zu berichtigen. Es ist ein Irrtum, die Meditation sui generis für eine Art mystische Tätigkeit mit transzendentem Ziel zu halten. Es ist unbestritten, dass sich die Meditation innerhalb des Gedan­kengutes der östlichen Religionsphilosophien entwickelt und später auch in der christlichen Esoterik eine bedeutende Rolle gespielt hat, sie war außerdem ein organischer Bestandteil der in der Mönchserziehung angewandten "Trainingsprogramme". Das besagt jedoch nichts weiter, als dass sich, eingebettet in die Formensprache der gegebenen Kultur und Ideologie, eine Tech­nik entwickelte, die sich weitgehend als geeignet erwiesen hat, die Erziehung der Ich-Kräfte zu unterstützen und die Fähigkeit zur Vertiefung und zu einem inneren Erleben zu verstärken. Die psychischen Inhalte sind gesellschaftlich-historisch bestimmt. Die psychologische und psychische Dynamik und die grundle­genden Gesetzmäßigkeiten ihres Funktionierens aber sind die gleichen, unabhängig davon, in welcher historischen Epoche und mit welchen Bewusstseinsinhalten der Mensch lebt.

Diese Tatsache macht es objektiv möglich, daß wir nach dem Entfernen der historisch-ideologischen Hüllen zu dem klaren, praktisch nutz­baren Wesen der Meditation gelangen und diese in den Dienst der psychischen Entwicklung des in der heutigen Zivilisation und Kul­tur lebenden Menschen stellen können.

Dementsprechend kann man die Meditation aber auch in irrationale Richtung wenden - ­sie ist ja nur ein Mittel, das man verwendet, um verschiedene Wirkungen zu erreichen. [] Für uns bedeutet die Meditation nicht eine Entfernung von der Realität, sondern die Möglichkeit einer tieferen Erkenntnis der Realität.

Die zweite Gruppe falscher Vorstellungen verwechselt einfach die Meditation mit der Konzentration. Hier versteht man der Meditation eine anhaltende Konzentrierung der Gedanken. Man verwendet sie, entsprechend dem Wortgebrauch der Umgangssprache, als Synonym für intensives Nachdenken: Man hält es für möglich, dass man "über etwas" meditiert. Hier sollte gleich festgehalten werden, dass das Wesen der Meditation darin besteht, vorübergehend einen psychischen Zustand gedanklicher Gegenstandslosigkeit hervorzurufen.

Ziel der Meditation ist es, in Bereiche des psychischen Lebens vordringen zu können, die heute noch nicht direkt erfassbar sind für das rationale Denken. Deshalb besteht ihr Wesen in der zeitweisen Unterbrechung der Denkaktivität. Der Zustand des gedanklich "leeren Gefäßes" bietet die Möglichkeit, über die unbewussten Sphären unserer Erlebniswelt direkt etwas zu erfahren, indem wir die "Filter" der Logik und Chronologie ausschalten. Die Meditation ist also eines der am tiefsten reichenden Mittel der Selbsterkenntnis.

Die Konzentration gilt als Vorbereitung der Meditation, da sie die Vielfalt und den schnellen Wechsel der frei strömenden Ge­danken, Gefühle und Assoziationen auf die Vertiefung in einen einzelnen Inhalt beschränkt. Die Meditation legt nun auch diesen Inhalt beiseite. Sie führt in einen Seelenzustand, in dem wir keine Gefühle und Gedanken haben; wir sind psychisch völlig ­leer und warten ab, welcher Inhalt in dieses „Vakuum“ eingesaugt wird. Den im Verlauf der Meditation spontan. erscheinenden psychischen Inhalt müssen wir danach gedanklich aufarbeiten, verstehen und an. seinen Platz tun - vielleicht nun wieder mit Hilfe von Konzentrationsübungen. In diesem Fall ist der Gegenstand der Konzentration der Inhalt, der durch die Meditation in uns aufgetaucht ist.

Die vollständige Übungsreihe sieht also folgendermaßen aus: Wir entwickeln mittels der Grundübungen und der Konzentration unsere Fähigkeit zur Meditation. Dann ­folgt die Meditation, unsere innere "Entleerung". Wenn dabei ein Erlebnis entsteht, arbeiten wir dieses mittels erneuter Konzentration auf.

Die Meditation kann man ohne abwartende Geduld, durch die wirkliches Erkennen erst möglich wird, nicht durchführen. Die Meditation ist übrigens eine an uns selbst gerichtete Frage. Der im Verlauf der Meditation auftauchende psychische Inhalt ist eine "Mitteilung über uns selbst, für uns selbst". Das Auftauchen dieser Mitteilung kann man nicht erzwingen oder beschleuni­gen. Folglich ist die Meditation nur das Erarbeiten einer Mög­lichkeit. Es kann durchaus vorkommen, dass während der Medi­tation nichts geschieht. Dann beenden wir nach einiger Zeit den Zustand der Entleerung und setzen unsere alltäglichen Arbeiten fort. Das ist kein Mißerfolg.

Die Meditation an sich trägt sehr viel zu innerer Ruhe und Aus­geglichenheit bei. Wenn dabei auch noch ein Erlebnis entsteht, ist das schon fast eine "Zugabe". Überlassen wir das der Dyna­mik unserer Psyche: was wirklich in uns an die Oberfläche will, das wird früher oder später im Verlauf der Meditation auftau­chen.

Die Entwicklung eines für die Meditation notwendigen psychischen Zustandes

Die Umgebung

Mit den Meditationsübungen können wir nur beginnen, wenn wir mit Sicherheit mindestens eine Stunde lang ohne jegliche äußere Störung sein werden. Für die Meditation ist eine sehr ru­hige Umgebung notwendig. Das kann ein abgeschlossener Raum sein oder unter freiem Himmel eine ruhige Lichtung, eine versteckte Ecke im Garten usw. Wichtig ist, dass wir nicht ge­sehen und nicht gestört werden. Für den äußeren Betrachter ist der Anblick eines Meditierenden unverständlich, manchmal so­gar komisch.

Die Ruhe der Umgebung ist am Anfang von besonderer Wichtig­keit. Schon Kleinigkeiten können stören, ein tönendes Radio in der Nachbarschaft, Lichtstrahlen, die uns blenden, das Klingeln des Telefons, wenn plötzlich jemand hereinkommt usw… Spä­ter, wenn wir schon sehr geübt sind im Meditieren, werden wir weniger empfindlich auf äußere Störungen reagieren. Allerdings

Körperliche Ausgangsbedingungen

Die Meditation kann man nur im Fall ungestörten körperlichen Allgemeinbefindens durchführen. Krankheit, Fieber, Kopfschmerzen, Schnupfen usw. sind alles Faktoren, die eine erfolg­reiche Meditation behindern. Ebenso müssen wir vermeiden, dass wir hungrig, durstig oder im Gegenteil übermäßig satt oder müde sind. Am Tag der Meditation trinken wir keinen Alkohol, nehmen keine Beruhigungsmittel, trinken keinen starken Kaffee oder Tee. Wir müssen auch Sorge dafür tragen, dass während der Meditation keine sonstigen körperlichen Bedürfnisse auftre­ten.

Verhalten und psychischer Zustand

Wir betrachten die Meditation als unsere eigene innere Angele­genheit, die niemanden auch nur das Geringste angeht. Wir rühmen uns nicht, dass wir Meditationsübungen machen. Auch nachträglich sprechen wir nicht davon, was wir während der Meditation erlebt haben. Diese Intimität unseres Lebens sollte kein Gesprächsthema sein, wir benutzen sie nicht, um uns aufzuspielen und uns interessant zu machen. Nur ein ruhiger Seelenzustand ist für die Meditation geeignet. Wenn wir aufgeregt, müde oder ängstlich sind, wenn im Verlauf des Tages Streit und Affektausbrüche vorkamen, wenn wir Dinge erlebt haben, die uns extrem erschreckt oder geärgert haben - dann verschieben wir die Meditation. Das heißt, dass man sich auf die Meditation bewusst vorbereiten muss, dass man zuvor jegliche Hektik vermeidet. Und schließlich sollte man die Häufigkeit der Meditationsübungen nicht übertreiben. Mehr als ein- bis zweimal die Woche ist nicht zu empfehlen. Lieber machen wir die Meditation nur großen Zeitabschnitten - wenn auch monatlich nur einmal - dann aber unter gesicherten Voraussetzungen.

Einführende Übungen der Meditation

Die Körpersituation

Die Meditation wird sitzend durchgeführt, auf einer auf der Erde ausgebreiteten Decke, mit bequem gekreuzten Beinen. Unsere Körperhaltung. d. h. die Wirbelsäule ist gerade aufgerichtet, auch der Kopf wird geradegehalten. Erst am Ende führenden Übungen können wir unseren Kopf nach vorn beugen oder senken. Unsere Hände legen wir mit den Handflächen nach oben weisend übereinander in den Schoß.

Die Gedankenmassage

Unter intensiver Konzentration auf unseren Körper "massieren“ wir in unserer Vorstellung unsere Muskeln locker. Wir beginnen bei unserem Kopf, dann folgen die Stirn, die Schläfen, das Genick, dann die Nackenmuskeln, danach die Schultern und die zwei Arme von oben bis zu den Fingerspitzen. Dann machen wir gedanklich weiter mit den Muskeln des Brustkastens, dem Rücken, dem Bauch, den Schenkeln, den Knien, den Füßen bis zu den Muskeln der Zehenspitzen. Währenddessen atmen wir ruhig und in regelmäßigem Rhythmus durch die Nase. Durch die "Gedankenmassage" stellt sich ein lockerer Körperzustand ein, wir spüren unseren Körper kaum noch.

Die psychische Entspannung

Es werden verschiedene Techniken angewandt, um den Zustand der inneren Leere hervorzurufen. Eine der möglichen Methoden verläuft mit Hilfe von Tönen. Hier geht es darum, dass wir die Vokale in einer bestimmten Reihenfolge und, lang anhaltend, leise vor uns hinsingen. Es ist wichtig, dass der Ton kontinuierlich und mit gleichmäßiger Lautstärke klingt; der Ton darf also nicht zittern, und unser Atem muss lange anhalten. Wir halten den Ton, solange es uns möglich ist. Beim Erklingen verschiedener Töne konzentrieren wir uns auf einen bestimmten Teil unseres Körpers. Wir werden nämlich feststellen dass jeder der Töne in einem anderen Körperteil eine gesteigerte Resonanz bewirkt. Auf ebendiese Resonanz müssen wir achten. Um den regelmäßigen Rhythmus zu erleichtern, begleiten wir diese singend - lockernde Übung mit einer bestimmten Handbe­wegung. Genauer gesagt, unsere Hände liegen auf den Schenkeln, unsere Fingerspitzen berühren sich nach einer bestimmten Ordnung, dabei formen die Finger der rechten wie der linken Hand einen kleinen Kreis. Der Verlauf dieser Lockerungsübung sieht wie folgt aus:

Klingender Ton auf den wir achten Kontinuierlich resonierender Körperteil Finger, die sich berühren
I: iiiiiiiiiiiii der Kopf kleiner Finger/Daumen
E: eeeeeeee die Kehle Ringfinger/Daumen
A: aaaaaaaa der Brustkasten Mittelfinger / Daumen
0: ooooooo der Bauch Zeigefinger / Daumen
U: uuuuuuu alle Körperteile abwärts der Lenden Hände liegen locker aufeinander im Schoß

Diese Übung können wir einige Male wiederholen, langsam und ruhig, bis eine vollständige Lockerung und Leere erreicht ist. Wir werden feststellen, dass sich unser Körper spontan nach vorn neigt, und sich auch unser Kopf senkt, unsere Atmung wird kaum wahrnehmbar und flach. Still und mit geschlossenen Augen bleiben wir so.

Die Wirkung der Meditation

Dieser Zustand innerer Entleerung, den wir Meditation nennen. ist aus psychologischer Sicht von zweifacher Wirkung. Zum ei­nen trägt er sehr viel zum Erreichen eines ruhigen, ausgegliche­nen Zustandes bei. Seine psycho-hygienische Bedeutung liegt ge­rade darin, dass er zu einer Pause verhilft im Strom der sich ständig anstauenden Reize, Gedanken, Emotionen und Affekte, dass er ihr Spannungsniveau reduziert und damit Möglichkeit und Zeit sichert zur Aufarbeitung der Erlebnisse und zur Reali­sierung der spontanen Regeneration der Psyche. Das allein ist schon ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis.

Zum anderen können im Verlauf der Meditation bestimmte psy­chische Inhalte erscheinen - es können Bilder aufblitzen, es kann sich ein Gedanke herauskristallisieren, es kann ein Gefühl auftauchen - das heißt, wir gelangen zu Informationen über uns selbst, über unsere Beziehungen und Situationen, die uns nur in dieser inneren Stille bewusst werden können. Ansonsten werden sie von den äußeren Reizen und der zerstreuten Auf­merksamkeit unterdrückt. Diese feinen, oft verdrängten psychi­schen Inhalte können nicht selten sehr bedeutend sein für uns. Die Meditation macht sie uns zugänglich und ermöglicht dann eine Aufarbeitung. Diese Wirkung der Meditation bedeutet, dass unsere Selbst­kenntnis und unsere Bewusstheit wächst und sich die Kontrolle unserer psychischen Prozesse verstärkt. Unsere spontanen Re­aktionen werden uns weniger "Überraschungen" verursachen, wir lernen es, besser mit uns selbst umzugehen, manchmal wer­den Ereignisse unseres Lebens umwertet, oder es werden we­nigstens neue Aspekte deutlich. Kurz, wir können immer mehr wir selbst sein, und vielleicht können wir auch an uns und unse­rer Lebensführung etwas feilen und verändern.

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