Ratgeber

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Ratgeber

für behinderte Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und solche, die es werden wollen.

Dazu Hinweise und Beispiele rund um Verwaltung und Abrechnung von Assistent*innen Ausgabe August 2019

Bezugsadresse: ForseA e.V. Geschäftsstelle: Nelkenweg 5, 74673 Mulfingen-HollenbacheMail: Ratgeber@forsea.de, Fax: 03222 3 783 563

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Der Ihnen hier vorliegende Ratgeber will Menschen mit Behinderungen Wege aufzeigen, Arbeitgeber*in für eigene Assistent*innen zu werden. Diese sogenannte Arbeitgebermodell erlaubt größtmögliche Selbstbestimmung und wird vom Gesetzgeber bevorzugt. Da sich die Situationen, Wünsche und Bedürfnisse der jeweiligen Menschen stark voneinander unterscheiden, kann er keine Patentrezepte liefern. Aber er kann auftretende Fragen beantworten und Hilfe und Unterstützung bieten. Angeführte Probleme sollen keinesfalls abschrecken, sondern lediglich auf eventuell auftretende Schwierigkeiten hinweisen. Es werden jeweils Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt.

Der Ratgeber besteht aus zwei Kapiteln. Das 1. Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit der Finanzierung und Beantragung des Assistenzmodells.

Kapitel 2 befasst sich umfassend mit der Verwaltung des Assisten„betriebes“. Wir haben versucht, die Grundlagen der Betriebsverwaltung ausreichend zu erklären. Wenn Sie etwas nicht verstehen, melden Sie sich bitte bei uns. Denn nur dann können wir Ihnen die Lösung Ihres Problems aufzeigen, aber auch das Handbuch für kommende Anwender*innen an dieser Stelle verständlicher schreiben.

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„Behinderte Menschen mit Assistenzbedarf sind selbst die größten Experten in eigener Sache. Sie brauchen keine Pfleger*innen in Anstalten oder von ambulanten Diensten, die sie bevormunden mit der Begründung: „Ich weiß, was gut für dich ist“ und „Ich helfe Dir, aber so, wie ich es für richtig halte.“ Die meisten Menschen mit Behinderungen benötigen Assistent*innen, die ihnen ihre Hände und nicht ihren Kopf ersetzen; die zwar mit- aber nicht vordenken.“ Elke Bartz 25.08.2008

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Mut, den immer mehr Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahren hatten, und viel Erfolg bei der Umsetzung „Ihres“ Assistenzmodells. Gerhard Bartz

Haftungsausschluss

Für unmittelbare oder mittelbare Folgen von Fehlern dieses Ratgebers und des Handbuches übernehmen die Autoren und Herausgeber keine Haftung.

Daher sollten alle Auswertungen vor der Weitergabe an Dritte (z.B. Assistent*in, Banken, Krankenkassen, Finanzamt, Kostenträger) nochmals sorgfältig überprüft werden.

Dies gilt insbesondere für die neuen rechtlichen Grundlagen durch das Bundesteilhabegesetz. Dieses Gesetz, seine Ausgestaltung und seine rechtlichen Wirkungen fließen nach und nach in den Ratgeber ein.


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1 Das Assistenzmodell - Finanzierung und Beantragung

1.0 Einleitung

Die effektivste Möglichkeit für ein freies Leben in Selbstbestimmung bietet das so genannte Arbeitgeber*innenmodell (in der Folge als Assistenzmodell bezeichnet). Beim Assistenzmodell beschäftigen behinderte Menschen die von ihnen benötigten Helfer*innen (Assistent*innen) in einem eigenen „Betrieb im eigenen Haushalt“. Das bedeutet, die Assistent*innen stehen in einem abhängigen Arbeitsverhältnis zu den jeweiligen Assistenznehmer*innen. Sie leisten die benötigten Hilfen und werden, wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis auch, dafür entlohnt. Beim Assistenzmodell „mutiert“ das „zu pflegende, betreuende und verwaltende Objekt der Hilfebedürftigkeit“ zum selbstbestimmten Subjekt, das seinen Tagesablauf in Eigenregie gestalten kann.

1.1 Wer kann Arbeitgeber*in werden?

Prinzipiell ist es allen Menschen mit Behinderung – sei es geistiger, körperlicher oder seelischer Art – möglich, das Arbeitgeber*innenmodell zu wählen. Dazu bedarf es nur der Bereitschaft zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sowie zur Verantwortungsübernahme gegenüber den Assistent*innen. Falls Betreuung vorliegt können die gesetzlichen Betreuer*innen stellvertretend für den behinderten Menschen agieren.

Assistent*innen sind Arbeitnehmer*innen mit allen Rechten und Pflichten. So wie in einem „normalen“, d. h. gewinnorientierten Betrieb. Alle Arbeitgeber*innen in Deutschland müssen die Rechte ihrer Mitarbeiter*innen wahren. Die Arbeitnehmer*innen, sprich die Assistent*innen, haben natürlich auch Ansprüche ihnen gegenüber (z.B. Leistung gegen Entlohnung).

Behinderte Arbeitgeber*innen verfügen über verschiedene Kompetenzen. Achtung: Fehlen eine oder mehrere Kompetenzen, können diese angeeignet oder anderweitig ausgeglichen werden. (Beispiel Personalkompetenz: Steuerberater, Assistenzgenossenschaften oder „Selbstbestimmt-Leben-Zentren“ können Lohnabrechnungen erstellen.) Doch dazu später.

1.1.1 Die Kompetenzen im Einzelnen

  • Personalkompetenz: Behinderte Arbeitgeber*innen entscheiden, wer die Assistenzleistungen erbringt. Sie schließen Arbeitsverträge mit ihren Assistent*innen ab, erstellen Dienstpläne und Lohnabrechnungen. Sie führen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab.
  • Anleitungskompetenz: Behinderte Arbeitgeber*innen weisen die Assistent*innen selbst in die benötigten Hilfeleistungen ein. Sie wissen am besten, welche Assistenzleistungen sie in welchem Umfang benötigen.
  • Finanzkompetenz: Behinderte Arbeitgeber*innen kontrollieren die Verwendung der ihnen zustehenden Finanzmittel wie Leistungen aus der Pflegeversicherung (SGB XI), der Krankenversicherung, dem SGB XII (Sozialamt) usw.
  • Organisationskompetenz: Behinderte Arbeitgeber*innen gestalten ihren Tagesablauf in Eigenregie (ohne zeitliche Vorgaben durch ambulante Dienste etc.).

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  • Ortskompetenz: Behinderte Arbeitgeber*innen bestimmen, an welchem Ort die Assistenz erbracht wird (z. B. in der eigenen Wohnung, am Urlaubsort, bei Besuchen von Freunden und Familienangehörigen).

1.1.2 Für viele die optimale Lösung

Das Assistenzmodell stellt für viele (aber nicht für jeden) Menschen mit Assistenzbedarf die optimale Lösung dar. Es gibt Menschen, die nie die Bewältigung ihres Alltages erlernt haben. Für diejenigen, die es auch nicht lernen wollen, gibt es die verschiedensten Möglichkeiten der Versorgung. Der Preis dafür ist regelmäßig die mehr oder minder starke Einschränkung der Freiheit und Selbstbestimmung. Jede*r einzelne muss für sich selbst entscheiden, welche Alternative für sie*ihn die richtige darstellt.

Außer den oben genannten Kompetenzen sollten (künftige) Arbeitgeber*innen über weitere Eigenschaften verfügen. Diese sind der Wille, die eigenen Interessen durchzusetzen und der Mut, unter Umständen einen langen „Kampf“ mit den Kostenträgern durchzustehen. Besonders Menschen mit hohem Assistenzbedarf, der nahezu immer relativ hohe Kosten zur Folge hat, müssen sich oft (glücklicherweise nicht immer) auf langwierige Auseinandersetzungen mit den Behörden und sonstigen Kostenträgern gefasst machen. Diese Tatsache soll niemanden verängstigen oder gar abschrecken, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Probleme auftreten können.

Kostenträger, insbesondere die Träger der Sozialhilfe, handeln oft unter der Prämisse, die Rechte behinderter Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben nur dann zu wahren, wenn das nicht mit Kosten für sie verbunden ist. Dort wird der Mensch häufig auf den Kostenfaktor reduziert. Besonders schwierig wird es, wenn die Kosten des Assistenzmodells höher als die einer Anstalt sind. Dabei interessiert die Mitarbeiter*innen der Behörden die Lebensqualität der assistenznehmenden Menschen oft nicht. Manchmal kennen Sachbearbeiter*innen das Assistenzmodell und seine Rechtsgrundlagen jedoch auch nicht und scheuen sich schon deshalb, die Kostenübernahme zu bewilligen. Eigene Rechtskenntnis und gute Argumentationen wirken da oft Wunder.

In Bezug auf die Lebensqualität ist der Vergleich stationärer Einrichtungen mit ambulanten Möglichkeiten aus der Perspektive der Assistenznehmer*innen absurd und verbietet sich von vornherein.

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1.2 Wie wird ein behinderter Mensch Arbeitgeber für seine Assistentinnen? 1.2.1 Ausgangsbasis Diese Frage ist nicht mit wenigen Sätzen zu beantworten, da keine Lebenssituation - und damit die Ausgangsbasis - der anderen vollkommen gleicht. Die Vorgeschichte je- des einzelnen Menschen ist sehr individuell. Der Eine hatte einen Unfall und wird nach der Rehabilitation in eine für ihn vollkommen fremde Situation entlassen. Die Andere ist seit ihrer Geburt behindert und will sich nun als Erwachsene von ihrem Elternhaus „ab- nabeln“. Der Dritte hat eine fortschreitende Erkrankung, die es ihm ab einem bestimmten Zeitpunkt unmöglich macht, ohne Assistenz zu leben. Wieder andere verlieren eine/n Angehörige/n, die/der bisher die Assistenz erbrachte. Und nicht zuletzt gibt es immer mehr Menschen, die fremdbestimmte Heimsituationen nicht mehr ertragen und unbe- dingt wieder ein selbstbestimmtes Leben inmitten der Gemeinschaft führen wollen. Hinzu kommen die unterschiedlichsten Wohnsituationen. Menschen, die z.B. nach ei- nem Unfall querschnittgelähmt sind, können nach ihrer Rehabilitation oft nicht mehr in ihre frühere Wohnung zurück, da es nicht möglich ist, diese barrierefrei umzubauen. An- dere haben das Glück, über eine mehr oder minder geeignete Wohnung zu verfügen. Alle, die aus dem Elternhaus oder einer Anstalt ausziehen wollen oder, wie oben an- geführt, nach einem Klinikaufenthalt nicht mehr in ihren früheren Wohnungen leben können, stehen vor einer besonderen Problematik. Sie müssen geeignete Wohnungen finden und mit dem Einzug müssen die Assistenz und deren Finanzierung gesichert sein, damit keine - unter Umständen lebensbedrohliche - Versorgungslücke entsteht. Geringeren Koordinationsproblemen stehen diejenigen gegenüber, die in einer barriere- freien Wohnung leben und von einer anderen Möglichkeit der Hilfenahme (z.B. durch Familienangehörige) zum Assistenzmodell wechseln wollen. 1.2.2 Finanzierung Die Finanzierung stellt oft das größte Problem bei der Umsetzung des Assistenzmo- dells dar. Zu Zeiten allgemeiner Leistungskürzungen wollen selbstverständlich auch die Kommunen sparen. Die Pflegeversicherung als „Teilkaskoversicherung“ deckt we- sentlich weniger Assistenzkosten als vor ihrer Einführung im Jahre 1995 propagiert. Aus diesem Grund sind nach wie vor viele Assistenz nehmende Menschen auf die Kostenübernahme durch die Träger der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfe (im Fol- genden der Kürze wegen Sozialämter, bzw. Landeswohlfahrtsverbände und Land- schaftsverbände genannt) angewiesen. Diese wiederum fühlen sich um hohe Einspa- rungen betrogen und versuchen, die Einsparungen auf andere Art und Weise zu errei- chen. Die Leistungen der Träger der Rehabilitation sind - außer den Leistungen der Träger der Sozialhilfe (siehe unten) - einkommens- und vermögensunabhängig. Das heißt, sie werden unabhängig der Höhe des Einkommens und Vermögens des Antrag stellenden Menschen gewährt. Wer jedoch bei einem Unfall eine „Mitschuld“ hat, muss benötigte Leistungen entsprechend der (in der Regel vom Gericht ermittelten) Haftungsquote selbst tragen oder über andere eventuell zuständige Rehaträger decken. Leistungen nach dem SGB XII sind jedoch grundsätzlich nachrangig. Das heißt, zu- nächst einmal müssen andere Möglichkeiten der Kostendeckung ausgeschöpft werden. Diese sind e _ Leistungen der Pflegeversicherung (wegen des besonderen Umfangs wird der Pfle- geversicherung ein gesondertes Kapitel gewidmet)

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