Schriftsatz der Gegenseite vom 25.05.18

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Inhaltsverzeichnis

Seite 1

Rechtsanwälte A. S.

Landgericht Potsdam
- 13. Zivilkammer -
Jägerallee 10-12
14469 Potsdam

25.05.2018

13 S 68/13

In der Sache

C.
/RAe. AS

gegen

  1. Oliver Lenz
  2. HL.

/RAin Damrow/

beantrage ich, das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 28.05.2013 abzuändern und die Beklagten auf den Berufungsantrag hin zur Räumung und Herausgabe zu verurteilen.

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Lediglich hilfsweise beantrage ich,

die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und gemäß § 412 Abs. 1 ZPO eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anzuordnen.

Begründung:

1.

Der Beklagte hat den ihm nach dem Beweisbeschluss vom 15.06.2015, Ziffer II 1 a) + b) obliegenden Beweis nicht erbracht. Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. A. vordergründig die Beweisfragen im Sinne des Beklagten bestätigen wollen, dies aber trotz umfangreicher schriftlicher und zuletzt auch mündlicher Ausführungen nicht nachvollziehbar und auch nicht widerspruchsfrei und schon gar nicht überzeugend dargelegt.

Das ergibt sich aus der „fachärztlich-gutachterlichen Stellungnahme“ des Herrn Dr. med. W. D. vom 22.05.2018, die ich als

Anlage BK 17

überreiche.

Wegen der Eilbedürftigkeit habe ich diese Stellungnahme soeben per E-Mail erhalten. Ein von Herrn Dr. D. unterzeichnetes Original der Stellungnahme kann nachgereicht werden. Vorsichtshalber mache ich mir diese Stellungnahme hiermit zu Eigen und trage sie (ab deren Seite 3 Mitte) für den Kläger wie folgt vor:

Es fällt auf, dass der Gutachter den weiteren Teil seines Gutachtenauftrages, im Beweisbeschluss unter 3. formuliert‚ zu Beginn seines Gutachten nicht entsprechend aufführt.
Er lautet:
Kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass ein kündigungsbedingter Wohnungswechsel für den Beklagten mit einem erheblichen gesundheitlichen Risiko verbunden ist, so hat der Sachverständige in seinem Gutachten Ausführungen dazu zu machen, ob diese Gefährdung temporär ist und ob sie durch einen medizinische und/oder psychische Behandlung so zu kontrollieren ist, dass der Beklagte unter

Aufsicht oder Hilfestellung Dritter den Umzug in eine andere Wohnung vornehmen kann oder ob die Krankheit des Beklagten seinen Verbleib in der Mietwohnung auf unbestimmte Zeit erfordert.

Bereits dieses explizite Fehlen der vollständigen Auftragsbenennung ist aber ein eindeutiger formaler Gutachtenmangel und könnte ein Hinweis dafür sein, dass der Gutachter die Befassung mit dem Umzugsszenario (unbewusst?) von vornherein abgelehnt hat.

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Vom Gutachter Prof. A. waren — zusammengefasst — also folgende Fragen zu klären:
Zu a)
Trifft es zu, dass ein Umzug in eine andere Wohnung den Verlauf der Krankheit von Herrn Lenz maßgeblich verschlechtert.
Zu b)
Trifft es zu, dass ein erzwungener Wohnungswechsel eine Überforderung mit den Folgen physischer und psychischer Konsequenzen darstelle und hieraus eine akute, insbesondere psychische Gefahrenlage befürchten lasse.
Zu 3. lt. Beweisbeschluss
Wenn durch den kündigungsbedingten Wohnungswechsel für den Beklagten ein erhebliches gesundheitliches Risiko entstünde: Ist dies temporär und durch medizinisch-psychologische Maßnahmen zu kontrollieren (Umzug kann mit Hilfen durchgeführt werden) oder erfordert das Gesundheitsrisiko den Verbleib auf unbestimmte Zeit ?
Niemand soll glauben, ICH hätte das Leerzeichen vor das Fragezeichen geschummelt. Nein, das steht genau so im Original! - Übrigens genauso wie die fehlenden Fragezeichen bei a) und b).
Schon die erste Durchsicht der Formulierungen zu a) und b) lässt erkennen, dass die Formulierung bei a) abhebt auf den körperlich-neurologischen Teil der Erkrankung, während in der Formulierung zu b) mit den Begriffen psychische Gefahrenlage‚ befürchten, erzwungener Wohnungswechsel, physische und psychische Konsequenzen, soziale Kontakte, soziales Umfeld auf den psychischen Teil der Auswirkungen eines Wohnungswechsels abzielt.
Ein sorgfältig und auf wissenschaftlicher Basis arbeitender Gutachter müsste diese Konstellation in einem schriftlichen Vermerk festhalten und besonders unter dem Gesichtspunkt, dass ein NEUROLOGISCHES SACHVERSTÄNDIGENGUTACHTEN beauftragt wurde, diese Problematik darstellen und darauf hinweisen, dass ein wichtiger Teil der gutachterlichen Fragestellung bei Beschränkung auf das neurologische Fachgebiet nicht oder zumindest nicht ausreichend behandelt werden kann.
Im Sachverständigengutachten von Prof. A. ist hierüber nichts zu finden. Stattdessen fehlt sogar die Benennung des wichtigen dritten Teils der Beweisfragen. Der Gutachter bestätigt lediglich: „Das Gutachten wird zu den Fragen des Beweisbeschlusses vom 15.6.2015 Stellung nehmen.“
Dass sich diese nicht geklärte Problematik und die unvollständige Auftragsforrnulierung bei der Begutachtung und besonders in der resultierenden Beurteilung verhängnisvoll auswirkt und als wesentliche Gutachtenmängel angesehen werden müssen, wird im Folgenden deutlich werden.

Prüfung formaler und inhaltlicher Aspekte des Gutachtens

Das Sachverständigen-Gutachten von Prof. A. (23 Seiten) stützt sich auf die Aktenlage (7 Seiten), auf die vom Patienten mitgebrachten medizinischen Vorberichte (72 Seiten) sowie auf die persönliche Untersuchung (fehlende Datumsangabe im

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Gutachten!) mit Erhebung der Krankheitsanamnese (4 1/2 Seiten), körperlicher Untersuchung (1/2 Seite), neurologischem Status (2 Seiten) und psychomentalem Status (1/3 Seite!)
Fehlendes Satzzeichen (End-Punkt) im Original.
Die Dysproportion des Gutachtens mit gerade einmal 9 Zeilen zur psychischen Verfassung von Herrn Lenz, welcher ja unter dem Druck des in Frage stehenden Umzugs stehen soll, zeigt deutlich eine Fehleinschätzung der Bedeutung dieses psychischen Bereichs als Folge der der unzureichenden Befassung mit der gutachterlichen Fragestellung.
„der der“ im Original
Ist doch die Persönlichkeit mit guter oder eher geringer Belastbarkeit und ihre psychische Verfassung als Reaktion auf den bisherigen Verlauf diejenige Ebene, auf der das Belastungserleben eines Umzugs („psychischer Stress“) ausgebildet und im Ergebnis an jene Hirnareale vermittelt wird, welche schließlich eine körperliche Reaktion auslösen („körperlicher Stress“), die wiederum nach Ansicht des Gutachters zu einer „eher wahrscheinlichen als nicht wahrscheinlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes von Herrn Lenz“ führt.
Entsprechend unbestimmt sind die Angaben und Schlussfolgerungen des Gutachters auf verschiedene Nachfragen zur psychischen Verfasstheit von Herrn Lenz und die — zunächst psychischen — Auswirkungen eines (möglicherweise erzwungenen) Umzugs von Herrn Lenz.
Beispiele zu den Folgen des skizzierten Gutachtenmangels:
Depression ja / nein ?
Während im 9-zeiligen „psychomentalen Status“ vermerkt ist „Fragen nach depressiven Inhalten und Stimmungen werden strikt verneint“, erscheint in den darauf folgenden Diagnosen unvermittelt „Verdacht auf reaktive Depression“.
In seinem Ergänzungsgutachten formuliert der Gutachter dann zur Frage nach psychischen Konsequenzen eines erzwungenen Umzugs noch weitergehend (Seite 16 d.GA):
„Die psychischen Konsequenzen würden in einer weiteren Verschlechterung der Depression des Patienten bestehen“.
In seinen mündlichen Ausführungen vom 19.4.2018 formuliert der Gutachter auf Nachfrage laut Protokoll sogar:
„Nach den mir vorliegenden Befunden (welche ?) liegt eine reaktive Depression beim Beklagten vor.“
Stress mit Folgen ?
Zu dem zentralen Komplex „Stress“ als Ausgangspunkt der befürchteten Krankheitsverschlechterung bei Herrn Lenz äußert sich der Gutachter in der vorgenannten Anhörung:

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„Worin genau der Stress liegen würde, da müssten Sie Herrn Lenz fragen“.

Und weiter: „Würde Herr Lenz dem Umzug zustimmen, dürfte es auch keinen Stress für ihn geben“. Auf die Frage, ob der Beklagte mit einer stressfesten und robusten Psyche ausgestattet sei:

„Das würde ich so nicht sagen. Nach meiner Synopse (?) dürfte das nicht stimmen. Ich habe allerdings als Neurologe auch nicht danach geguckt“.

Zur Bedeutung der Klärung dieser Frage:
„Sollte der Beklagte allerdings eine stressfeste und robuste Psyche haben, so könnte sich dadurch meine Einschätzung ändern“.

Genau diese Klärung fand aber als Folge der eingangs formulierten Gutachtenmängel nicht statt.

Und obwohl diese entscheidende Frage (s. 3. Teil der Beweisfragen !) ungeklärt geblieben ist, verharrt der Gutachter auf der sein Gutachten durchziehenden Argumentationskette mit „Stress“ als entscheidendem Hauptfaktor für die von ihm befürchtete Krankheits-verschlechterung bei Herrn Lenz und nimmt sie als einzige Grundlage für die Beantwortung der gestellten Beweisfragen.

„Krankheits-verschlechterung“ im Original.
Zu den Grundannahmen der Beantwortung der Beweisfragen durch den Gutachter

Die Grundannahmen der Einschätzung des Gutachters können in 6 Punkte gegliedert werden:

  1. Es besteht bei Herrn Lenz eine schwer beeinträchtigende Erkrankung.
  2. Es handelt sich hierbei um das Krankheitsbild der primär progressiven multiplen Sklerose in weit fortgeschrittenem Verlauf.
  3. Eine medikamentöse Behandlung mit den für MS üblichen Medikamenten hat nicht stattgefunden, ist bei der Erkrankungsform des Patienten aber auch nur fraglich wirksam hinsichtlich einer Verbesserung des Krankheitsverlaufes.
  4. Stress und Stresssituationen seien wichtige Zusatzfaktoren für die Auslösung der Erkrankung an einer multiplen Sklerose überhaupt, für die Auslösung von Krankheitsschüben oder einer Verschlechterung und auch einer Progression (also eines Fortschreitens) der Krankheit.
  5. Dieser behauptete Zusammenhang zwischen Stress und Auslösung oder Verschlechterung des Krankheitsverlaufes der multiplen Sklerose wird belegt durch Verweis hauptsächlich auf eine, im Ergänzungsgutachten noch auf eine zweite Studie:

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Vorrangig wird im Haupt-Gutachten wie auch im Ergänzungs-Gutachten

Genitiv-s und dann ein Bindestrich: brrrrr…

die Studie von MOHR et al. (2012) aufgeführt, im Ergänzungs-Gutachten zusätzlich auf die Übersichtsarbeit ARTEMIADIS et al. (2011) verwiesen.

6. Auf Grund der - durch die vorgenannten Studien angeblich eindeutig belegten - verschlechternden Auswirkungen von Stress auf die weit fortgeschrittene MS—Erkrankung von Herrn Lenz würden durch den umzugsbedingten Stress die gesamten ohnehin stark beeinträchtigten neurologischen und psychischen Funktionen noch weiter wesentlich verschlechtert, und zwar mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, als dass keine Verschlechterung durch den umzugsbedingten Stress eintreten würde („Sein jetziger Funktionszustand hängt an einem seidenen Faden“).

Zu diesen genannten 6 Punkten der argumentativen Denkfigur als Grundlage der gutachterlichen Einschätzung von Prof. A. sind folgende Hinweise zu geben und Feststellungen zu treffen:

Zu Punkt 1.
Die Feststellung einer schwer beeinträchtigenden Erkrankung ist zweifellos zutreffend.

Zu Punkt 2.
Dass es sich um das Krankheitsbild der multiplen Sklerose in weit fortgeschrittenem Zustand handelt, ist ebenfalls zutreffend. Allerdings ist die Ergänzung erforderlich, dass es sich bei Herrn Lenz nicht um die überwiegend vorkommende schubförmige Verlaufsform der multiplen Sklerose handelt, sondern um die wesentlich seltenere primär (oder sekundär) chronisch-progressive Verlaufsform der multiplen Sklerose. Als Beleg hierfür kann angeführt werden, dass außer dem ganz frühen Bericht aus dem St. Josef Krankenhaus vom 22.10.2001, wo ein anfangs schubförmiger Verlauf der multiplen Sklerose für möglich gehalten wird, alle weiteren dem Erst-Gutachten von Prof. A. beigefügten sieben Berichte die Diagnose einer „primär progressiven multiplen Sklerose“ anführen.

Diese Unterscheidung der beiden Krankheitsformen ist wegen des deutlich unterschiedlichen Krankheitsverlaufes, wegen der unterschiedlichen Einwirkungsmöglichkeiten durch eine medikamentöse Behandlung sowie wegen der unterschiedlichen Bedeutung anderer, insbesondere äußerer Einflüsse (wie z.B. Stress) wichtig.

Zu Punkt 3.
Dass eine medikamentöse Behandlung mit den üblichen MSMedikamenten bei der Erkrankungsform des Patienten nur fraglich wirksam sei, trifft für die vergangene Zeit zu.

Auch der fehlende Bindestrich im Original.

Erst 2017 wurde ein einziges von zahlreichen in früheren Studien erprobten Medikamenten als ausreichend wirksam auch bei der primär progressiven Verlaufsforrn der multiplen Sklerose angesehen, so dass in den USA eine

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