Sinngemäßer Auszug aus dem "Ratgeber für behinderte ArbeitgeberInnen und solche, die es werden wollen".

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(1.2.2 Finanzierung)
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: Einige Kostenträger versuchen, behinderte Menschen zu drängen, ihre Assistenz mittels so genannter Honorarkräfte zu organisieren. Nach korrekter Auslegung des Sozialversicherungsrechtes ist das nicht legal, spart der Behörde jedoch Kosten.
 
: Einige Kostenträger versuchen, behinderte Menschen zu drängen, ihre Assistenz mittels so genannter Honorarkräfte zu organisieren. Nach korrekter Auslegung des Sozialversicherungsrechtes ist das nicht legal, spart der Behörde jedoch Kosten.
 
:Das Sozialamt reagiert, indem es Antragsvordrucke zur Feststellung der Vermögensverhältnisse zuschickt und [] das Gesundheitsamt, den Umfang der Hilfebedürftigkeit festzustellen.
 
:Das Sozialamt reagiert, indem es Antragsvordrucke zur Feststellung der Vermögensverhältnisse zuschickt und [] das Gesundheitsamt, den Umfang der Hilfebedürftigkeit festzustellen.
:Viele Sozialämter orientieren sich an den Gutachten der Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDKs), die zur Feststellung der Pflegestufe im Rahmen der Pflegeversicherung erstellt wurden. Doch Vorsicht, die Pflegeversicherung deckt nur einen Teilbereich der möglichen benötigten Assistenzleistungen ab! Die Bindungswirkung zwischen MDK-Gutachten und Sozialhilfeträger besteht darin, dass der Sozialhilfeträger
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:Viele Sozialämter orientieren sich an den Gutachten der Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDKs), die zur Feststellung der Pflegestufe im Rahmen der Pflegeversicherung erstellt wurden. Doch Vorsicht, die Pflegeversicherung deckt nur einen Teilbereich der möglichen benötigten Assistenzleistungen ab! Die Bindungswirkung zwischen MDK-Gutachten und Sozialhilfeträger besteht darin, dass der Sozialhilfeträger nicht unterhalb des vom MDK anerkannten Bedarfs bewilligen darf. Da das SGB XII dem Bedarfsdeckungsprinzip untersteht, müssen alle tatsächlich vorhandenen Bedarfe gedeckt werden. Und die gehen weit über den Leistungskatalog der Pflegeversicherung hinaus, wie auch Urteile aus der Urteilssammlung des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA) hinreichend beweisen.
nicht unterhalb des vom MDK anerkannten Bedarfs bewilligen darf. Da das SGB XII dem Bedarfsdeckungsprinzip untersteht, müssen alle tatsächlich vorhandenen Bedarfe gedeckt werden. Und die gehen weit über den Leistungskatalog der Pflegeversicherung hinaus, wie auch Urteile aus der Urteilssammlung des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA) hinreichend beweisen.
 
   
 
: Neben der Hilfe zur Pflege (§ 63ff SGB XII) und Weiterführung des Haushaltes (§ 70 Abs. 1 SGB XII) gibt es die Möglichkeit, Eingliederungshilfe (§ 52 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Satz 7 SGB IX) zu beantragen. AssistenznehmerInnen, die eine „rund-um-die-Uhr-Assistenz“ im Rahmen der Hilfe zur Pflege finanziert bekommen, werden selten zusätzlich Eingliederungshilfe in Form von Personalkosten geltend
 
: Neben der Hilfe zur Pflege (§ 63ff SGB XII) und Weiterführung des Haushaltes (§ 70 Abs. 1 SGB XII) gibt es die Möglichkeit, Eingliederungshilfe (§ 52 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Satz 7 SGB IX) zu beantragen. AssistenznehmerInnen, die eine „rund-um-die-Uhr-Assistenz“ im Rahmen der Hilfe zur Pflege finanziert bekommen, werden selten zusätzlich Eingliederungshilfe in Form von Personalkosten geltend

Version vom 11. November 2012, 15:00 Uhr

Sinngemäßer Auszug aus: "Ratgeber für behinderte ArbeitgeberInnen und solche, die es werden wollen" http://www.forsea.de/tipps/RATGEBER.pdf

Inhaltsverzeichnis

1. Das Assistenzmodell - Finanzierung und Beantragung

Die effektivste Möglichkeit für ein freies Leben in Eigenverantwortung und Selbstbestimmung bietet das so genannte Arbeitgeberinnenmodell (in der Folge als Assistenzmodell bezeichnet). Beim Assistenzmodell beschäftigen assistenznehmende Menschen die von ihnen benötigten Helferinnen (Assistentinnen) in einem eigenen, angemeldeten „Betrieb im eigenen Haushalt“. Das bedeutet, die Assistentinnen stehen in einem abhängigen Arbeitsverhältnis zu den jeweiligen Assistenznehmerinnen. Sie leisten die benötigten Hilfen und werden, wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis auch, dafür entlohnt. Beim Assistenzmodell „mutiert“ das „zu pflegende, betreuende und verwaltende Objekt der Hilfebedürftigkeit“ zum selbstbestimmten Subjekt, das seinen Tagesablauf in Eigenregie gestaltet.

1.1 Wer kann Arbeitgeberin werden?

Prinzipiell verkörpert jeder behinderte Mensch, der bei seiner Lebensführung nicht mehr Kompromisse als nötig eingehen will, den potentiellen Arbeitgeber. Dazu gehört die Bereitschaft zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, verbunden mit größtmöglicher Freiheit und der Verantwortung gegenüber den beschäftigten Assistentinnen. [] AssistentINen sind ArbeitnehmerInnen mit Rechten und Pflichten. Ganz ohne gegenseitige

Rücksichtnahme geht es in keiner menschlichen Beziehung. Nicht nur ArbeitgeberInnen in „normalen“ Betrieben müssen die Rechte ihrer MitarbeiterInnen wahren. Die ArbeitnehmerInnen, sprich die AssistentInnen, haben natürlich auch Ansprüche ihnen gegenüber (Leistung gegen Entlohnung). []

1.1.1 Die Kompetenzen im Einzelnen

  • Personalkompetenz: Behinderte Arbeitgeberinnen entscheiden, wer die Assistenzleistungen erbringt. Sie schließen Arbeitsverträge mit ihren Assistentinnen, erstellen Dienstpläne, Lohnabrechnungen, führen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab.
  • Anleitungskompetenz: Behinderte Arbeitgeberinnen weisen die Assistentinnen selbst in die benötigten Hilfeleistungen ein. Sie wissen am besten, welche Assistenzleistungen sie in welchem Umfang benötigen.
  • Finanzkompetenz: Behinderte Arbeitgeberinnen kontrollieren die Verwendung der ihnen zustehenden Finanzmittel wie Leistungen aus der Pflegeversicherung (SGB XI), der Krankenversicherung, dem SGB XII usw.
  • Organisationskompetenz: Behinderte Arbeitgeberinnen gestalten ihren Tagesablauf in Eigenregie (ohne zeitliche Vorgaben durch ambulante Dienste etc.).
  • Raumkompetenz: Behinderte Arbeitgeberinnen bestimmen, an welchem Ort die Assistenz erbracht wird (z. B. in der eigenen Wohnung, am Urlaubsort, bei Besuchen von Freunden und Familienangehörigen).

1.1.2 Für viele die optimale Lösung

Das Assistenzmodell stellt für viele (aber nicht für jeden) Menschen mit Assistenzbedarf die optimale Lösung dar. Es gibt Menschen, die nie die Bewältigung ihres Alltages erlernt haben. Für diejenigen, die es auch nicht lernen wollen, gibt es die verschiedensten Möglichkeiten der Versorgung. Der Preis dafür ist regelmäßig die mehr oder minder starke Einschränkung der Freiheit und Selbstbestimmung. Jede/r einzelne muss für sich selbst entscheiden, welche Alternative für sie/ihn die richtige darstellt. Außer den oben genannten Kompetenzen sollten (künftige) Arbeitgeberinnen über weitere Eigenschaften verfügen. Diese sind der starke Wille, die eigenen Interessen durchzusetzen und der Mut, unter Umständen einen langen „Kampf“ mit den Kostenträgern durchzustehen. Besonders Menschen mit hohem Assistenzbedarf, der nahezu immer relativ hohe Kosten zur Folge hat, müssen sich oft (glücklicherweise nicht immer) auf langwierige Auseinandersetzungen mit den Behörden und sonstigen Kostenträgern gefasst machen. Diese Tatsache soll niemanden verängstigen oder gar abschrecken, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Probleme auftreten können. Kostenträger, insbesondere die Träger der Sozialhilfe, handeln selten unter der Prämisse, die Rechte behinderter Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben zu wahren, sobald das mit Kosten für sie verbunden ist. Dort wird der Mensch häufig auf den Kostenfaktor reduziert.
Besonders schwierig wird es, wenn die Kosten des Assistenzmodells höher als die einer Anstalt sind. Dabei interessiert die Mitarbeiterinnen der Behörden die Lebensqualität der assistenznehmenden Menschen oft nicht. Manchmal kennen Sachbearbeiterinnen das Assistenzmodell und seine Rechtsgrundlagen jedoch auch nicht und scheuen sich schon deshalb, die Kostenübernahme zu bewilligen. Eigene Rechtskenntnis und gute Argumentationen wirken da oft Wunder.
Rein qualitativ ist der Vergleich stationärer Einrichtungen mit ambulanten Möglichkeiten aus der Perspektive der AssistenznehmerInnen absurd.

1.2 Wie wird ein behinderter Mensch Arbeitgeber für seine AssistentInnen?

1.2.1 Ausgangsbasis

Diese Frage ist nicht mit wenigen Sätzen zu beantworten, da keine Lebenssituation - und damit die Ausgangsbasis - der anderen vollkommen gleicht. Die Vorgeschichte jedes einzelnen Menschen ist sehr individuell. Der Eine hatte einen Unfall und wird nach der Rehabilitation in eine für ihn vollkommen fremde Situation entlassen. Die Andere ist seit ihrer Geburt behindert und will sich nun als Erwachsene von ihrem Elternhaus

„abnabeln“. Der Dritte hat eine fortschreitende Erkrankung, die es ihm ab einem bestimmten Zeitpunkt unmöglich macht, ohne Assistenz zu leben. Wieder andere verlieren eine/n Angehörige/n, die/der bisher die Assistenz erbrachte. Und nicht zuletzt gibt es immer mehr Menschen, die fremdbestimmte Heimsituationen nicht mehr ertragen und unbedingt wieder ein selbstbestimmtes Leben inmitten der Gemeinschaft führen wollen.

Hinzu kommen die unterschiedlichsten Wohnsituationen. []
Geringeren Koordinationsproblemen stehen diejenigen gegenüber, die in einer barrierefreien Wohnung leben und von einer anderen Möglichkeit der Hilfenahme (z.B. durch Familienangehörige) zum Assistenzmodell wechseln wollen.

1.2.2 Finanzierung

Die Finanzierung stellt oft das größte Problem bei der Umsetzung des Assistenzmodells dar. Zu Zeiten allgemeiner Leistungskürzungen wollen selbstverständlich auch die Kommunen sparen. Die Pflegeversicherung als „Teilkaskoversicherung“ deckt esentlich weniger Assistenzkosten als vor ihrer Einführung im Jahre 1995 propagiert. Aus diesem Grund sind nach wie vor viele Assistenz nehmende Menschen auf die Kostenübernahme durch die Träger der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfe (im Folgenden der Kürze wegen Sozialämter, bzw. Landeswohlfahrtsverbände und Landschaftsverbände genannt) angewiesen. Diese wiederum fühlen sich um hohe Einsparungen betrogen und versuchen, die Einsparungen auf andere Art und Weise zu erreichen.
Die Leistungen der Träger der Rehabilitation sind - außer den Leistungen der Träger der Sozialhilfe (siehe unten) - einkommens- und vermögensunabhängig. Das heißt, sie werden unabhängig der Höhe des Einkommens und Vermögens des Antrag stellenden Menschen gewährt. Wer jedoch bei einem Unfall eine „Mitschuld“ hat, muss benötigte Leistungen entsprechend der (in der Regel vom Gericht ermittelten) Haftungsquote selbst tragen oder über andere eventuell zuständige Rehaträger decken.
Leistungen nach dem SGB XII sind jedoch grundsätzlich nachrangig. Das heißt, zunächst einmal müssen andere Möglichkeiten der Kostendeckung ausgeschöpft werden.
Diese sind
  • Leistungen der Pflegeversicherung (wegen des besonderen Umfangs wird der Pflegeversicherung ein gesondertes Kapitel gewidmet)
  • Leistungen der Krankenversicherung im Rahmen der häuslichen Behandlungspflege
  • Leistungen der Berufsgenossenschaften bei Arbeitsunfällen
  • Schadensersatzansprüche bei Impfschäden, sowie Wehrdienst- und Zivildienstunfällen gegenüber den Versorgungsämtern
  • Schadensersatzansprüche bei ärztlichen Kunstfehlern
  • Schadensersatzansprüche gegenüber Unfall- oder sonstigen Versicherungen
  • Leistungen des Integrationsamtes für Arbeitsassistenz
  • eigenes Einkommen und Vermögen
Verfügt der behinderte Mensch, der Leistungen der Sozialhilfeträger beantragt, über eigenes Einkommen und/oder Vermögen, muss er dieses einsetzen, sofern bestimmte Freibeträge überschritten werden. []
Reichen vorrangige Leistungsansprüche, bzw. das eigene Einkommen und Vermögen nicht oder nur teilweise, um die Assistenzkosten zu finanzieren, können Assistenznehmerinnen Leistungen nach § 65 SGB XII beantragen. Zunächst genügt ein formloser Antrag.
Sinnvoll ist es bei Antragstellung eine Aufstellung der zu erwartenden Kosten beizulegen. Es kommt übrigens nicht darauf an, wie manche Kostenträger irrtümlich meinen, wie viele verschiedene Assistentinnen die Leistungen erbringen. Wichtig ist es, den benötigten zeitlichen Umfang abzudecken. Als Berechnungsbasis für die Höhe der einzelnen Löhne dient der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD). Manche Sozialämter bewilligen begrenzte Festbeträge für die Entlohnung der Assistenz. Das zwingt Arbeitgeberinnen, niedrigere Löhne als nach TVÖD zu zahlen. Zunächst sollte jedoch unbedingt die Bezahlung nach dem TVÖD beantragt werden.
Einige Kostenträger versuchen, behinderte Menschen zu drängen, ihre Assistenz mittels so genannter Honorarkräfte zu organisieren. Nach korrekter Auslegung des Sozialversicherungsrechtes ist das nicht legal, spart der Behörde jedoch Kosten.
Das Sozialamt reagiert, indem es Antragsvordrucke zur Feststellung der Vermögensverhältnisse zuschickt und [] das Gesundheitsamt, den Umfang der Hilfebedürftigkeit festzustellen.
Viele Sozialämter orientieren sich an den Gutachten der Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDKs), die zur Feststellung der Pflegestufe im Rahmen der Pflegeversicherung erstellt wurden. Doch Vorsicht, die Pflegeversicherung deckt nur einen Teilbereich der möglichen benötigten Assistenzleistungen ab! Die Bindungswirkung zwischen MDK-Gutachten und Sozialhilfeträger besteht darin, dass der Sozialhilfeträger nicht unterhalb des vom MDK anerkannten Bedarfs bewilligen darf. Da das SGB XII dem Bedarfsdeckungsprinzip untersteht, müssen alle tatsächlich vorhandenen Bedarfe gedeckt werden. Und die gehen weit über den Leistungskatalog der Pflegeversicherung hinaus, wie auch Urteile aus der Urteilssammlung des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA) hinreichend beweisen.
Neben der Hilfe zur Pflege (§ 63ff SGB XII) und Weiterführung des Haushaltes (§ 70 Abs. 1 SGB XII) gibt es die Möglichkeit, Eingliederungshilfe (§ 52 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Satz 7 SGB IX) zu beantragen. AssistenznehmerInnen, die eine „rund-um-die-Uhr-Assistenz“ im Rahmen der Hilfe zur Pflege finanziert bekommen, werden selten zusätzlich Eingliederungshilfe in Form von Personalkosten geltend

machen können, da ihnen 24 Stunden am Tag Assistentinnen zur Verfügung stehen. Bekommen jedoch Assistenznehmende z.B. nur 5 Assistenzstunden für Pflege und Hauswirtschaft bezahlt, können sie Eingliederungshilfe beantragen. Die Begründung: Zur Teilnahme am öffentlichen Leben (Theaterbesuch, Teilnahme an Kursen der Volkshochschule, Besuche bei Freunden und vieles andere mehr) wird zusätzlich Assistenz benötigt.

Obwohl es sich beim SGB XII um ein Bundesgesetz handelt, wird es von Land zu Land, selbst von Kommune zu Kommune unterschiedlich ausgelegt. Die Vermögenssituation der Kommunen, aber auch der „gute Wille“ der Sachbearbeiterinnen bei Ermessensspielräumen spielt bei der Bewilligung der Kostenübernahme eine große Rolle.
So bewilligt das eine Sozialamt relativ problemlos eine Kostenübernahme von 9.000 Euro. Andere verweigern die Kostenübernahme, sobald die Kosten für das Assistenzmodell die Kosten einer Anstaltsunterbringung übersteigen. Etliche Gerichtsurteile belegen jedoch, dass ein Kostenvergleich zwischen stationären und ambulanten Kosten nur stattfinden darf, wenn eine ambulante Versorgung nicht möglich, eine stationäre

Versorgung zumutbar und eine geeignete Anstalt (incl. freiem „Platz“) vorhanden ist (siehe auch § 13 SGB XII, vormals § 3 bzw. 3a BSHG).

[]

So einfach ist es nicht

So einfach, wie es manche Behörden gerne hätten, ist eine Anstaltseinweisung durchaus nicht. Es entspricht der Tatsache, dass grundsätzlich der größte Teil der Anträge zunächst negativ beschieden wird. Alle, die aufgeben und keinen Widerspruch einlegen, sparen den Behörden Kosten. Widersprüche werden oft negativ beschieden, obwohl die Bescheide vor Gericht keinen Bestand haben können. Viele Antragstellenden scheuen den Gang vor das Gericht und geben entmutigt bei einem negativen Widerspruchsbescheid auf. Auch das erspart den Behörden Kosten. Diejenigen, für die das Assistenzmodell die einzig akzeptable Alternative der Assistenznahme darstellt, sollten nicht zögern, den Rechtsweg zu beschreiten. Zwar endet nicht jede Gerichtsverhandlung mit einem positiven Urteil, aber Vergleiche bieten oft akzeptable Kompromisslösungen.
Ein guter Rechtsanwalt ist sehr wertvoll. Nicht jeder Anwalt kennt sich jedoch im Verwaltungs- bzw. Sozialrecht umfassend aus. Das Assistenzmodell kennen viele gar nicht. Das Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA e.V.) führt eine Liste im Verwaltungs- und Sozialrechtrecht versierter Rechtsanwälte.
Behinderte Menschen, die Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII oder anderen Rechtsgrundlagen beantragen, benötigen diese Leistungen, sobald sie die ersten Lohnabrechnungen erstellen müssen. Die zeitliche Differenz zwischen Antragstellung und -bewilligung ist manchmal sehr problematisch.
Zunächst gilt es „Bedarf zu schaffen“, das heißt, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Leistungen müssen vorhanden sein. Ein Vorsprechen beim Sozialamt nach dem Motto: „Liebes Sozialamt, was bist Du bereit zu zahlen?“ schon Monate, bevor Assistentinnen eingestellt werden, ist wenig sinnvoll. Behörden benötigen klare Fakten, nach denen sie Bescheide erlassen können. Andererseits können behinderte Arbeitgeberinnen kaum mehrere Monate für die Löhne ihrer Assistentinnen in Vorleistung gehen.
Die Mitarbeiterinnen der Sozialämter (und anderer Kostenträger) leiden tatsächlich oft unter Arbeitsüberlastung. Die Erfahrungen vieler Antragstellenden lassen jedoch befürchten, dass die Bearbeitung der Anträge bewusst nicht gerade forciert wird. Seit Einführung des SGB IX am 1. Juli 2001 besteht jedoch die Pflicht, Bescheide innerhalb von zwei Wochen zu erstellen, bzw. an den zuständigen Rehaträger weiterzuleiten,

falls sich der Erstangegangene als nicht zuständig erweist. Wenn Gutachten notwendig werden, müssen diese innerhalb von drei Wochen erstellt werden (siehe auch § 14 SGB IX). Die entsprechenden Bescheide müssen innerhalb von zwei Wochen ergehen.

Der bzw. die zuständigen Kostenträger sollen den Antragstellenden drei Gutachter benennen (§ 14 [5] SGB IX), von dem dieser sich einen auswählen kann. (In der Praxis ist mir jedoch erst ein einziger Fall bekannt, in dem Gutachter zur Auswahl vorgeschlagen wurden.) Drängt die Zeit und es ist absehbar, dass der/die notwendigen Bescheide nicht rechtzeitig ergehen werden, ist es sinnvoll, einen versierten Rechtsanwalt einzuschalten. Dieser kann dann bei Gericht eine einstweilige Verfügung beantragen. In Punkt 1.5 finden Sie Auszüge aus den wichtigsten, hier näher beschriebenen Gesetzestexten.

1.2.3 SGB IX

Arbeitsassistenz

Einerseits ist das Schubladendenken, mit dem Assistenz nehmende Menschen konfrontiert werden, oft entwürdigend und belastend. Die Aufteilung in verschiedene Bereiche wie Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe und Arbeitsassistenz ist lebensfern und bringt nicht selten große Probleme bei der Leistungsbewilligung mit sich. Häufig gibt es Streitpunkte, welcher Kostenträger den jeweiligen Leistungsumfang zu tragen hat. Diese

Probleme gäbe es nicht, wenn nicht zwischen den einzelnen Arten der Hilfen unterschieden würde, sondern lediglich der Hilfebedarf in Stunden ermittelt und von einem einzigen Kostenträger zu erstatten wäre. Doch von einem Leistungsgesetz sind wir derzeit noch weit entfernt.

Dennoch kann dieses Splitten auch von Vorteil sein, denn wenn die „Last“ für den einzelnen Kostenträger nicht so hoch ist, wird er einer Kostenübernahme eher zustimmen. Seit dem 1. Oktober 2000 besteht das Recht auf Arbeitsassistenz nach dem SGB III. Dieses Recht wurde nochmals durch das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX (§ 102 Abs. 4) verfestigt. Dadurch haben es behinderte Menschen, sofern sie berufstätig

sind, mit noch einem weiteren Kostenträger zu tun. Beantragt wird die Kostenübernahme für die Arbeitsassistenz beim Integrationsamt, der früheren Hauptfürsorgestelle.

Wichtig: Die Leistungen zur Arbeitsassistenz nach § 102 Abs. 4 SGB IX gelten für einen unbefristeten Zeitraum. Dagegen wird Assistenz zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach § 33 Abs. 8 Satz 3 SGB IX nur bis zu einem Zeitraum von drei Jahren gewährt. Die Leistungen für Arbeitsassistenz werden grundsätzlich einkommens- und vermögensunabhängig 22 gewährt.

Finanziert wird die Arbeitsassistenz aus den Töpfen der Ausgleichsabgabe („Strafen“, die Arbeitgeber zahlen müssen, wenn sie die gesetzliche Beschäftigungsquote nicht erfüllen). Die Integrationsämter empfehlen jedoch, die Kostenübernahmen in der Regel auf 1.000 Euro monatlich - in Ausnahmefällen auf 1.250 Euro - zu begrenzen. Das reicht insbesondere für schwerstbehinderte Arbeitnehmerinnen häufig nicht aus. Die Arbeitsassistentinnen können entweder bei der/dem behinderten Arbeitnehmerin oder beim Arbeitgeber des behinderten Menschen beschäftigt sein. Ersteres ist insbesondere auch dann sinnvoll, wenn Arbeitsassistentinnen sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatbereich assistieren. Honorartätigkeiten sind rechtlich problematisch. Die Rechtmäßigkeit der Honorartätigkeit sollte stets von der Krankenkasse der Honorarkraft bestätigt werden. Arbeitsassistenz umfasst ausschließlich Hilfeleistungen zur Ausübung der Erwerbstätigkeit, nicht etwa Hilfen für den Toilettengang, beim An- und Auskleiden und ähnliches. Gemeinsame Servicestellen Mit Einführung des SGB IX zum 1. Juli 2001 hat der Gesetzgeber die Rehaträger verpflichtet, flächendeckend so genannte Gemeinsame Servicestellen einzurichten. Die überwiegende Anzahl der Servicestellen ist bei der Deutschen Rentenversicherung und den Krankenkassen angesiedelt. Die Servicestellen sollen behinderte Menschen bei Anträgen auf Leistungen unterstützen, also eine „Lotsenfunktion“ übernehmen. Diese besteht darin, im Bedarfsfall die jeweils zuständigen Rehaträger zu ermitteln und gegebenenfalls das Antragsverfahren bis zum Abschluss zu begleiten. Noch werden die Servicestellen ihren Aufgaben in vielen Orten nicht wie gefordert gerecht. Baden-Württemberg stellt hier in vielen Gegenden eine positive Ausnahme dar. Dennoch sollten die Servicestellen in Anspruch genommen werden, denn sie werden künftig - sowohl bei der Beantragung von Persönlichen Budgets, als auch von anderen Rehaleistungen wie der Kostenübernahme für das Assistenzmodell - eine wichtige Rolle spielen. Die konkreten Aufgaben der Gemeinsamen Servicestellen entnehmen Sie bitte den angefügten Auszügen aus den Gesetzen unter Punkt 1.5. 1.2.4 3BSGB V - Krankenversicherung Es ist erst wenige Jahrzehnte her, dass beatmete behinderte Menschen ihr Leben auf Intensivstationen von Krankenhäusern fristen mussten. Verbesserte, mobile Beatmungsgeräte ermöglichen nicht nur das Leben zu Hause, sondern auch das „ganz normale“ Reisen. Hilfen, die wegen der Beatmung benötigt werden, zählen in den Bereich der so genannten häuslichen Behandlungspflege. Diese wird von den Krankenkassen bezahlt. Voraussetzung ist eine ärztliche Verordnung. Leistungen der Krankenkasse werden einkommens- und vermögensunabhängig gewährt. Beatmete Menschen, deren Beatmungsgerät rund um die Uhr überwacht werden muss, bzw. die stets auf plötzlich notwendiges Absaugen von Sekret angewiesen sind, können die Kostenübernahme dafür komplett bei ihrer Krankenkasse beantragen. Laut Rechtsprechung müssen dann jedoch die von der Pflegeversicherung erstatteten Leistungen abgezogen werden. Ein eventueller hauswirtschaftlicher Hilfebedarf muss aus eigenen Mittel

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