Beschluss des SG vom 26.05.16

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# Dem Antragsteller wird ab dem 1. Februar 2016 Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz beim Sozialgericht Potsdam - ohne Zahlung von Raten - unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Falko Drescher aus Potsdam bewilligt.
 
# Dem Antragsteller wird ab dem 1. Februar 2016 Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz beim Sozialgericht Potsdam - ohne Zahlung von Raten - unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Falko Drescher aus Potsdam bewilligt.
 
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<b><u>Gründe:</u></b>
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=I.=
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Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets zur Deckung der Assistenzkosten des von ihm durchgeführten Arbeitgebermodells.
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Der 50-jährige Antragsteller, von Beruf Dipl.-Ing. für Maschinenbau, bezieht krankheitsbedingt eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
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:''''' Ich beziehe eine volle Erwerbsminderungsrente! Erwerbsunfähigkeitsrente gibt es seit 1.1.2000 nicht mehr!
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Er leidet an einer Form der multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderung der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Missempfindungen und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Er ist häufig schnell erschöpft und müde. Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Antragsteller nicht laufen kann, mit seinen Armen und Händen letztlich keinerlei Gegenstände - vor allem filigrane wie Zahnbürsten u.ä. - halten kann. Dies führt dazu, dass er wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit mehrfach am Tage Ruhezeiten einlegen muss. Zwischenzeitlich ist er ausweislich der der Feststellungen des Gutachters Dr. J. vom 27. Mai 2015 (Bl. 165 ff. der Gerichtsakte - GA - [[Az.: S 20 SO 40/15 ER|S 20 SO 40/15 ER]]) auch nicht mehr nennenswert in der Lage, zumindest teilweise selbständig zu essen und zu trinken; für ihn müssen abgesehen von der untergeordneten Eigenleistungen (z.B. tagesformabhängiges Zurechtrücken einer auf dem Tisch stehenden Tasse und durch Vornüberbeugen des
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Kopfes mögliches Trinken aus einem Trinkhalm sowie Ausüben von einigen Drehbewegungen der auf dem Schoß liegenden Kaffeemühle in der Horizontale etc.) dem Grunde nach <u>sämtliche</u> Tätigkeiten zur Bewältigung des Alltags einschließlich der pflegerelevanten Tätigkeiten stellvertretend erledigt werden. Die Durchführung der erforderlichen pflegerischen Maßnahmen ist durch häufig auftretende Spastiken bei der Berührung erschwert. Eine Fortbewegung des Antragstellers ist nur mittels eines Rollstuhls möglich.
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Das Landesamt für Soziales und Versorgung erkannte dem Antragsteller einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit dem Merkzeichen aG, G, B, H und RF zu. Die zuständige Pflegekasse (Techniker Krankenkasse) gewährt ihm entsprechend des
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[[Gutachten_zur_Pflegebedürftigkeit_vom_12.08.13|MDK-Gutachtens vom 12. August 2013]] Leistungen der Pflegestufe III. Dabei wurde der Pflegeaufwand für Körperpflege von 158 Minuten pro Tag, für Ernährung von 77 Minuten pro Tag und für Mobilität von 251 Minuten pro Tag, insgesamt für grundpflege von wöchentlich 56,70 Stunden und für Hauswirtschaft von 23 Stunden, somit 79,70 Stunden wöchentlich, festgestellt. Das Pflegegeld von monatlich 728,00 € wird direkt an den Antragsteller ausgezahlt.
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:'''''Mittlerweile geht das Pflegegeld an die LH Potsdam.
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Ungeachtet seiner erheblichen körperlichen Einschränkungen nimmt der Antragsteller unverändert wie auch in der Vergangenheit aktivam gesellschaftlichen Leben teil: Er geht zur "Go-Arbeitsgemeinschaft" in der Montessori-Schule, dem "Go-Klub" im Neuen Palais (Mittwoch) und in Spandau (Donnerstag), nimmt Bewegungsbäder, singt im Hans-Beimler-Chor in Berlin, macht Zen-Meditaion und verabredet sich abends zum geselligen Beisammensein (u.a. Behindertenstammtisch, Stammtisch vom Freifunk Potsdam). Zudem ist er jeweils im Vorstand des Mietervereins Potsdam und des Fördervereins der Montessorischule Potsdam aktiv.
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:'''''Im Vorstand des Fördervereins der Montessorischule Potsdam bin ich nicht mehr. Dafür seit 3/2015 Schatzmeister beim [http://hbcwiki.de/ Hans-Beimler-Chor].
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Der Antragsteller stellte erstmals am [[Mein_Antrag_auf_Assistenz|am 20. Juli 2011]]
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:'''''Das Schreiben von mir war vom 18. Juli 2011'''''
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bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Assistenzkosten in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Seither ist zwischen den Beteiligten trotz diverser Fallkonferenzen, Erörterungen zum bestehenden Hilfebedarf und zahlreicher Entscheidungen der Kammer die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Leistung streitig, wobei die Antragsgegnerin im [[Az.: S 20 SO 40/15 ER|Verfahren S 20 SO 40/15 ER]] zusätzlich noch in Frage gestellt hatte, ob dieser überhaupt einer 24-stündigen Assistenz bedarf. Dazu hatte die Kammer in dem genann-
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ten Verfahren in Absprache mit den Beteiligten ein medizinisches Sachverständigengutachten des freiberuflichen sozialmedizinischen Gutachters (Schwerpunkt SGB V, XI und XII) Dr. med. J. mit folgenden Fragen eingeholt:
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#) Verfügt der Antragsteller über ein bedarfsgerechtes (behindertengerechtes) Bett? Ist dieses z.B. auch mit einer sog. Wechseldruckmatratze oder ähnlich geeigneten Matratze ausgestattet?
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#) Sind beim Antragsteller Mängel in der Pflege erkennbar?
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#) Für wieviele Stunden täglich benötigt der Antragsteller an Pflege und Betreuung (Assistenz)? Kann sich bei einer von der Antragsgegnerin angestrebten Reduzierung der Pflege- und Betreuungszeiten eine Gefahrensituation für den Antragsteller ergeben, oder ist eine ununterbrochene Anwesenheit notwendig? Können die benötigten Stunden für Pflege und Betreuung z.B. durch andere Hilfsmittel (Notfallknopf, Windeln, Rollstuhlhaltesystem etc.) zumutbar reduziert werden? Ggf. in welchem Umfang?
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#) Gibt es in der Wohnung des Antragstellers einrichtungstechnische Gegebenheiten, die die Ausführung der pflegerischen Verrichtungen behindern oder verhindern bzw. den Antragsteller in seiner Selbstständigkeit hindern?
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#) Wirken sich die umfangreichen und zeitintensiven Freizeitaktivitäten (z.B. mehrstündige/mehrtägige Go-Turniere) positiv oder negativ auf das Krankheitsbild des Antragstellers aus bzw. beeinflussen diese den körperlichen Zustand des Antragstellers nicht?
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#) Wäre eine stundenweise Abwesenheit des Assistenten zumutbar und eine hierdurch entstehende Ruhepause dem Gesundheitszustand des Antragstellers dienlich?
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Der Sachverständiger erstattete dem Gericht das Gutachten nach [[Hausbesuch_des_gerichtlich_bestellten_Gutachters_am_18.5.2015|vorheriger Begutachtung des Antragstellers in der Häuslichkeit unter dem 27. Mai 2015]]. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Gutachters wird auf Bl. 165 ff. GA [[Az.: S 20 SO 40/15 ER|S 20 SO 40/15 ER]] Bezug genommen. Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK vom 12. August 2013 hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls erfüllt seien. Zur Frage des benötigten Assistenzbedarfes hat er folgendes ausgeführt:
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<i>"Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass der Antragsteller einer lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass </i>
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<i>er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.
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Die Stunden können nicht reduziert werden, etwa durch Einsatz eines Notfallknopfes, Windeln oder eines Rollstuhlhaltesystems. Verzögerungen der erforderlichen Hilfestellungen, z.B. bei einschießender Spastik oder auch nur banale Hilfestellungen wie Naseputzen, weil erst Hilfe (von außerhalb) herbeigerufen werden muss, sind unzumutbar. Abgesehen davon sehen die gängigen Hausnotrufverträge ausdrücklich keine pflegerischen Hilfen vor, sondern lediglich Notfälle. Ebenso ist der Einsatz von Windeln bei einer ansonsten nicht inkontinenten und zudem hochgradig intertrigogefährdeten Patienten unzumutbar.
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Diesem Assistenzbedarf ordnen sich die sonstigen Einzelbedarfe quasi unter: Wie hoch auch immer der grundpflegerische Hilfebedarf gem. SGB-XI-Gutachten, Hauswirtschaft und Teilhabe am Leben sein mag bzw. bewertet wird, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller aus o.g. Gründen einer 24-stündigen Assistenz bedarf.<br>
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Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sei, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer "angemessene" Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden "Topf" ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.<br>
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Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu den Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf von mehr als 24 Stunden/Tag resultieren würde."</i>
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Die Kammer geht davon aus, dass die Antragsgegnerin zwischenzeitlich den 24-stündigen Hilfebedarf des Antragsstellers nicht mehr in Frage stellt. Den [[Beschluss_des_SG_vom_25.08.15|Beschlüssen der Kammer vom 25. August 2015]] griff sie jedenfalls - entgegen den vorherigen Absprachen mit den Beteiligten, die darauf gerichtet waren, eine Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg herbeizuführen - nicht an.
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In der Vergangenheit war das Verhältnis zwischen den Beteiligten in untunlicher Weise erheblich belastet und nach der Einschätzung der Kammer teilweise auch nicht mehr in hinreichender Weise von der gebotenen Sachlichkeit geprägt. Grund hierfür dürfte im Wesentlichen sein, dass der Antragsteller in der Vergangenheit neben den diversen gerichtlichen Auseinandersetzungen auch tatsächliche oder vermeintliche Hilfe durch politische Gremien gesucht hatte, die Verfahrensbevollmäch-
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==Seite 6==
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tigten des Antragstellers häufig wechselten und die Kommunikation insgesamt zwischen einzelnen "Akteuren" der Beteiligten wegen der dem Antragsteller vorgeworfenen fehlenden transparenten und schlüssigen Nachweisführung der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel und der in der Vergangenheit aufgelaufenen Schulden gegenüber dem Finanzamt, den Krankenversicherungen, der Knappschaft und dem Sozialversicherungsträger nicht störungsfrei verlief.

Version vom 30. Mai 2016, 23:08 Uhr

Sozialgericht Potsdam

Az.: S 20 SO 16/16 ER

Inhaltsverzeichnis

Beschluss

In dem Rechtsstreit

Oliver Lenz,
Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam
Prozessbevollmächtigte/r:
Rechtsanwalt Dr. phil. Falko Drescher,
Helene-Lange-Straße 8, 14469 Potsdam

- Antragsteller -

gegen

Landeshauptstadt Potsdam
vertreten durch Fachbereich Soziales
Gesundheit und Umwelt
der Landeshauptstadt Potsdam,
Hegelallee 6-8, 14469 Potsdam,
Az.: 3812

- Antragsgegnerin -

hat die 20. Kammer des Sozialgerichts Potsdam

am 26. Mai 2016

durch die Richterin am Sozialgericht H.,
b e s c h l o s s e n :

Seite 2

  1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragssteller unter rechnerischer Berücksichtigung der bislang bewilligten Leistungen von monatlich 8.066,76 € ab dem 1. Februar 2016 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Oktober 2016, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 8.500,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes) zu bewilligen und auszuzahlen.
  2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu erstatten.
  3. Dem Antragsteller wird ab dem 1. Februar 2016 Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz beim Sozialgericht Potsdam - ohne Zahlung von Raten - unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Falko Drescher aus Potsdam bewilligt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets zur Deckung der Assistenzkosten des von ihm durchgeführten Arbeitgebermodells.

Der 50-jährige Antragsteller, von Beruf Dipl.-Ing. für Maschinenbau, bezieht krankheitsbedingt eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Ich beziehe eine volle Erwerbsminderungsrente! Erwerbsunfähigkeitsrente gibt es seit 1.1.2000 nicht mehr!

Er leidet an einer Form der multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderung der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Missempfindungen und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Er ist häufig schnell erschöpft und müde. Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Antragsteller nicht laufen kann, mit seinen Armen und Händen letztlich keinerlei Gegenstände - vor allem filigrane wie Zahnbürsten u.ä. - halten kann. Dies führt dazu, dass er wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit mehrfach am Tage Ruhezeiten einlegen muss. Zwischenzeitlich ist er ausweislich der der Feststellungen des Gutachters Dr. J. vom 27. Mai 2015 (Bl. 165 ff. der Gerichtsakte - GA - S 20 SO 40/15 ER) auch nicht mehr nennenswert in der Lage, zumindest teilweise selbständig zu essen und zu trinken; für ihn müssen abgesehen von der untergeordneten Eigenleistungen (z.B. tagesformabhängiges Zurechtrücken einer auf dem Tisch stehenden Tasse und durch Vornüberbeugen des

Seite 3

Kopfes mögliches Trinken aus einem Trinkhalm sowie Ausüben von einigen Drehbewegungen der auf dem Schoß liegenden Kaffeemühle in der Horizontale etc.) dem Grunde nach sämtliche Tätigkeiten zur Bewältigung des Alltags einschließlich der pflegerelevanten Tätigkeiten stellvertretend erledigt werden. Die Durchführung der erforderlichen pflegerischen Maßnahmen ist durch häufig auftretende Spastiken bei der Berührung erschwert. Eine Fortbewegung des Antragstellers ist nur mittels eines Rollstuhls möglich.

Das Landesamt für Soziales und Versorgung erkannte dem Antragsteller einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit dem Merkzeichen aG, G, B, H und RF zu. Die zuständige Pflegekasse (Techniker Krankenkasse) gewährt ihm entsprechend des

MDK-Gutachtens vom 12. August 2013 Leistungen der Pflegestufe III. Dabei wurde der Pflegeaufwand für Körperpflege von 158 Minuten pro Tag, für Ernährung von 77 Minuten pro Tag und für Mobilität von 251 Minuten pro Tag, insgesamt für grundpflege von wöchentlich 56,70 Stunden und für Hauswirtschaft von 23 Stunden, somit 79,70 Stunden wöchentlich, festgestellt. Das Pflegegeld von monatlich 728,00 € wird direkt an den Antragsteller ausgezahlt.

Mittlerweile geht das Pflegegeld an die LH Potsdam.

Ungeachtet seiner erheblichen körperlichen Einschränkungen nimmt der Antragsteller unverändert wie auch in der Vergangenheit aktivam gesellschaftlichen Leben teil: Er geht zur "Go-Arbeitsgemeinschaft" in der Montessori-Schule, dem "Go-Klub" im Neuen Palais (Mittwoch) und in Spandau (Donnerstag), nimmt Bewegungsbäder, singt im Hans-Beimler-Chor in Berlin, macht Zen-Meditaion und verabredet sich abends zum geselligen Beisammensein (u.a. Behindertenstammtisch, Stammtisch vom Freifunk Potsdam). Zudem ist er jeweils im Vorstand des Mietervereins Potsdam und des Fördervereins der Montessorischule Potsdam aktiv.

Im Vorstand des Fördervereins der Montessorischule Potsdam bin ich nicht mehr. Dafür seit 3/2015 Schatzmeister beim Hans-Beimler-Chor.

Der Antragsteller stellte erstmals am am 20. Juli 2011

Das Schreiben von mir war vom 18. Juli 2011

bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Assistenzkosten in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Seither ist zwischen den Beteiligten trotz diverser Fallkonferenzen, Erörterungen zum bestehenden Hilfebedarf und zahlreicher Entscheidungen der Kammer die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Leistung streitig, wobei die Antragsgegnerin im Verfahren S 20 SO 40/15 ER zusätzlich noch in Frage gestellt hatte, ob dieser überhaupt einer 24-stündigen Assistenz bedarf. Dazu hatte die Kammer in dem genann-

Seite 4

ten Verfahren in Absprache mit den Beteiligten ein medizinisches Sachverständigengutachten des freiberuflichen sozialmedizinischen Gutachters (Schwerpunkt SGB V, XI und XII) Dr. med. J. mit folgenden Fragen eingeholt:

  1. ) Verfügt der Antragsteller über ein bedarfsgerechtes (behindertengerechtes) Bett? Ist dieses z.B. auch mit einer sog. Wechseldruckmatratze oder ähnlich geeigneten Matratze ausgestattet?
  2. ) Sind beim Antragsteller Mängel in der Pflege erkennbar?
  3. ) Für wieviele Stunden täglich benötigt der Antragsteller an Pflege und Betreuung (Assistenz)? Kann sich bei einer von der Antragsgegnerin angestrebten Reduzierung der Pflege- und Betreuungszeiten eine Gefahrensituation für den Antragsteller ergeben, oder ist eine ununterbrochene Anwesenheit notwendig? Können die benötigten Stunden für Pflege und Betreuung z.B. durch andere Hilfsmittel (Notfallknopf, Windeln, Rollstuhlhaltesystem etc.) zumutbar reduziert werden? Ggf. in welchem Umfang?
  4. ) Gibt es in der Wohnung des Antragstellers einrichtungstechnische Gegebenheiten, die die Ausführung der pflegerischen Verrichtungen behindern oder verhindern bzw. den Antragsteller in seiner Selbstständigkeit hindern?
  5. ) Wirken sich die umfangreichen und zeitintensiven Freizeitaktivitäten (z.B. mehrstündige/mehrtägige Go-Turniere) positiv oder negativ auf das Krankheitsbild des Antragstellers aus bzw. beeinflussen diese den körperlichen Zustand des Antragstellers nicht?
  6. ) Wäre eine stundenweise Abwesenheit des Assistenten zumutbar und eine hierdurch entstehende Ruhepause dem Gesundheitszustand des Antragstellers dienlich?

Der Sachverständiger erstattete dem Gericht das Gutachten nach vorheriger Begutachtung des Antragstellers in der Häuslichkeit unter dem 27. Mai 2015. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Gutachters wird auf Bl. 165 ff. GA S 20 SO 40/15 ER Bezug genommen. Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK vom 12. August 2013 hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls erfüllt seien. Zur Frage des benötigten Assistenzbedarfes hat er folgendes ausgeführt:

"Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass der Antragsteller einer lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass

Seite 5

er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.

Die Stunden können nicht reduziert werden, etwa durch Einsatz eines Notfallknopfes, Windeln oder eines Rollstuhlhaltesystems. Verzögerungen der erforderlichen Hilfestellungen, z.B. bei einschießender Spastik oder auch nur banale Hilfestellungen wie Naseputzen, weil erst Hilfe (von außerhalb) herbeigerufen werden muss, sind unzumutbar. Abgesehen davon sehen die gängigen Hausnotrufverträge ausdrücklich keine pflegerischen Hilfen vor, sondern lediglich Notfälle. Ebenso ist der Einsatz von Windeln bei einer ansonsten nicht inkontinenten und zudem hochgradig intertrigogefährdeten Patienten unzumutbar.

Diesem Assistenzbedarf ordnen sich die sonstigen Einzelbedarfe quasi unter: Wie hoch auch immer der grundpflegerische Hilfebedarf gem. SGB-XI-Gutachten, Hauswirtschaft und Teilhabe am Leben sein mag bzw. bewertet wird, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller aus o.g. Gründen einer 24-stündigen Assistenz bedarf.
Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sei, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer "angemessene" Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden "Topf" ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.
Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu den Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf von mehr als 24 Stunden/Tag resultieren würde."

Die Kammer geht davon aus, dass die Antragsgegnerin zwischenzeitlich den 24-stündigen Hilfebedarf des Antragsstellers nicht mehr in Frage stellt. Den Beschlüssen der Kammer vom 25. August 2015 griff sie jedenfalls - entgegen den vorherigen Absprachen mit den Beteiligten, die darauf gerichtet waren, eine Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg herbeizuführen - nicht an.

In der Vergangenheit war das Verhältnis zwischen den Beteiligten in untunlicher Weise erheblich belastet und nach der Einschätzung der Kammer teilweise auch nicht mehr in hinreichender Weise von der gebotenen Sachlichkeit geprägt. Grund hierfür dürfte im Wesentlichen sein, dass der Antragsteller in der Vergangenheit neben den diversen gerichtlichen Auseinandersetzungen auch tatsächliche oder vermeintliche Hilfe durch politische Gremien gesucht hatte, die Verfahrensbevollmäch-

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tigten des Antragstellers häufig wechselten und die Kommunikation insgesamt zwischen einzelnen "Akteuren" der Beteiligten wegen der dem Antragsteller vorgeworfenen fehlenden transparenten und schlüssigen Nachweisführung der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel und der in der Vergangenheit aufgelaufenen Schulden gegenüber dem Finanzamt, den Krankenversicherungen, der Knappschaft und dem Sozialversicherungsträger nicht störungsfrei verlief.

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