Beschluss des SG vom 09.11.16

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Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK [[Gutachten_zur_Pflegebedürftigkeit_vom_12.08.13|vom 12. August 2013]] hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgungen im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls erfüllt seien. Zur Frage des benötigten Assistenzbedarfs hat er folgendes ausgeführt:
 
Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK [[Gutachten_zur_Pflegebedürftigkeit_vom_12.08.13|vom 12. August 2013]] hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgungen im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls erfüllt seien. Zur Frage des benötigten Assistenzbedarfs hat er folgendes ausgeführt:
   
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&bdquo;Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass der Antragsteller einer lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz, bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.
 
&bdquo;Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass der Antragsteller einer lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz, bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.
   
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Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sein, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer geartete &bdquo;angemessene&ldquo; Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden &bdquo;Topf&ldquo; ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.
 
Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sein, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer geartete &bdquo;angemessene&ldquo; Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden &bdquo;Topf&ldquo; ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.
   
Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf >24 Stunden/Tag resultieren würde.&ldquo;</it>
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Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf >24 Stunden/Tag resultieren würde.&ldquo;</i>
   
 
Die Antragsgegnerin stellt den 24-stündigen Hilfebedarf des Antragstellers seit dem [[Beschluss_des_SG_vom_25.08.15|Beschluss der Kammer vom 25. August 2015]] zum [[Az.: S 20 SO 40/15 ER|Aktenzeichen S 20 SO 40/15 ER]] nicht mehr in Abrede.
 
Die Antragsgegnerin stellt den 24-stündigen Hilfebedarf des Antragstellers seit dem [[Beschluss_des_SG_vom_25.08.15|Beschluss der Kammer vom 25. August 2015]] zum [[Az.: S 20 SO 40/15 ER|Aktenzeichen S 20 SO 40/15 ER]] nicht mehr in Abrede.

Version vom 12. November 2016, 14:37 Uhr

Inhaltsverzeichnis

Sozialgericht Potsdam

Az.: S 20 SO 152/16 ER

Beschluss

In dem Rechtsstreit

Oliver Lenz,
Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam
Prozessbevollmächtigte/r:
Rechtsanwalt Dr. phil. Falko Drescher,
Helene-Lange-Straße 8, 14469 Potsdam
Az.: 111-16-D

- Antragsteller -

gegen

Landeshauptstadt Potsdam
vertreten durch Fachbereich Soziales
Gesundheit und Umwelt
der Landeshauptstadt Potsdam,
Hegelallee 6-8, 14469 Potsdam,

- Antragsgegnerin -

hat die 20. Kammer des Sozialgerichts Potsdam

am 9. November 2016

durch die Richterin am Sozialgericht H.,
b e s c h l o s s e n :

  1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller unter rechnerischer Berücksichtigung der bislang bewilligten Leistungen von monatlich 7.669,54 € (vgl. dazu den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Oktober 2016) ab dem 1. November 2016 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Dezember 2016, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 8.800,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes von 728,00 € zu bewilligen und auszuzahlen. im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

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2. Für den Monat November 2016 hat die Bezahlung nach Bekanntgabe des Beschlusses in Form eines Barschecks an den Antragsteller zu erfolgen und für Dezember 2016 mit dem regulären Rechenlauf.
3. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 1/3 der außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu erstatten.
4. Dem Antragsteller wird ab dem 10. Oktober 2016 Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz beim Sozialgericht Potsdam —— ohne Zahlung von Raten — unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Falko Drescher aus Potsdam bewilligt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, über dessen Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 12. August 2016 ein Regelinsolvenzverfahren eröffnet wurde, wobei der bestellte lnsolvenzverwalter, Rechtsanwalt W. aus Potsdam, die selbstständige Tätigkeit des Antragstellers aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hat, begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets zur Deckung der Assistenzkosten des von ihm durchgeführten Arbeitgebermodells.

Der 50-jährige Antragsteller, von Beruf Dipl.-Ing. für Maschinenbau, bezieht krankheitsbedingt eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Er leidet an einer Form der multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderung der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Missempfindungen und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Er ist häufig schnell erschöpft und müde. Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Antragsteller nicht laufen kann,

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mit seinen Armen und Händen letztlich keinerlei Gegenstände — vor allem filigrane wie Zahnbürsten u.ä. — halten kann. Dies führt dazu, dass er wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit mehrfach am Tage Ruhezeiten einlegen muss. Zwischenzeitlich ist er ausweislich der Feststellungen des Gutachters Dr. J. vom 27. Mai 2015 (Bl. 165 ff. der Gerichtsakte — GA — [[Az.: S 20 SO 40/15 ER|S 20 SO 40/15 ER) auch nicht mehr nennenswert in der Lage, zumindest teilweise selbstständig zu essen und zu trinken; für ihn müssen abgesehen von sehr untergeordneten Eigenleistungen (z.B. tagesformabhängiges Zurechtrücken einer auf dem Tisch stehenden Tasse und durch Vornüberbeugen des Kopfes mögliches Trinken aus einem Trinkhalm sowie Ausüben von einigen Drehbewegungen der auf dem Schoß liegenden Kaffeemühle in der Horizontale etc.) dem Grunde nach sämtliche Tätigkeiten zur Bewältigung des Alltags einschließlich der pflegerelevanten Tätigkeiten stellvertretend erledigt werden. Die Durchführung der erforderlichen pflegerischen Maßnahmen_ist durch häufig auftretende Spastiken bei der Berührung erschwert. Eine Fortbewegung des Antragstellers ist nur mittels eines Rollstuhls möglich.

Das Landesamt für Soziales und Versorgung erkannte dem Antragsteller einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit dem Merkzeichen 36, G, B, H und RF zu. Die zuständige Pflegekasse (Techniker Krankenkasse) gewährt ihm entsprechend des MDK-Gutachtens vom 12. August 2013 Leistungen der Pflegestufe III. Dabei wurde ein Pfiegeaufwand für Körperpflege von 158 Minuten pro Tag, für Ernährung von 77 Minuten pro Tag und für Mobilität von 251 Minuten pro Tag, insgesamt für Grundpflege von wöchentlich 56,70 Stunden und für Hauswirtschaft von 23 Stunden, somit 79,70 Stunden wöchentlich‚ festgestellt. Das Pflegegeld von monatlich derzeit 728,00 € wird direkt an den Antragsteller ausgezahlt.

Das stimmt nicht mehr. Das Pflegegeld geht an die LHP. Von dort bekomme ich das Geld ausgezahlt.

Ungeachtet seiner erheblichen körperlichen Einschränkungen nimmt der Antragsteller unverändert wie auch in der Vergangenheit aktiv am gesellschaftlichen Leben teil: Er geht zur „Go-Arbeitsgemeinschaft“ in der Montessori—Schule, dem „Go-Klub" im Neuen Palais (Mittwoch) und in Spandau (Donnerstag), nimmt Bewegungsbäder, singt im Hans-Beimler—Chor in Berlin, macht Zen—Meditation und verabredet sich abends zum geselligen Beisammensein (u.a. Behindertenstammtisch, Stammtisch vom Freifunk Potsdam). Zudem ist er jeweils im Vorstand des Mietervereins Potsdam und des Fördervereins der Montessorischule Potsdam aktiv.

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Der Antragsteller stellte erstmals am 20. Juli 2011 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Assistenzkosten in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Seither ist zwischen den Beteiligten trotz diverser Fallkonferenzen, Erörterungen zum bestehenden Hilfebedarf und zahlreicher Entscheidungen der Kammer die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Leistungen streitig, wobei die Antragsgegnerin im Verfahren S 20 S0 40/15 ER zusätzlich noch in Frage gestellt hatte, ob dieser überhaupt einer 24-stündigen Assistenz bedarf. Dazu hatte die Kammer in dem genannten Verfahren in Absprache mit den Beteiligten ein medizinisches Sachverständigengutachten des freiberuflichen sozialmedizinischen Gutachters (Schwerpunkt SGB V, XI und XII) Dr. med. J. mit folgenden Fragen eingeholt:

1.) Verfügt der Antragsteller über ein bedarfsgerechtes (behindertengerechtes) Bett? Ist dieses z.B. auch mit einer sog. Wechse1druckmatratze oder ähnlich geeigneten Matratze ausgestattet?
2.) Sind beim Antragsteller Mängel in der Pflege erkennbar?
3.) Für wieviele Stunden täglich benötigt der Antragsteller an Pflege und Betreuung (Assistenz)? Kann sich bei einer von der Antragsgegnerin angestrebten Reduzierung der Pflege- und Betreuungszeiten eine Gefahrensituation für den Antragsteller ergeben oder ist eine ununterbrochene Anwesenheit notwendig? Können die benötigten Stunden für Pflege und Betreuung z.B. durch andere Hilfsmittel (Notfallknopf, Windeln, Rollstuhlhaltesystem etc.) zumutbar reduziert werden? Ggf. in welchem Umfang?
4.) Gibt es in der Wohnung des Antragstellers einrichtungstechnische Gegebenheiten, die die Ausführung der pflegerischen Verrichtungen behindern oder verhindern bzw. den Antragsteller in seiner Selbstständigkeit hindern?
5.) Wirken sich die umfangreichen und zeitintensiven Freizeitaktivitäten (z.B. mehrstündige/mehrtägige Go-Turniere) positiv oder negativ auf das Krankheitsbild des Antragstellers aus bzw. beeinflussen diesen den körperlichen Zustand des Antragstellers nicht?
6.) Wäre eine stundenweise Abwesenheit des. Assistenten zumutbar und eine hierdurch entstehende Ruhephase dem Gesundheitszustand des Antragstellers dienlich?

Der Sachverständige erstattete dem Gericht das Gutachten nach vorheriger Begutachtung des Antragsteilers in der Häuslichkeit unter dem 27. Mai 2015. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Gutachters wird auf Bl. 165 ff. GA S 20 SO 40/15 ER

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Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK vom 12. August 2013 hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgungen im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls erfüllt seien. Zur Frage des benötigten Assistenzbedarfs hat er folgendes ausgeführt:

„Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass der Antragsteller einer lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz, bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.

Die Stunden können nicht reduziert werden, etwa durch Einsatz eines Notfallknopfes, Windeln oder eines Rollstuhlhaltesystems. Verzögerungen der erforderlichen Hilfestellungen, z.B. bei einschießender Spastik oder auch nur banalen Hilfestellungen wie Naseputzen, weil erst Hilfe (von außerhalb) herbeigerufen werden muss, sind unzumutbar. Abgesehen davon sehen die gängigen Hausnotrufverträge ausdrücklich keine pflegerischen Hilfen vor, sondern lediglich Notfälle. Ebenso ist der Einsatz von Windeln bei einem ansonsten nicht inkontinenten und zudem hochgradig intertrigogefährdeten Patienten unzumutbar.

Diesem Assistenzbedarf ordnen sich die sonstigen Einzelbedarfe quasi unter: Wie hoch auch immer der grundpflegerische Hilfebedarf gem. SGB-XI-Gutachten, Hauswirtschaft und Teilhabe am Leben sein mag bzw. bewertet wird, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller aus o.g. Gründen einer 24-stündigen Assistenz bedarf.

Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sein, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer geartete „angemessene“ Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden „Topf“ ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.

Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf >24 Stunden/Tag resultieren würde.“

Die Antragsgegnerin stellt den 24-stündigen Hilfebedarf des Antragstellers seit dem Beschluss der Kammer vom 25. August 2015 zum Aktenzeichen S 20 SO 40/15 ER nicht mehr in Abrede.

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