Gutachten vom 25.06.16

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Erstmanifestation 1997. Erstdiagnose Oktober 2001. Primär chronisch—progrediente Verlaufsform, DD.: sekundär progredient nach leichteren Schüben.
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Befundbericht Klinik Dr. Evers, Krankenhaus für Multiple Sklerose, Sundern, aus dem Jahr 2004:
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Diagnose: Primär progrediente Multiple Sklerose seit 1997/1998. Verlauf: Bei dem 38jährigen Patienten würde eine kernspintomographisch— und liquorgesicherte MS vorliegen, die 1997/1998 mit einer Schwäche der Beine begann und von Beginn an primär progredient verlief&helip; Neuropsychiatrisch finden sich eine linksbetonte spastische Paraparese und ein deutliches Fatigue-Syndrom. Kernspintomographisch stehe der Rückenmarksbefund im Vordergrund mit multiplen MS-Herden, die im Bereich der oberen BWS fast den gesamten Rückenmarksquerschnitt betreffen. Auch cerebral seien deutliche Veränderungen nachweisbar, die zT. als sogenannte Black holes imponieren und einen Hinweis auf eine höhergradige Schädigung geben. Das erkläre auch die organisch bedingte Hirnleistungsminderung, wobei der Patient dazu neige, diese zu dissimulieren. So berichte er erst nach wiederholten Nachfragen, dass er sich 2000 bis 2003 in seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent überfordert gefühlt habe. Er fühle sich den Aufgaben nicht gewachsen, z.B. bei der Leitung von Seminaren und Übungen. Seine Konzentrationsstörungen bemerke er besonders beim Go-Spiel. Herr Lenz leitet seit Jahren einen Go-Verein. Während er früher in der Lage gewesen sei, auf Turnieren acht Stunden praktisch ohne Unterbrechung zu spielen, habe er nun Mühe, eine einzige Partie durchzustehen&helip; Aus neurologischer Sicht ist eine Frühberentung dringend zu erwägen. Hierzu konnte er sich jedoch noch nicht entschließen.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Epikrisen/Reha_2008.html Befundbericht RZP, Reha—Zentrum Potsdam, Abteilung Neurologie] (Univ.-Prof. Dr. Wissel) bezüglich des stationären Aufenthaltes vom 16.05. bis 25.07.2008:
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Diagnosen: Multiple Sklerose.
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Epikrise: Bei Herrn Lenz bestehe seit Ende der 90er Jahre eine chronisch progrediente Encephalomyelitis disseminata mit wiederholten Krankenhausaufenthalten und einer Rehabilitationsbehandlung in der Neurologischen Rehabilitationsklinik Beelitz-Heilstätten im Jahr 2003. Herr Lenz hatte sich auf eigene Initiative in der dortigen Einrichtung vorgestellt, da er im Frühjahr des Jahres gestürzt war, die ambulante physiotherapeutische Behandlung schmerzbedingt nicht mehr aufsuchen konnte und dadurch eine deutliche Verschlechterung des Trainingszustandes eingetreten war, so dass Herr Lenz kaum noch in der Lage war, das Haus zu verlassen. Der Sturz hatte sich im Rahmen einer über 3 — 6 Monate
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langsam progredienten Verschlechterung der Grunderkrankung und der damit verbundenen motorischen Einschränkungen ergeben&helip; Herr Lenz konnte seine motorischen Fähigkeiten, sein Belastbarkeitsniveau und seine Alltags— und Selbstversorgungskompetenz durch die ambulante RehaBehandlung in unserer Einrichtung erweitern. Eine ambulante Fortsetzung der Therapiemaßnahmen sei dringend zu empfehlen. Es sei davon auszugehen, dass Herr Lenz im häuslichen Umfeld wie bisher zurecht kommen werde.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Epikrisen/AHB_2009.html Befundbericht AHG-Klinik Wolletzsee, Abteilung für Neurologie] (Dr. Brüggemann) bezüglich des stationären Aufenthaltes
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vom 14.08.2009 bis 04.09.2009]
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Epikrise: Im Rahmen einer chronisch-progredient verlaufenden Multiplen Sklerose bestehe bei dem Patienten eine linksbetonte spastische Paraparese der Beine sowie eine distal betonte Parese des linken Armes. Er sei mit Zwei-Hebel-Rollstuhl selbständig mobil. Mit Rollator sei er im In-
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nenbereich in der Ebene trotz paresebedingter Gangstörung in der Lage, sich über kurze Zeit fortzubewegen. Im Rahmen der alltäglichen Versorgung bestehe Hilfsbedarf beim An-
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und Auskleiden, bei der Körperpflege sowie dem Zubereiten einer komplexen Mahlzeit. Weiterhin bestehe eine Harndrangsymptomatik mit gelegentlicher Inkontinenz.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Epikrisen/KH_2009.html Befundbericht St. Josef-Krankenhaus Potsdam, Abteilung für Chirurgie (Chefärztin Dr. Ch. Laun) bezüglich des stationären
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Aufenthaltes vom 14.07. bis 22.10.2009]:<br>
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Diagnose: Traumatischer Pneumothorax rechts ventral infolge einer Rippenserienfraktur dorso lateral rechts und Weichteilschaden bei offener Fraktur. Konsekutiv subcutanes Emphysem sowie Mediastinal-Emphysem rechts. Nebendiagnosen: Generalisierte Multiple Sklerose.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Befunde/MRT_HWS_2010.html Befundbericht Dr. Teller et al., Facharzt für Radiologie, Potsdam: Kernspintömographie der HWS vom 13.07.2010]:
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# Befundverschlechterung disseminierte intramedulläre Entmarkungsherde mit Hauptbefund HWK 2 links lateral.
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# Zusatzläsionen überwiegend ventraler Ponsrand (mindestens 3 Entmarkungsherde bis 0,5 cm Größe). Diskretere Entmarkungsherde HWK 4 — 6. Keine Schrankenstörung.
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# Konstante Protrusion HWK 5/6. Keine Myelonimpression oder Wurzelaffektion.
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# Leichte Degeneration untere HWS.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Befunde/MRT_Kopf_2014.html Befundbericht Radiologie-Befund, St. Josef-Krankenhaus Potsdam vom 23.04.2014] (nicht signiert):<br>
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MR Kopf MS vom 15.04.2014.<br>
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Beurteilung:<br>
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Im Vergleich zu den vorliegenden Voruntersuchungen von 2004und 2006 deutliche Herdlast- und Größenzunahme der multiplen supra- und infratentoriellen sowie &ndash; soweit abgebil-
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det &ndash; intramedullären Demyelinisierungsherde in MS-typischer Lokalisation und Morphologie.<br>
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Zeichen der kortikalen Atrophie. Aktuell kein Floriditätsnachweis.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Befunde/neuropsych_2014.html Befundbericht Dr. Winter, St. Josef-Krankenhaus Potsdam: Neuropsychologischer Befund vom 12.05.2014]:<br>
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Es findet sich eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit (Alertness, Flexibilität) und des verbalen Gedächtnisses. Die übrigen untersuchten Bereiche (Merkfähigkeit, Arbeitsgedächtnis) waren unauffällig. Bei relevanter motorischer Funktionsstörung der oberen Extremitäten und zu erwartender eingeschränkter/aufgehobener Aussagekraft oder undurchführbarkeit wurde auf die Testung von selektiver und geteilter Aufmerksamkeit sowie visuo-konstruktiver Leistung, figuralem Gedächtnis und Exekutivfunktionen verzichtet.
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Befundbericht St. Josef-Krankenhaus, Radiologisches Institut (Chefarzt Dr. Kissig) vom 19.05.2015:<br>
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MRT BWS: Zahlreiche intramedulläre T2—hypertense Herdläsionen, vereinbar mit MS-Demyelinisierungsherden der gesamten BWS sowie in den mit abgebildeten HWS-Segmenten&hellip;
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[http://cvo6wiki.de/MS/Befunde/schulter_2014.html Befundbericht St. Josef—Krankenhaus, Radiologisches lnstitut (Dr. Kissig) vom 10.11.2014]:
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In a.p.-Projektion auffällig abgeknickt erscheinende laterale Clavicula‚ offenbar Zustand nach alter, knöchern konsolidierter CIavicula-Fraktur. Aus zwei Anteilen konfluierende &hellip; Verkalkung im Ansatzbereich der Supraspinatussehne im Sinne einer Tendinitis calcarea.
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[http://cvo6wiki.de/MS/Befunde/daumen_2015.html Befundbericht Krankenhaus Waldfriede, Berlin-Zehlendorf, Handchirurgie (Chefarzt Dr. Lautenbach) vom 05.11.2015]:
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Diagnose: EPL-Ruptur links. Multiple Sklerose. Initiale Arthrose IP Daumen links.
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<B><u>Eigene Untersuchungsbefunde und -ergebnisse:</u></b>
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Herr Lenz wird im Rollstuhl von einer Assistentin aus seinem Pflegeteam, Frau Sabine Wohnig und dem Pflegeassistenten Stefan zur Untersuchung gebracht.
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<u>Aktuelle Beschwerden:</u>
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Außer Stimme und Kopf sei praktisch alles nicht in Ordnung.
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Die rechte Hand könne nur noch ein wenig angehoben und bewegt werden.<br>
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Die linke Hand sei praktisch funktionslos. Er könne den Arm im Schultergelenk nur etwas anheben.<br>
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Der Transfer vom Rollstuhl bzw. aus sitzender Position sei nur mit Unterstützung von ein oder zwei Personen möglich.
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An dieser Stelle berichtet der Pflegeassistent‚ dass auch der Transfer mit Unterstützung äußerst schwierig sei. Zum Transfer müsse er Herrn Lenz am Rumpf umfassen, seine Knie durchdrücken, herumdrehen und dann mit einer Kreiselbewegung auf den Toilettensitz oder zum Bett bringen.
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Herr Lenz berichtet weiter, dass die Erkrankung seit 10 Jahren kontinuierlich schlechter geworden sei. Seit 2006 sei er
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auf einen Rollator, seit 2007 kontinuierlich an den Rollstuhl gebunden.<br>
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Er habe im Internet Tagebuch über seine Ausfälle und Funktionsstörungen sowie die fortschreitende Verschlechterung geführt.<br>
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Die Lähmung der Beine sei inzwischen vollständig. Es würde nur reflektorische Bewegungen geben, z.B. nach einem Nadelstich.<br>
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Je nach Situation komme es dabei zu einer Streck- oder Beugespastik in den Hüft- und in den Kniegelenken. Die Spastik sei mit großen Schmerzen verbunden.<br>
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Außerdem könnten die spastisch-reflektorischen Bewegungen zu einer erheblichen Gefährdung führen, weil er dann z.B. aus dem Rollstuhl oder aus dem Bett fallen könne.
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(Der Pflegeassistent verändert die Sitzposition von Herrn Lenz im Rollstuhl, weil dieser nach vorne gerutscht ist und rückt den Patienten nach oben. Dabei kommt es zu unerschöpflichen Kloni (Muskelzuckungen) der Extremitäten, die erst nach einigen Minuten nach vorsichtiger Änderung der Gelenkstellungen wieder zur Ruhe kommen.)
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Nachts habe er allein schon durch Berührung der Laken Muskelkloni und spastische Symptome in Form von Beuge und Streckspastik. Dies sei bei jedem Lagerungswechsel nachts der Fall. Bei jeder Berührung komme es zu Streck und -Beugespastik an Armen und Beinen.<br>
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Eine Seitenlagerung sei sehr aufwändig und mühsam und dauere etwa 15 Minuten, u.a. weil bei Berührung durch die Beugespastik die Knie ganz fest zusammengedrückt würden und nur schwierig auseinander zu bekommen seien.
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Beim Stuhlgang müsse auch geholfen werden.<br>
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Darüber hinaus habe er eine Blasen-Dranginkontinenz.
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==Seite 12==
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Sensible Störungen würden nicht vorliegen.
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Er werde durch eine 24-Stunden-Rund-um-Versorgung gepflegt. Es handele sich um ein Team von 6 bis 7 Pflegekräften. Die Kosten würde das Sozialamt bezahlen über ein persönliches Budget für ihn.
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Auch bei der Nahrungsaufnahme sei er auf Hilfe angewiesen. Das einzige, was er könne, sei sich runter zu beugen zu einem Strohhalm in einem Becher. Im Übrigen müsse er gefüttert werden.
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Er werde auf einer Weichlagerungsmatratze zur Vermeidung eines Decubitus nachts gelagert. Zusätzlich gebe es Anti-Decubitus-Lagerkissen. Er habe ferner verschiedene Rollstühle, einen Stehrollstuhl, einen Aktivrollstuhl, einen Personenlifter, einen Badewannenlifter und anderes mehr.<br>
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Als therapeutische Verfahren werde zwei mal pro Woche eine Bobath-Therapie in einer Praxis durchgeführt. Zwei mal pro Woche Krankengymnastik und Lypmhdrainage mit Hausbesuch in seiner Wohnung. Zwei mal pro Woche Ergotherapie in einer Praxis.
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<u>Aktuelle Medikation:</u>
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:Tolperison
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:Vit. D
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:Vit. B12
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Versuche, die Spastik mit Medikamenten zu behandeln, seien erfolgt, aber wirkungslos geblieben.<br>
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Auch eine Behandlung mit Sativex (einem Cannabis-Präparat) sei misslungen. Er habe darunter massive Nebenwirkungen, u.a. eine schwere depressive Verstimmung bekommen. Ein Effekt auf die Spastik sei nicht eingetreten.
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==Seite 13==

Version vom 13. Juli 2016, 18:42 Uhr

Prof. Dr. med. A.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Zertifizierter Gutachter der DGNB

Herrn
Richter E.
Präsident des Landgerichts
Landgericht Potsdam
Jägerallee 10-12
14469 Potsdam

Berlin, den 25.06.2016

Aktenzeichen: 13 S 68/13 Landgericht Potsdam
Rechtsstreit C. ./. Lenz

Im Auftrag

des Landgerichtes Potsdam

wird nachfolgend

ein neurologisches Sachverständigengutachten

über

Herrn Oliver Lenz, geb. am 15.05.1966,
wohnhaft: Cari-von-Ossietzky-Str. 6, 14471 Potsdam

erstattet.

Inhaltsverzeichnis

Seite 2

Das Gutachten berücksichtigt eine Amtsgerichtsakte unter dem Aktenzeichen 13 S 68/13.

Das Gutachten bezieht sich ferner auf eigene Untersuchungsbefunde und —ergebnisse, die anlässlich einer ambulanten Untersuchung am 27.04.2016 in der Neurologischen Praxis, M…str., B. erhoben wurden.

Es berücksichtigt ferner medizinische Befundberichte von Herrn Lenz, die dieser zu der ambulanten Untersuchung mitbrachte.

Die genannten Befunde werden im Einvernehmen mit Herrn Lenz dem Gutachten im Anhang beigefügt.

Das Gutachten wird zu den Fragen des Beweisbeschlusses vom 15.06.2015 Stellung nehmen.

Es soll Beweis erhoben werden über die Behauptung des Beklagten,

1 a) aufgrund seiner Erkrankung an primär progredienter Multipler Sklerose mit fortschreitender Immobilität als Folge des Verlustes der Kontrollfähigkeit seines Körpers ihm ein Wohnungswechsel innerhalb der Stadt Potsdam nicht zumutbar sei, weil ein Umzug in eine andere Wohnung den Verlauf seiner Krankheit maßgeblich verschlechtere.

1 b) Ein Wohnungswechsel lasse eine akute insbesondere psychische Gefahrenlage befürchten, weil sich seine Krankheit auf alle Formen der Lebensführung auswirke und erzwungener Wohnungswechsel eine Überforderung mit den Folgen physischer und psychischer Konsequenzen darstelle, weil er befürchten müsse, seine sozialen Kontakte in seinem sozialen Umfeld nicht mehr in der bisher erfolgten Art und Weise erfahren zu können.

Seite 3

Aktenmäßiger Sachverhalt:

Das Gutachten wird sich ausschließlich auf die medizinischen Aspekte des vorliegenden Verfahrens konzentrieren. Im Aktenmaterial findet sich nur ein medizinisch relevantes Protokoll, nämlich der Therapiebericht an Dr. Christian Albert vom 25.08.2014 von Promnitz - Therapie im Zentrum, Potsdam (Blatt 446):

Herr Lenz befinde sich aufgrund von progredient verlaufender Multipler Sklerose in ergotherapeutischer Behandlung. Herr Lenz zeige derzeit große Probleme in der Motorik des gesamten Körpers. Aktuelles Ziel sei der Erhalt vorhandener Funktionen... Aktuell habe Herr Lenz große Probleme in der Bewegung des linken Armes. Diesen könne er nur mit Kompensation über die Schulter bewegen. Eine eigene Bewegung sei für ihn sehr schwer und finde nur minimal statt. Ebenso habe Herr Lenz große Probleme mit der linken Hand zu greifen. Seine Greifbewegung findet nur minimal statt. Im rechten Arm finde noch eine selbständige aktive Bewegung statt. Diese falle Herrn Lenz jedoch schwer. Eine Bewegung mit Widerstand, z.B. Gewicht, fordere von ihm viel Kraftaufwand und Konzentration ab. Ein Greifen sei möglich, jedoch nur größere Gegenstände. Kleinere Gegenstände zu greifen sei für ihn so gut wie unmöglich. Ebenso nehme die Beweglichkeit im Rumpf ab. Bedingt durch seine Krankheit falle es Herrn Lenz schwer seinen Rumpf angemessen zu kontrollieren. So könne er nicht genug Kraft aufbringen, um sich über einen längeren Zeitraum aufrecht zu halten. Er würde zu den Seiten bzw. nach hinten fallen. Nur in Therapiesituationen könne eine minimale Neigung durch Herrn Lenz ausgeglichen werden, ohne dabei zu fallen. Ein eigenständiges Auf-

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richten aus einer Liegeposition sei jedoch nicht mehr möglich. Herrn Lenz Beine weisen eine schlaffe Parese auf. Das Bewegen der Beine ist ihm nicht mehr möglich. Ein Strecken der Beine ist allenfalls durch eine Spastik möglich, eine Streckung durch willentlich aktive Bewegung ist nicht mehr möglich. Eine unwillentliche Bewegung durch Reflexe sei noch möglich, im Bereich der Selbstversorgung sei Herr Lenz auf seine Assistenz angewiesen. Durch die mangelnde Bewegung in den Amen sei es Herrn Lenz nicht mehr möglich, angemessen Nahrung aufzunehmen. Das Aufnehmen der Nahrung erfordere von ihm eine Kraft, welche er nicht mehr ausdauernd aufbringen könne. Nach zweimaligem Zuführen der Nahrung zum Mund sei er erschöpft. In den übrigen ADLs ist Herr Lenz komplett auf seine Assistenz angewiesen. Die aktuelle Situation belastet Herrn Lenz, wodurch er sich auch in der Therapie nicht voll auf das Therapiegeschehen konzentrieren könne. Seine Gedanken kreisen immer wieder um die aktuelle Situation und um eine mögliche negative Zukunft außerhalb des gewohnten Umfeldes (Angabe des Patienten).

Weitere medizinisch-neurologische Befundberichte liegen im Aktenmaterial nicht vor.

Herr Lenz wurde daher gebeten, zur aktuellen Untersuchung alle ihm zur Verfügung stehenden Befunde mitzubringen.

Er legte zur Untersuchung einen Ordner mit dem kompletten Krankheitsverlauf seit 2001 vor.

Wegen des Umfanges des Materials wird aus diesen Akten nur der wesentliche Teil im Verlauf der Jahre 2001 bis 2015 hier referiert und in Kopie — im Einvernehmen mit Herrn Lenz- dem Gutachten als Anhang beigefügt.

Seite 5

Befundbericht St. Josef-Krankenhaus Potsdam—Sanssouci, Abt. Neurologie vom 22.10.2001 bezüglich des stationären Aufenthaltes vom 04.10.2001 bis 18.10.2001 (C. Görlitz, Dr. Hilger, Prof. Kursawe):

Diagnose: Encephalomyelitis disseminata. Therapie und Verlauf:

Der Patient wurde unter dem klinischen Verdacht einer Encephalomyelitis disseminata stationär eingewiesen. Klinisch ließ sich der Krankheitsverlauf bis etwa 1997 zurück verfolgen, als der Patient erstmals eine zunehmende Schwäche der unteren Extremitäten spürte. Im weiteren Verlauf kam es zu einer zunehmenden Koordinationsstörung. In der neurologischen Untersuchung bei Aufnahme zeigte sich eine rechtsseitige Hemiataxie sowie eine linksbetonte spastische Paraparese der unteren Extremitäten. Im Hirnnervenbereich ergab sich der klinische Verdacht auf eine Abducensparese links bzw. differentialdiagnostisch eine internukleäre Ophthalmoplegie rechts. Weiterhin fielen an den unteren Extremitäten eine linksbetonte Tiefensensibilitätsstörung auf… In Zusammenschau der Befunde und des klinisch dargebotenen Bildes liegt die Vermutung einer Encephalomyelitis disseminata nahe… Anamnestisch ließe sich der Krankheitsverlauf nicht eindeutig zuordnen, ein zunächst schubförmiger Verlauf mit sekundär chronischer Progredienz könne jedoch angenommen werden, so dass eine Therapie mit Betaferon möglich wäre.

Befundbericht Median—Klinik Grünheide, Reha-Klinik für Neurologie, Neurochirurgie (Chefärztin Dr. Zynda) bezüglich des stationären Aufenthaltes vom 23.10.2001 bis 20.11.2001.
Diagnosen: Encephalomyelitis disseminata.

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Erstmanifestation 1997. Erstdiagnose Oktober 2001. Primär chronisch—progrediente Verlaufsform, DD.: sekundär progredient nach leichteren Schüben.

Befundbericht Klinik Dr. Evers, Krankenhaus für Multiple Sklerose, Sundern, aus dem Jahr 2004:

Diagnose: Primär progrediente Multiple Sklerose seit 1997/1998. Verlauf: Bei dem 38jährigen Patienten würde eine kernspintomographisch— und liquorgesicherte MS vorliegen, die 1997/1998 mit einer Schwäche der Beine begann und von Beginn an primär progredient verlief&helip; Neuropsychiatrisch finden sich eine linksbetonte spastische Paraparese und ein deutliches Fatigue-Syndrom. Kernspintomographisch stehe der Rückenmarksbefund im Vordergrund mit multiplen MS-Herden, die im Bereich der oberen BWS fast den gesamten Rückenmarksquerschnitt betreffen. Auch cerebral seien deutliche Veränderungen nachweisbar, die zT. als sogenannte Black holes imponieren und einen Hinweis auf eine höhergradige Schädigung geben. Das erkläre auch die organisch bedingte Hirnleistungsminderung, wobei der Patient dazu neige, diese zu dissimulieren. So berichte er erst nach wiederholten Nachfragen, dass er sich 2000 bis 2003 in seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent überfordert gefühlt habe. Er fühle sich den Aufgaben nicht gewachsen, z.B. bei der Leitung von Seminaren und Übungen. Seine Konzentrationsstörungen bemerke er besonders beim Go-Spiel. Herr Lenz leitet seit Jahren einen Go-Verein. Während er früher in der Lage gewesen sei, auf Turnieren acht Stunden praktisch ohne Unterbrechung zu spielen, habe er nun Mühe, eine einzige Partie durchzustehen&helip; Aus neurologischer Sicht ist eine Frühberentung dringend zu erwägen. Hierzu konnte er sich jedoch noch nicht entschließen.

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Befundbericht RZP, Reha—Zentrum Potsdam, Abteilung Neurologie (Univ.-Prof. Dr. Wissel) bezüglich des stationären Aufenthaltes vom 16.05. bis 25.07.2008:

Diagnosen: Multiple Sklerose.

Epikrise: Bei Herrn Lenz bestehe seit Ende der 90er Jahre eine chronisch progrediente Encephalomyelitis disseminata mit wiederholten Krankenhausaufenthalten und einer Rehabilitationsbehandlung in der Neurologischen Rehabilitationsklinik Beelitz-Heilstätten im Jahr 2003. Herr Lenz hatte sich auf eigene Initiative in der dortigen Einrichtung vorgestellt, da er im Frühjahr des Jahres gestürzt war, die ambulante physiotherapeutische Behandlung schmerzbedingt nicht mehr aufsuchen konnte und dadurch eine deutliche Verschlechterung des Trainingszustandes eingetreten war, so dass Herr Lenz kaum noch in der Lage war, das Haus zu verlassen. Der Sturz hatte sich im Rahmen einer über 3 — 6 Monate langsam progredienten Verschlechterung der Grunderkrankung und der damit verbundenen motorischen Einschränkungen ergeben&helip; Herr Lenz konnte seine motorischen Fähigkeiten, sein Belastbarkeitsniveau und seine Alltags— und Selbstversorgungskompetenz durch die ambulante RehaBehandlung in unserer Einrichtung erweitern. Eine ambulante Fortsetzung der Therapiemaßnahmen sei dringend zu empfehlen. Es sei davon auszugehen, dass Herr Lenz im häuslichen Umfeld wie bisher zurecht kommen werde.

Befundbericht AHG-Klinik Wolletzsee, Abteilung für Neurologie (Dr. Brüggemann) bezüglich des stationären Aufenthaltes vom 14.08.2009 bis 04.09.2009]

Epikrise: Im Rahmen einer chronisch-progredient verlaufenden Multiplen Sklerose bestehe bei dem Patienten eine linksbetonte spastische Paraparese der Beine sowie eine distal betonte Parese des linken Armes. Er sei mit Zwei-Hebel-Rollstuhl selbständig mobil. Mit Rollator sei er im In-

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nenbereich in der Ebene trotz paresebedingter Gangstörung in der Lage, sich über kurze Zeit fortzubewegen. Im Rahmen der alltäglichen Versorgung bestehe Hilfsbedarf beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege sowie dem Zubereiten einer komplexen Mahlzeit. Weiterhin bestehe eine Harndrangsymptomatik mit gelegentlicher Inkontinenz.

[http://cvo6wiki.de/MS/Epikrisen/KH_2009.html Befundbericht St. Josef-Krankenhaus Potsdam, Abteilung für Chirurgie (Chefärztin Dr. Ch. Laun) bezüglich des stationären Aufenthaltes vom 14.07. bis 22.10.2009]:
Diagnose: Traumatischer Pneumothorax rechts ventral infolge einer Rippenserienfraktur dorso lateral rechts und Weichteilschaden bei offener Fraktur. Konsekutiv subcutanes Emphysem sowie Mediastinal-Emphysem rechts. Nebendiagnosen: Generalisierte Multiple Sklerose.

Befundbericht Dr. Teller et al., Facharzt für Radiologie, Potsdam: Kernspintömographie der HWS vom 13.07.2010:

  1. Befundverschlechterung disseminierte intramedulläre Entmarkungsherde mit Hauptbefund HWK 2 links lateral.
  2. Zusatzläsionen überwiegend ventraler Ponsrand (mindestens 3 Entmarkungsherde bis 0,5 cm Größe). Diskretere Entmarkungsherde HWK 4 — 6. Keine Schrankenstörung.
  3. Konstante Protrusion HWK 5/6. Keine Myelonimpression oder Wurzelaffektion.
  4. Leichte Degeneration untere HWS.

Befundbericht Radiologie-Befund, St. Josef-Krankenhaus Potsdam vom 23.04.2014 (nicht signiert):
MR Kopf MS vom 15.04.2014.
Beurteilung:
Im Vergleich zu den vorliegenden Voruntersuchungen von 2004und 2006 deutliche Herdlast- und Größenzunahme der multiplen supra- und infratentoriellen sowie – soweit abgebil-

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det – intramedullären Demyelinisierungsherde in MS-typischer Lokalisation und Morphologie.
Zeichen der kortikalen Atrophie. Aktuell kein Floriditätsnachweis.


Befundbericht Dr. Winter, St. Josef-Krankenhaus Potsdam: Neuropsychologischer Befund vom 12.05.2014:
Es findet sich eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit (Alertness, Flexibilität) und des verbalen Gedächtnisses. Die übrigen untersuchten Bereiche (Merkfähigkeit, Arbeitsgedächtnis) waren unauffällig. Bei relevanter motorischer Funktionsstörung der oberen Extremitäten und zu erwartender eingeschränkter/aufgehobener Aussagekraft oder undurchführbarkeit wurde auf die Testung von selektiver und geteilter Aufmerksamkeit sowie visuo-konstruktiver Leistung, figuralem Gedächtnis und Exekutivfunktionen verzichtet.

Befundbericht St. Josef-Krankenhaus, Radiologisches Institut (Chefarzt Dr. Kissig) vom 19.05.2015:
MRT BWS: Zahlreiche intramedulläre T2—hypertense Herdläsionen, vereinbar mit MS-Demyelinisierungsherden der gesamten BWS sowie in den mit abgebildeten HWS-Segmenten…

Befundbericht St. Josef—Krankenhaus, Radiologisches lnstitut (Dr. Kissig) vom 10.11.2014: In a.p.-Projektion auffällig abgeknickt erscheinende laterale Clavicula‚ offenbar Zustand nach alter, knöchern konsolidierter CIavicula-Fraktur. Aus zwei Anteilen konfluierende … Verkalkung im Ansatzbereich der Supraspinatussehne im Sinne einer Tendinitis calcarea.

Befundbericht Krankenhaus Waldfriede, Berlin-Zehlendorf, Handchirurgie (Chefarzt Dr. Lautenbach) vom 05.11.2015:

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Diagnose: EPL-Ruptur links. Multiple Sklerose. Initiale Arthrose IP Daumen links.

Eigene Untersuchungsbefunde und -ergebnisse:

Herr Lenz wird im Rollstuhl von einer Assistentin aus seinem Pflegeteam, Frau Sabine Wohnig und dem Pflegeassistenten Stefan zur Untersuchung gebracht.

Aktuelle Beschwerden:

Außer Stimme und Kopf sei praktisch alles nicht in Ordnung.

Die rechte Hand könne nur noch ein wenig angehoben und bewegt werden.
Die linke Hand sei praktisch funktionslos. Er könne den Arm im Schultergelenk nur etwas anheben.

Der Transfer vom Rollstuhl bzw. aus sitzender Position sei nur mit Unterstützung von ein oder zwei Personen möglich.

An dieser Stelle berichtet der Pflegeassistent‚ dass auch der Transfer mit Unterstützung äußerst schwierig sei. Zum Transfer müsse er Herrn Lenz am Rumpf umfassen, seine Knie durchdrücken, herumdrehen und dann mit einer Kreiselbewegung auf den Toilettensitz oder zum Bett bringen.

Herr Lenz berichtet weiter, dass die Erkrankung seit 10 Jahren kontinuierlich schlechter geworden sei. Seit 2006 sei er

Seite 11

auf einen Rollator, seit 2007 kontinuierlich an den Rollstuhl gebunden.

Er habe im Internet Tagebuch über seine Ausfälle und Funktionsstörungen sowie die fortschreitende Verschlechterung geführt.
Die Lähmung der Beine sei inzwischen vollständig. Es würde nur reflektorische Bewegungen geben, z.B. nach einem Nadelstich.
Je nach Situation komme es dabei zu einer Streck- oder Beugespastik in den Hüft- und in den Kniegelenken. Die Spastik sei mit großen Schmerzen verbunden.
Außerdem könnten die spastisch-reflektorischen Bewegungen zu einer erheblichen Gefährdung führen, weil er dann z.B. aus dem Rollstuhl oder aus dem Bett fallen könne.

(Der Pflegeassistent verändert die Sitzposition von Herrn Lenz im Rollstuhl, weil dieser nach vorne gerutscht ist und rückt den Patienten nach oben. Dabei kommt es zu unerschöpflichen Kloni (Muskelzuckungen) der Extremitäten, die erst nach einigen Minuten nach vorsichtiger Änderung der Gelenkstellungen wieder zur Ruhe kommen.)

Nachts habe er allein schon durch Berührung der Laken Muskelkloni und spastische Symptome in Form von Beuge und Streckspastik. Dies sei bei jedem Lagerungswechsel nachts der Fall. Bei jeder Berührung komme es zu Streck und -Beugespastik an Armen und Beinen.

Eine Seitenlagerung sei sehr aufwändig und mühsam und dauere etwa 15 Minuten, u.a. weil bei Berührung durch die Beugespastik die Knie ganz fest zusammengedrückt würden und nur schwierig auseinander zu bekommen seien.

Beim Stuhlgang müsse auch geholfen werden.
Darüber hinaus habe er eine Blasen-Dranginkontinenz.

Seite 12

Sensible Störungen würden nicht vorliegen.

Er werde durch eine 24-Stunden-Rund-um-Versorgung gepflegt. Es handele sich um ein Team von 6 bis 7 Pflegekräften. Die Kosten würde das Sozialamt bezahlen über ein persönliches Budget für ihn.


Auch bei der Nahrungsaufnahme sei er auf Hilfe angewiesen. Das einzige, was er könne, sei sich runter zu beugen zu einem Strohhalm in einem Becher. Im Übrigen müsse er gefüttert werden.

Er werde auf einer Weichlagerungsmatratze zur Vermeidung eines Decubitus nachts gelagert. Zusätzlich gebe es Anti-Decubitus-Lagerkissen. Er habe ferner verschiedene Rollstühle, einen Stehrollstuhl, einen Aktivrollstuhl, einen Personenlifter, einen Badewannenlifter und anderes mehr.
Als therapeutische Verfahren werde zwei mal pro Woche eine Bobath-Therapie in einer Praxis durchgeführt. Zwei mal pro Woche Krankengymnastik und Lypmhdrainage mit Hausbesuch in seiner Wohnung. Zwei mal pro Woche Ergotherapie in einer Praxis.

Aktuelle Medikation:

Tolperison
Vit. D
Vit. B12

Versuche, die Spastik mit Medikamenten zu behandeln, seien erfolgt, aber wirkungslos geblieben.
Auch eine Behandlung mit Sativex (einem Cannabis-Präparat) sei misslungen. Er habe darunter massive Nebenwirkungen, u.a. eine schwere depressive Verstimmung bekommen. Ein Effekt auf die Spastik sei nicht eingetreten.

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