Begründung des Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam vom 25.08.15

Aus cvo6
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Sozialgericht Postdam

Az.: S 20 SO 40/15 ER

Inhaltsverzeichnis

Beschluss

In dem Rechtsstreit

Oliver Lenz,
Carl-von-Ossietzky-Straße 6, 14471 Potsdam

- Antragsteller -

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. phil. Falko Drescher,
Helene-Lange-Straße 8, 14469 Potsdam

gegen

Landeshauptstadt Potsdam
vertreten durch Fachbereich Soziales
Gesundheit und Umwelt
Hegelallee 6-8, 14469 Potsdam,

- Antragsgegnerin -

wird die Entscheidung vom 25. August 2015 wie folgt begründet:

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Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets zur Deckung der Assistenzkosten des von ihm durchgeführten Arbeitgebermodells.

Der 49-jährige Antragsteller, von Beruf Dipl.-Ing. für Maschinenbau, bezieht krankheitsbedingt eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Ich beziehe eine volle Erwerbsminderungsrente! Erwerbsunfähigkeitsrente gibt es seit 1.1.2000 nicht mehr!

Er leidet an einer Form der multiplen Sklerose mit primär chronischem Verlauf. Es bestehen multiple Läsionen (Schädigungen, Verletzungen) der BWS und HWS, eine linksbetonte Tetraparese, schmerzhafte Streck- und Beugespastiken der Beine, deutliche Kraftminderung der Extremitäten und eine fehlende Rumpfstabilität, linksseitige Missempfindungen und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Er ist häufig schnell erschöpft und müde. Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen, dass der Antragsteller nicht laufen kann, mit seinen Armen und Händen letztlich keinerlei Gegenstände - vor allem filigrane wie Zahnbürsten u.ä. - halten kann. Dies führt dazu, dass er wegen seiner schnellen Erschöpfbarkeit mehrfach am Tage Ruhezeiten einlegen muss. Zwischenzeitlich ist er ausweislich der der Feststellungen des Gutachters Dr. J. vom 27. Mai 2015 (Bl. 165 ff. der Gerichtsakte - GA -) auch nicht mehr nennenswert in der Lage, zumindest teilweise selbständig zu essen und zu trinken; für ihn müssen abgesehen von dehr untergeordneten Eigenleistungen (z.B. tagesformabhängiges Zurechtrücken einer auf dem Tisch stehenden Tasse und durch Vornüberbeugen des Kopfes mögliches Trinken aus einem Trinkhalm sowie Ausüben von einigen Drehbewegungen der auf dem Schoß liegenden Kaffeemühle in der Horizontale etc.) dem Grunde nach sämtliche Tätigkeiten zur Bewältigung des Alltags einschließlich der pflegerelevanten Tätigkeiten stellvertretend erledigt werden. Die Durchführung der erforderlichen pflegerischen Maßnahmen ist durch häufig auftretende Spastiken bei der Berührung erschwert. Eine Fortbewegung des Antragstellers ist nur mittels eines Rollstuhls möglich.

Das Landesamt für Soziales und Versorgung erkannte dem Antragsteller einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit dem Merkzeichen aG, G, B, H und RF zu. Die zuständige Pflegekasse (Techniker Krankenkasse) gewährt ihm entsprechend des

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MDK-Gutachtens vom 12. August 2013 Leistungen der Pflegestufe III. Dabei wurde der Pflegeaufwand für Körperpflege von 158 Minuten pro Tag, für Ernährung von 77 Minuten pro Tag und für Mobilität von 251 Minuten pro Tag, insgesamt für grundpflege von wöchentlich 56,70 Stunden und für Hauswirtschaft von 23 Stunden, somit 79,70 Stunden wöchentlich, festgestellt. Das Pflegegeld von monatlich 728,00 € wird direkt an den Antragsteller ausgezahlt.

Ungeachtet seiner erheblichen körperlichen Einschränkungen nimmt der Antragsteller unverändert wie auch in der Vergangenheit aktivam gesellschaftlichen Leben teil: Er geht zur "Go-Arbeitsgemeinschaft" in der Montessori-Schule, dem "Go-Klub" im Neuen Palais (Mittwoch) und in Spandau (Donnerstag), nimmt Bewegungsbäder, singt im Hans-Beimler-Chor in Berlin, macht Zen-Meditation und verabredet sich abends zum geselligen Beisammensein (u.a. Behindertenstammtisch, Stammtisch vom Freifunk Potsdam). Zudem ist er jeweils im Vorstand des Mietervereins Potsdam und des Fördervereins der Montessorischule Potsdam aktiv.

Der Antragsteller stellte erstmals am am 20. Juli 2011

Das Schreiben von mir war vom 18. Juli 2011

bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Assistenzkosten in Form eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Seither ist zwischen den Beteiligten trotz diverser Fallkonferenzen, Erörterungen zum betsehenden Hilfebedarf die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Leistung streitig, wobei die Antragsgegnerin aktuell sogar noch in Frage gestellt hat, ob dieser überhaupt einer 24-stündigen Assistenz bedarf. Das Verhältnis zwischen den Beteiligten ist in untunlicher Weise erheblich belastet und nach der Einschätzung der Kammer teilweise auch nicht mehr von der gebotenen Sachlichkeit geprägt. Grund hierfür dürfte im Wesentlichen sein, dass der Antragsteller in der Vergangenheit neben den diversen gerichtlichen Auseinandersetzungen auch tatsächliche oder vermeintliche Hilfe durch politische Gremien gesucht hat, die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers häufig wechselten und die Kommunikation insgesamt zwischen einzelnen "Akteuren" der Beteiligten wegen der dem Antragsteller vorgeworfenen fehlenden transparenten und schlüssigen Nachweisführung der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel und der in der Vergangenheit aufgelaufenen Schulden gegenüber dem Finanzamt, den Krankenversicherungen, der Knappschaft und dem Sozialversicherungsträger nicht störungsfrei verlief.

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Daneben ist der Antragsteller seit einiger Zeit mit zivilrechtlichen Verfahren belastet, weil im der Vermieter wegen Eigenbedarfs gekündigt hat. Eine abschließende Entscheidung hat das Landgericht Potsdam - soweit ersichtlich - bislang nicht getroffen.

Dieser Vorgang steht hier: Meine_Wohnung

Mit einem ersten Bescheid vom 23. Februar 2012 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ab dem 1. Februar 2012 Leistungen in Form des persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell von 1.469,53 €. Die nachfolgenden Bewilligungsbescheide und geführten Auseinandersetzungen hat die Kammer vor allem im Beschluss vom 21. Oktober 2013 zum Aktenzeichen S 20 SO 67/13 ER zusammengefasst, auf den Bezug genommen wird. Dort hatte das Gericht die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Juli 2014, monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 6.500,00 € zu bewilligen und auszuzahlen.

Mit Vergleichsbeschluss der Kammer vom 7. April 2014 haben die Beteiligten für die Vergangenheit folgenden Vergleich geschlossen:

  1. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger für den Zeitraum vom August 2012 bis einschießlich Februar 2013 ein persönliches Budget von insgesamt 2.800,00 Euro monatlich unter Anrechnung des jeweils bislang gezahlten Betrages von 2.373,14 Euro zzgl. des Pflegegeldes von 700,00 Euro zu bewilligen und zu zahlen.
  2. Für den Zeitraum ab dem 1. März 2013 bis einschließlich Juli 2014 bewilligt die Beklagte dem Kläger den Betrag von 6.734,25 Euro für das beantragte persönliche Budget (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes von derzeit 700,00 Euro).
  3. Im Gegenzug verzichtet der Kläger auf einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. Februar 2014; sämtliche vergangene Zeiträume ab August 2012 bis einschließlich Juli 2014 sind damit erledigt.

Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller zuletzt mit Bescheid vom 27. Februar 2014 für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2014 ein persönliches Budget. Eine Zielvereinbarung schlossen die Beteiligten nicht mehr ab, weil der Antragsgegner diese nicht unterzeichnete. Stattdessen bewilligte diese dem Antragsteller mit Bescheid vom 17. Juli 2014 zur Deckung des Pflege- und Eingliederungshilfebedarfs für den

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Zeitraum ab dem 1. August 2014 Sachleistungen, zahlte ihm allerdings bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens die Leistungen in Form des persönlichen Budgets weiter. Den gegen den Bescheid vom 17. Juli 2014 erhobenen Widerspruch (fehlt teilw.) wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2014 zurück. Über die am 5. Januar 2015 erhobene Klage zum Aktenzeichen S 20 SO 3/15 (fehlt) hat das Gericht noch nicht entschieden.

Weitere Verfahren sind zu den Aktenzeichen S 20 SO 2/15 (fehlt) und S 20 SO 82/15 anhängig, letzteres betreffend einen Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2015, mit dem diese die Durchführung einer Budgetkonferenz abgelehnt hatte.

Am 9. Februar 2015 erhob der Antragsteller zum Aktenzeichen S 20 SO 19/15 ER einen Antrag auf Gewährung Einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel der vorläufigen Weitergewährung der Leistungen für das persönliche Budget. Am 13. Februar 2015 fand zu diesem Verfahren ein Erörterungstermin (fehlt) statt. In diesem äußerte die Kammer erhebliche Zweifel, das der von der Antragsgegnerin für die Leistungserbringung in Aussicht genommene Dienstleister, die Einzelfallhilfe-Manufaktur e.V., dazu berechtigt ist. Gleichwohl erklärte der Antragsteller am 17. Februar 2015 (Bl. 25 GA, S 20 SO 19/15 ER) sein Einverständnis zur Übertragung der Budgetverantwortung auf diesen Verein. Dieser wollte einen erheblichen Teil der vom Antragsteller bislang angestellten Personen übernehmen, weil sein vorgehaltenes Personal dazu nicht ausreichte. Am 26. Februar 2015 erklärte der Verein (Erklärung fehlt), der zuvor als monatlichen erforderlichen Gesamtbetrag für das Budget mindestens 8.500,00 € kalkuliert hatte, dann allerdings, nur die Eingliederungshilfeleistungen, nicht aber die pflegerischen Leistungen im Rahmen des trägerübergreifenden persönlichen Budgets zu übernehmen. Das Vertragsverhältnis kam somit nicht zustande. Daraufhin nahm die Antragsgegnerin mit der Pflegestation "Am Luisenplatz" Kontakt auf, damit diese ab Anfang März 2015 die Leistungen entsprechend des letzten MDK-Gutachtens erbringt.

Mit Beschluss vom 27. Februar 2015 verpflichtete die Kammer die Antragsgegnerin, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis einschließlich 31. März 2015 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 7.000,00 € (ohne Berücksichtigung des Pfle-

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gegeldes von 700,00 € [richtig wäre allerdings 728,00] zu bewilligen und auszuzahlen (S 20 SO 19/15 ER). Wegen der Begründung wird auf den Beschluss (Bl. 34 ff. GA) Bezug genommen. Die dagegen von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde verwarf das LSG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 7. Mai 2015 als unzulässig (L 15 SO 121/15 B ER).

Am 30. März 2015 hat der Antragsteller zum Aktenzeichen S 20 SO 40/15 ER erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Weitergewährung des persönlichen Budgets beantragt. Er führt aus: Für ihn lägen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund vor. Ohne die Weiterbewilligung sei seine Pflege und Betreuung nicht in dem erforderlichen Umfang gesichert. Das persönliche Budget diese dazu, dem Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sei in der Regel als Geldleistung zu bewilligen. Die Lohnabrechnung erfolge über eine Buchhalterin (Frau D.) und das Geschäftskonto werde durch Rüdiger Otto, der ebenfalls Buchhalter sei, kontrolliert.

Er beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens für das beantragte trägerübergreifende Budget als Arbeitgebermodell monatlich einen Betrag von 7.000,00 € zu gewähren.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie macht im Wesentlichen geltend: Seit Beginn der Gewährung des persönlichen Budgets in Form des Arbeitgebermodelles an den Antragsteller erfolge die Nachweisführung über die verwendung der Sozialhilfeleistungen gar nicht oder unzureichend. Seit 2012 habe er durch sie und auch durch die 20. Kammer des Sozialgerichts diverse Hinweise erhalten, in welcher Art und Weise Nachweisführungen transparent und schlüssig zu tätigen wären. Er halte aber an seiner Verfahrensweise fest. Nachdem alle ihre Versuche, den Antragsteller zu einer qualifizierten Führung des persönlichen Budgets, den wirtschaftlichen Umgang mit den Mittel der Sozial-

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hilfe und der transparenten und schlüssigen Nachweisführung auch nach Jahren nicht zum Erfolg geführt hätten und er au7ch gemeinsam mit seinen Rechtsanwälten und Buchhaltern nicht in der LAge gewesen sei, mit den Geldern umzugehen, sei es unvermeidlich gewesen, die Geldleistung auf Sachleistungen umzustellen. Der Antragsteller habe die bezogenen Sozialleistungen auch nicht immer zweckentsprechend verwand. Beispielsweise habe sie ihrer Kalkulation einen Arbeitnehmerbruttolohn von 8,00 € pro Stunde und einen Arbeitgeberbruttolohn von 9,42 € zu Grunde gelegt. Seinen Arbeitsverträgen sei aber zu entnehmen, dass er diesen einen Arbeitnehmerbruttolohn von 9,42 € zahlte. Zudem habe er nie umfänglich nachgewiesen, in welcher Höhe er arbeitsrechtliche Verträge abgeschlossen habe. Er habe auch Gehälter gezahlt, deren Höhe nicht nachvollziehbar war. Seine selbsterstellten Übersichten hätten nie mit den Kontoauszügen des Budgetkontos übereingestimmt. Seinen Mitwirkungspflichten sei er seit beginn der Leistungsgewährung nicht oder nur nach wiederholter Aufforderung nachgekommen. Auch im februar 2015 seinen die jetzt eingereichten Unterlagen nicht nachvollziehbar und unvollständig. Beispielhaft verweise sie auf das Lohnkonto der Angestellten Sabine Wohnig. Diese habe ausweislich der Lohnabrechnung im Dezember 2014 insgesamt 298,75 Stunden bei einer Sollarbeitszeit von 160 Stunden gearbeitet, somit an 31 Tagen täglich jeweils fast 10 Stunden. Da in diesem Monat zugleich andere Kräfte tätig gewesen seien und er an verschiedenen Tagen 16 Stunden betreut betreut worden sei, zweifle sie die Abrechnung von Dezember 2014 für Frau Wohnig an.

Dem Anragsteller fehle es offenbar auch an der Übersicht über seine Beschäftigungsverträge; er habe erst jetzt Verträge vorgelegt, die bereits im Jahr 2012 geschlossen worden sein sollen. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass er seine Honorarkräfte entsprechen der gesetzlichen Erfordernisse angemeldet habe. Für die Honorarkräfte LP, MR, MG, TV lägen entsprechende Verträge nicht vor. Gleiches gelte für den Arbeitsvertrag mit CSO. Auch sei teilweise nicht klar, ob die Personen festangestellt seien, als Honorarkräfte arbeiten würden oder ehrenamtlich tätig seien. Die fehlende Schlüssigkeit von Dienstplänen und Stundenabrechnungen sowie Einnahmen und Ausgaben beruhen darauf, dass der Antragsteller gemäß seiner Aufstellung vom 20. Dezember 2013 (fehlt) zeitweise bis zu 10 Angestellte, 25 Honorarkräfte und 7 Familienmitglieder beschäftige und entlohne, was einem mittelständischen Unternehmen entspreche. Ihr sei aus anderen persönlichen Budgets bekannt, dass andere

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Arbeitgeber mit identischem Assistenzbedarf bis zu 5 Angestellte beschäftigten, möglich sei die Absicherung einer 24-stündigen Assistenz im Arbeitgebermodell mit 4 Vollzeitkräften. Sie habe den Antragsteller immer wieder ohne Erfolg auf diese Missstände hingewiesen.

Das Pflegegeld sei bis April 2013 seinem privaten Konto zugeflossen; die Mittelverwendung habe er nicht glaubhaft gemacht, weswegen sie davon ausgehe, dass diese für private Zwecke verwendet worden seien. Seinen Arbeitgeberpflichten gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Unfallversicherung, der Bundesknappschaft und dem Finanzamt sei er gar nicht bzw. nur teilweise nachgekommen, weswegen er Schulden angehäuft habe. Auch die nach dem Abschluss des Verfahrens S 20 SO 33/13 ER erfolgten Nachzahlungen haben die vorhandenen Schulden nicht ausgleichen können. Dieser Zusatnd habe auch noch im Februar 2015 bestanden. Sie habe teilweise die vom Antragsteller übersandten Nachweise zur Mittelverwendung im Unfang bis zu 500 Seiten wegen des Umfangs und ihrer Unübersichtlichkeit und Unschlüssigkeit nicht prüfen können. Die aktuellen Auszüge des Budgetkontos für den zeitraum bis Dezember 2014 würden belegen, dass er nach wie vor nur Teilhonorare oder Teilgehälter bzw. Restgehälter für lange zurückliegende Zeiträume zahle.

Sie habe von der zuständigen Krankenkasse auch erst mit großer zeitlicher Verzögerung eine Erstattung bis einschließlich Juli 2014 erlangen können. Grund hierfür sei gewesen, dass ergänzende Zielvereinbarungen, Verordnungen und Leistungsnachweise erst vielzu spät vom Antragsteller vorgelegt worden seien. Ab der 1. August 2014 habe die Krankenkasse keine Erstattungen mehr geleistet.

Sie habe ihm wiederholt Alternativen zu seiner bisherigen Leistungsform aufgezeigt und Hilfen bei der weiteren Gestaltung seiner Bedarfsdeckung angeboten, beispielsweise mit den Pflegediensten "Am Luisenplatz" und "Herbstzeit". Letzterer habe auch erklärt, dass der Antragsteller an verschiedenen Körperstellen von einer Pilzerkrankung befallen sei. Dies deute auf eine unzureichende Pflege hin. Außerdem stünden die Wohnsituation und das Nichtvorhandensein von Hilfsmitteln einer qualitativ guten Pflege entgegen. Schließlich gehe sie mit Blick auf mündliche Erklärungen des Pflegedienstes "Herbstzeit", denen sie sich anschließe, davon aus, dass für ihn eine 24-stündige Betreuung nicht erforderlich sei. Vielmehr würden 10 Stunden Pflege und 2 Stunden Eingliederungshilfe zur Deckung seines Bedarfes ausreichen. Ein halbstündiger gemischter Nachteinsatz zum Drehen, Getränke reichen und Ausschei-

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den sei ebenfalls nicht erforderlich. Durch den Einsatz einer Wechseldruckmatratze würde beispielsweise eine nächtliche Betreuung überflüssig. Somit wären - wie bei anderen vom Pflegedienst "Herbstzeit" gepflegten MS-Patienten - lediglich drei Einsätze zu je vier Stunden sinnvoll sowie praktikabel.

Zur Deckung des nächtlichen Pflegebedarfes habe der Antragsteller nach dem Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes ab dem 1. Januar 2015 die Möglichkeit, eine zusätzliche Betreuungsleistung in Höhe von 104,00 € und eine Leistung zur Deckung niederschwelliger Betreuungsbedarfe in Anspruch zu nehmen. Die erforderlichen leistungen der Krankenhilfe seien durch entsprechende Verordnungen über die Krankenversicherung sicherzustellen. Dass der Antragsteller bisher keine Alternative für die Leistungserbrinmgung in Form eines persönlichen Budgets gefunden haben wolle, sei einzig und allein seinem Verhalten zuzurechnen. Beispielsweise habe er sich unangemessen über die ihm vorgeschlagene Wohnform bei dem Träger "3w-konzepter GmbH" geäußert, was diesem bekannt geworden sei. Hier gehe es nicht darum, den Antragsteller aus "in eine Einrichtung zu drängen". Die aufgezeigten Angebote von Pflegestationen würden alle in der Häuslichkeit stattfinden. Die Wohngemeinschaften seien keine Einrichtungen, sondern die Bewohner würden selbst- und eigenständig leben.

Am 16. April 2015 hat die Kammervorsitzende in diesem Verfahren einen Erörterungstermin durchgeführt; wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Am 28. April 2015 hat die Kammer im Wege der Zwischenentscheidung ("Hängebeschluss") die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 30. Juli 2015 monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 7.000,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes) zu bewilligen und auszuzahlen. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss (Bl. 74 GA) Bezug genommen. Die dagegen erhobene Beschwerde vom 30. April 2015 hat das LSG Berlin-Brandenburg (L 15 So 151/15 B ER) mit Beschluss vom 14. Mai 2015 zurückgewiesen.

Am 12. Mai 2015 hat die Kammer - in Absprache mit den beteiligten hinsichtlich der konkreten Beweisfragen - eine Beweisanordnung mit folgendem Inhalt erlassen:

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  1. ) Verfügt der Antragsteller über ein bedarfsgerechtes (behindertengerechtes) Bett? Ist dieses z.B. auch mit einer sog. Wechseldruckmatratze oder ähnlich geeigneten Matratze ausgestattet?
  2. ) Sind beim Antragsteller Mängel in der Pflege erkennbar? Bitte beschreiben Sie so genau wie möglich den Pflegezustand des Antragstellers.
  3. ) Für wieviele Stunden täglich benötigt der Antragsteller an Pflege und Betreuung (Assistenz)? Kann sich bei einer von der Antragsgegnerin angestrebten Reduzierung der Pflege- und Betreuungszeiten eine Gefahrensituation für den Antragsteller ergeben, oder ist eine ununterbrochene Anwesenheit notwendig? Können die benötigten Stunden für Pflege und Betreuung z.B. durch andere Hilfsmittel (Notfallknopf, Windeln, Rollstuhlhaltesystem etc.) zumutbar reduziert werden? Ggf. in welchem Umfang?
    Bitte begründen Sie dazu Ihre Entscheidung detailliert.
  4. ) Gibt es in der Wohnung des Antragstellers einrichtungstechnische Gegebenheiten, die die Ausführung der pflegerischen Verrichtungen behindern oder verhindern bzw. den Antragsteller in seiner Selbstständigkeit hindern?
  5. ) Wirken sich die umfangreichen und zeitintensiven Freizeitaktivitäten (z.B. mehrstündige/mehrtägige Go-Turniere) positiv oder negativ auf das Krankheitsbild des Antragstellers aus bzw. beeinflussen diesen den körperlichen Zustand des Antragstellers nicht?
  6. ) Wäre eine stundenweise Abwesenheit des Assistenten zumutbar und eine hierdurch entstehende Ruhephase dem Gesundheitszustand des Antragstellers dienlich?

Der Sachverständige Dr. med. J., Freiberuflicher sozialmedizinischer Gutachter (Schwerpunkt SGB V, XI und XII), hat dem Gericht das Gutachten nach vorheriger Begutachtung in der Häuslichkeit unter dem 27. Mai 2015 erstattet. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Gutachters wird auf Bl. 165 ff. GA sowie die Gründe II Bezug genommen.

Am 26. Juni 2015 hat die Kammer einen weiteren Hängebeschluss erlassen (BL. 217 GA). Damit wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller für den zeitraum vom 1. Juli 2015 bis zum 31. August 2015 monatlich einen Betrag für das beantragte persönliche Budget von 7.000,00 € (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes)

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zu bewilligen und auszuzahlen. Zur Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Az.: S 20 SO 40/15 ER (2 Bände) sowie den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag des Antragstellers hat Erfolg. Denn er hat einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihm ab dem 1. April 2015 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zu dem im Tenor genannten Zeitraum (30. November 2015), Leistungen von monatlich 7.000,00 € unter Außerachtlassung der Leistungen der Pflegekasse von derzeit 728,00 € (insoweit wäre der Tenor des Beschlusses wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ggf. förmlich zu korrigieren) in Form des persönlichen Budgets gem. § 57 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - i.V.m. §§ 53 ff. und 61 ff. SGB XII und dem SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -, insbesondere § 17 SGB IX, gewährt und auszahlt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint, wobei Anordnungsanspruch - das zu sichernde Recht - und Anordnungsgrund - die besondere Eilbedürftigkeit - glaubhaft zu machen sind, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Vorliegend war der Antrag § 86b Abs.2 Satz 2 SGG ungeachtet dessen statthaft, dass derzeit zwischen den Beteiligten keine Zielvereinverbarung betreffend ein trägerübergreifendes persönliches Budget existiert. Denn andernfalls würde man den Antragsteller auf ein - weiteres - Einstweiliges Rechtsschutzverfahren verweisen, bei dem letztlich über die gleichen oder jedenfalls ähnliche Rechtsfragen zu entscheiden

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wäre. Zudem hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 20. März 2015 die Durchführung einer Budgetkonferenz abgelehnt und sich auch im bisherigen Verfahren klar dahin positioniert, dass die die weitere gewährung eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets zugunsten des Antragstellers ablehnt und ihm statt dessen Sachleistungen bewilligt.

Die Sache ist eilbedürftig, weil der Antragsteller zur Aufrechterhaltung seines hohen Bedarfes an Hilfe zur Pflege und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Teilnahme am Go-Club, Chormitgliedschft, Meditationskurs, Teilnahme am Behindertenstammtisch, Vorstandstätigkeit im Mieterverein Potsdam und der Montessori-Schule Potsdam etc.) dringend auf die bewilligung und Auszahlung des begehrten Geldbetrages in Form des trägerübergreifenden persönlichen Budgets angewiesen ist, zumal er als Arbeitgeber die laufenden Gehaltskosten für mehrere Angestellte einschließlich der Sozialversicherungsabgaben pünktlich zu leisten hat. Ohne die Regelung bestünde die Gefahr, dass die von ihm benötigten Assistenzleistungen nicht realisiert werden können, weswegen das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache mit Blick auf sein Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG zurückzutreten hat.

Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 ff. SGB XII i.V.m. § 55 Abs.2 Nr. 7 SGB IX, 60 SGB XII § 22 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-VO), auf ergänzende Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII sowie ein Anspruch auf das Pflegegeld gem. § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 c Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) zu. Denn er gehört aufgrund der in den Gründen zu I. genannten schwerwiegenden Erkrankungen unstreitg zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 53 ff. SGB XII. Er ist behindert im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, d.h. er ist wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt, weil seine körperlichen Funktionen und geistigen Fähigkeiten länger als sechs Monate von den für das Lebensalter typischen Zustand abweichen.

Streitig ist zwischen den Beteiligten allerdings, ob dem Antragsteller die Leistungen in Form eines trägerübergreifendenden persönlichen Budgets gem. §§ 57, 61 Abs. 2

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Satz 3 und 4 SGB XII, § 35 a SGB XI i.V.m. den §§ 17 Abs. 2 bis 4, § 159 Abs. 5 SGB IX, §§ 1 ff. BudgetV oder als sog. Sachleistungen zu gewähren sind, in welchem zeitlichen Umfang er Assistenzleistungen benötigt und schließlich in welcher Höhe die Leistungsgewährung zu erfolgen hat. Insoweit war in der vergangenheit (2013, Verfahren S 20 SO 67/13 ER) insbesondere bei dem damals unbestrittenen Assistenzbedarf im Umfang von 24 Stunden streitig, ob die Antragsgegnerin berechtigt war, die Assistenzleistungen in sog. "aktive Arbeitszeit" und "aktive Bereitschaftszeit" zu unterteilen. Dies hätte für den Antragsteller zur Folge, dass die Antragsgegnerin ihm lediglich die tatsächlichen Arbeitszeiten seiner Assistenten mit 100 % eines Stundenlohnes von 8,00 € Arbeitnehmerbrutto und 9,42 € Arbeitgeberbrutto vergütet, während sie die übrigen Anwesenheitszeiten der Assistenten mit nur 30 % des genannten Stundenlohnes veranschlagt hat. Sie beruft sich für ihre Rechtsauffassung auf das Urteil des Sg Dortmund vom 26. März 2012 - [https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=151272 zit. nach Juris. In dieser Entscheidung hatte das Gericht die vom dortigen Beklagten angewandte Rechenmethode, die im Grundsatz von einer individuellen Bedarfsfeststellung ausgehend eine Differenzierung zwischen Nachtwache/Nachtbereitschaftszeiten und Arbeitszeiten vorgenommen hatte, nicht beanstandet, wobei dort - soweit der Kammer ersichtlich - Zeiten der Nachtwache/Nachtbereitschaft mit 50 % des Stundenlohnes vergütet wurden und nicht wie von der Antragsgegnerin offenbar ausgehend davon nach "unten abgewandelt", mit 30 % des üblichen Stundenlohnes. Die Kammer geht davon aus, dass die Antragsgegnerin die Problematik der Höhe des persönlichen Budgets für den Fall einer Gewährung dem Grunde nach den Antragsteller weiterhin für klärungsbedürftig hält.

Das verstehe ich nicht. Mir scheint, daß das letzte "den Antragsteller" nicht dahingehört.

Im Einzelnen:

Der Antragsteller bedarf entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin über einen Zeitraum von täglich 24 Stunden der Assistenz. Dies ergibt sich eindrucksvoll aus dem im Rahmen dieses Verfahrens angefertigten Gutachten des Sachverständigen Dr. med. J. vom 27. Mai 2015 (Bl. 165 ff. GA). Dieser hat sich dem festgestellten Hilfebedarf des MDK vom 12. August 2013 hinsichtlich der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgungen im Sinne des SGB XI im Wesentlichen angeschlossen, aber ausgeführt, dass die formellen Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalles erfüllt sind. Für die hier interessierende Frage des benötig-

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ten Assistenzbedarfs hat er folgendes ausgeführt:

"Für den Unterzeichner steht außer Frage, dass Herr Lenz eine lückenlosen, d.h. 24-stündigen Assistenz bedarf. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass er nicht mehr in der Lage ist, banalste Verrichtungen wie Naseputzen oder Verscheuchen einer Mücke selbständig zu tätigen. Zudem sind auch die im SGB-XI-Gutachten dargestellten grundpflegerischen Hilfebedarfe teilweise zeitlich nicht vorhersehbar, hier insbesondere (auch durch einschießende Spastik erforderliche) Positionswechsel sowie die Notdurftverrichtung.

Die Stunden können nicht reduziert werden, etwa durch Einsatz eines Notfallknopfes, Windeln oder eines Rollstuhlhaltesystems. Verzögerungen der erforderlichen Hilfestellungen wie Naseputzen, weil erst Hilfe (von außerhalb) herbeigerufen werden muss, sind unzumutbar. Abgesehen davon sehen die gängigen Hausnotrufverträge ausdrücklich keine pflegerischen Hilfen vor, sondern lediglich Notfälle. Ebenso ist der Einsatz von Windeln bei einem ansonsten nicht inkontinenten und zudem hochgradig intertrigogefährdeten Patienten unzumutbar.

Diesem Assistenzbedarf ordnen sich die sonstigen Einzelbedarfe quasi unter: Wie hoch auch immer der grundpflegerische Hilfebedarf gem. SGB-XI-Gutachten, Hauswirtschaft und Teilhabe am Leben sein mag bzw. bewertet wird, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller aus o.g. Gründen einer 24-stündigen Assistenz bedarf.

Es mag für den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsarten (Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe) von Belang sein, welcher Anteil z.B. für eine wie auch immer geartete "angemessene" Teilhabe am Leben aus dem entsprechenden "Topf" ausgereicht wird, für den Antragsteller bzw. die Gesamtsumme kann dies aber kaum von Belang sein.

Wesentlich ist für ihn, aber auch den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Kosten, dass die verschiedenen Bedarfe zeitgleich, d.h. durch ein und dieselbe Hilfskraft abgedeckt werden können, und nicht etwa, dass der Eingliederungshelfer, der den Antragsteller zu Veranstaltungen begleitet, nicht in der Lage ist, pflegerische Verrichtungen vorzunehmen, was in einem Bedarf von mehr als 24 Stunden/Tag resultieren würde."

Die Ausführungen des Gutachters Dr. J. sind in jeder Hinsicht schlüssig und für das gericht nachvollziehbar; die Kammer schließt sich dem uneingeschränkt nach eigener Prüfung an. Schließlich hat der Gutachter auf Seite 7 des Gutachtens ebenfalls nochmals gesondert ausgeführt und begründet, warum die Aussage des Pflegedienstes "Herbstzeit", wonach drei Einsätze zu vier Stunden sinnvoll, praktikabel und ausreichend sein sollen, "völlig unhaltbar" sei. Insbesondere würde eine solche Versorgung innerhalb kürzester Zeit zu massiven Pflegedefiziten und damit gesundheitlichen Schäden führen.

Soweit der Gutachter erwartbar dargestellt hat, dass die Wohnung des Antragstellers

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nicht behindertengerecht ist (3. Stock ohne Aufzug, Badewanne nicht behindertengerecht, zum Wohnraum sind zwei Stufen zu überwinden) und somit die pflegerischen verrichtungen selbstverständlich erschwert werden, hat er allerdings weiter ausgeführt, dass dies betreffend den Assistenzbedarf keine Relevanz hat, da der Antragsteller auch in einer vollständig behindertengerechten Wohnung der 24-stündigen Assistenz bedürfen würde und derzeit aus der Wohnsituation keine Pflegedefizite entstanden sind.

Auch mit Blick darauf, dass der Gutachter das vom Antragsteller verwendete Pflegebett mit einer Matratze aus Wechlagerungsmaterial entgegen der zuvor geäußerten Auffassung der Antragsgegnerin klar als geeignet und indiziert eingestuft hat, lassen sich nach der überzeugenden Darstellung des Gutachter keine "Einsparmöglichkeiten" im Assistenzbedarf erzielen. Denn auch bei einer anderen Matratze wäre er nicht mehr in der Lage, sich eigenständig im Bett umzulagern, so dass "so oder so Hilfebedarf bei Lagerungswechseln im Bett besteht. Zudem sei er stark dekubitusgefährdet." Soweit theoretisch der Einsatz einer Wechseldruckmatratze in betracht käme, habe der Antragsteller dem Gutachter nachvollziehbar dargestellt, dass bei der ausprobierten Wechseldruckmatratze bereits geringe taktile Reize zu Spastiken der Beine geführt hätten.

Der Gewährung der Leistungen im Rahmen des persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell steht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, die ihre Erkenntnisse allein von Äußerungen des Pflegedienstes "Herbstzeit" ableitet, auch nicht entgegen, dass die Pflege des Antragstellers bislang von den ihn betreuenden Personen mangelhaft ausgeführt worden sei. Das ist nämlich nicht der Fall. Ein defizitärer Pflegezustand wurde weder vom Gutachter noch von der behandelnden Ärztin festgestellt. Bereits unmittelbar, nachdem die Beteiligten diese Problematik in dem Erörterungstermin vor der Kammer besprochen hatten, hat sich der Antragsteller am 17. April 2015 bei seiner behandelnden Ärztin Astrid W. vorgestellt. Diese hatte eine Inspektion des Körpers im unbekleideten Zustand vorgenommen und einen ausgezeichneten Pflegezustand und keine Infektionen, keine Mykose etc. festgestellt.

Dasselbe Ergebnis folgt auch aus den Feststellungen des Gutachters Dr. J. in seinem Gutachten vom 27. Mai 2015. Dabei umfasste die Inspektion des Pflegezu-

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standes die Inaugenscheinnahme des vollständig angekleideten sowie - im Rahmen eines assistierten Toilettenganges des Antragstellers - die Inspektion von Genitalbereich, Leistenregion, Gesäß, Brustbereich, Rücken, Axillae als bevorzugte Stellen für Intertrigo (nässende Entzündung der Haut eventuell mit Pilzbefall an Stellen, in denen Hautauf Haut liegt). Die Inspektion habe einen unauffälligen Befund ergeben, was in Anbetracht dessen, dass der Antragsteller in erheblichem Maße intertrigogefährdet sei, auf einen sehr guten Pflegezustand schließen lasse. Dabei sei anzumerken, dass auch eine entzündliche Hautveränderung oder ein Pilzbefall an der einen oder anderen Körperstelle nicht unbedingt auf mangelnde Pflege schließen lasse. Aufgrund der völligen Immobilität bei gleichzeitiger Multiple-Sklerose-assoziierter gestörter Temperatur- und Scheißregulation gelinge es häufig trotz penibelster Pflege nicht, einen Patienten völlig intertrigo- oder Pilzbefall zu halten. Nochmals in höherem Maße gefährdet seien Patienten, bei denen eine Inkontinenz bestehe und die daher mit Windelmaterial versorgt werden müssten, was beim Antragsteller jedoch noch nicht der Fall sei. Es bestehe ein imperativer Notdurftdrang, was bedeute, dass bei Verspüren des Dranges unmittelbar Interventionsbedarf bestehe, um ein Einnässen zu verhindern.

Der Gewährung des persönlichen Budgets im Arbeitgebermodell zu Gunsten des Antragstellers steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller letztlich unzuverlässig, weil nicht in der Lage zur Verwaltung der diversen mit dem Arbeitgebermodell verbundenen Pflichten zur Dokumentation, Schließung und Abwicklung der Arbeitsverhältnisse im weiteren Sinne einschließlich der daraus resultierenden gegenüber den diversen Sozialversicherungsträgern etc. und Kontoüberwachung wäre. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzubilligen, dass sämtliche Beteiligte, vor allem ihre Mitarbeiter, aber auch das gericht, dem Antragsteller in der Vergangenheit mehrfach unmissverständlich klar gemacht haben, welche konkreten und unverfügbaren Pflichten im Einzelnen mit der Durchführung des persönlichen Budgets als Arbeitgebermodell verbunden sind und dass es dafür unabdingbar sei, dass beispielsweise Lohnabrechnungen und geleistete Arbeitsstunden der Arbeitnehmer/Assistenten/Honorarkräfte und sonstigen Hilfspersonen jeweils im Bezugsmonat übereinstimmen.

Allerdings sieht die Kammer nach gründlicher Abwägung aller von der Antragsgegne-

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rin benannten Umstände, die im Einzelnen jedenfalls teilweise zutreffen mögen, mit den gravierenden Nachteilen im Sinne eines selbstbestimmten Lebens für den Antragstellers die Schwelle zur endgültigen Ablehnung der Leistungsgewährung in der begehrten Form als - noch - nicht gegeben an. Dies bedeutet nicht, dass dies in der Zukunft in gleicher Weise erfolgen wird, sofern die benannten Mängel, insbesondere hinsichtlich der teilweise wenig anschaulichen Dokumentationssituation,

Frage für das Gericht: Ist die Dokumentation, wie sie seit Februar 2015 erfolgt, ausreichend???

aber auch der Schuldenbereinigungssituation nicht vollständig behoben werden und sich die Situation nicht in dem vom Gericht angenommenen Sinne weiterhin deutlich positiv entwickelt. Dazu gehört es für den Antragsteller u.a. selbstverständlich dazu, dass er seine Dienstpläne für einen Abrechnungszeitraum der Antragsgegnerin unaufgefordert übermittelt und diese nicht - wie in dem Erörterungstermin am 16. April 2015 erfolgt - auf seine im Intranet veröffentlichten Dienstpläne verweist. Unklar bleibt allerdings bei dieser Situation, wie die Antragsgegnerin ohne gerade diese Unterlagen eine sinnvolle Prüfung betreffend Zeiträume in der jüngeren Vergangenheit durchgführt haben will, auf die sie dann u.a. ihre Einschätzung zur Unfähigkeit des Antragstellers zur Durchführung und Verwaltung des persönlichen Budgets gestützt hat.

Die Kammer hat sich bei ihrer Abwägung für die Fortführung des persönlichen Budgets in Form des Arbeitgebermodells in dem tenorierten Zeitraum davon leiten lassen, dass der Antragsteller seit Beginn des persönlichen Budgets - auch im Vergleich zu anderen dem Gericht bekannten Budgets - vor allem im Interesse des sparsamen Umgangs mit Sozialhilfemitteln mit auch mit gerichtlicherseits knapp kalkulierten Mitteln umzugehen hatte und die Zahlungen selbst noch in jüngster Vergangenheit teilweise mit erheblichen Verzögerungen und weitestgehend erst nach Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe, die naturgemäß ebenfalls mit beachtlichen Zeitverzögerungen verbunden sind, durchsetzen konnte. So hat der Antragsteller ausweislich des gerichtlichen Vergleichs vom 7. April 2014 endgültig für den zeitraum von August 2012 bis einschließlich Februar 2013 ein persönliches Budget von insgesamt 2.800,00 Euro monatlich unter Anrechnung des jeweils bislang gezahlten Betrages von 2.373,14 Euro zzgl. des Pflegegeldes von 700,00 Euro bewilligt bekommen, obschon er schon in diesem Zeitraum - zu Recht oder zu Unrecht -selbst von einem deutlich höheren Bedarf ausgegangen war und entsprechend Assistenzleistungen bereits in Anspruch genommen hatte. Für den Zeitraum ab dem 1. März 2013

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bis einschließlich Juli 2014 bewilligte ihm die Beklagte für das beantragte persönliche Budget (ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes von damals 700,00 Euro) endgültig den Betrag von 6.734,25 Euro, was nach der damaligen Berechnung der Kammer zwar ausreichend, aber auch nötig war.

Daraus folgt, dass der Antragsteller - bei allem ihm vorwerfbaren Unzulänglichkeiten wie z.B. der Verwendung von wenig transparenten "Handkassen"

Ich bin der Meinung, daß eine Handkasse ziemlich unvermeidbar ist. Wenn ich z.B. Briefmarken an einem Kiosk für 4 EUR kaufe (Billigbriefmarken); dann werde ich das kaum per Überweisung bezahlen, sondern das Geld kommt aus der Handkasse. Woher sonst? Briefmarken brauche ich aber nun mal im Budget. Und Billigbriefmarken kaufe ich schon um mein Budget zu schonen. Was ist daran falsch??

und von der Antragsgegnerin nachzuvollziehenden Transfers von Geldleistungungen über mehrere Konten

Es waren zwei. Mein Privatkonto und mein Budgetkonto. Wenn aber, wie damals geschehen, das Pflegegeld (nach SGB XI) auf mein Privatkonto geht, aber auf mein Geschäftskonto gehört; Gleichzeitig das Pflegegeld nach SGB XII auf mein Geschäftskonto überwiesen wird, aber auf mein Privatkonto gehört - ja dann gibt es "Transfers". Zwei Dinge sind dabei festzustellen: Einzig die LHP (Antragsgegnerin) hätte von Anfang an genau dies vermeiden können und müssen; und weiterhin war ALLES nachvollziehbar (ein bißchen guter Wille und kaufmännisches Verständnis vorausgesetzt).

etc. - nachvollziehbar in der Vergangenheit jedoch teilweise gezwungen sein dürfte, "vorhandene Finanzlücken bei unregelmäßigen und kaum planbaren zahlungseingängen immer wieder notdürftig zu beseitigen und neue Vereinbarungen zu Stundungen, Erlassen etc. von Mahngebühren und anderen Zahlungen mit Sozialleistungsträgern, Rententrägern oder mit dem Finanzamt zu treffen. Insoweit hat der den Antragsteller betreuende Betriebswirt Rüdiger Otto mit Schriftsatz vom 6. Juli 2015 (fehlt) dem Gericht aber eine - glaubhaft - positive Tendenz aufgezeigt (Bl. 252 GA).

So hat er auf eine diesbezügliche Anforderung des Gerichts dargestellt, dass der "Schuldenstand" des Antragstellers am 15. August 2014 einen Betrag von 21.377,79 € erreicht hatte. Zu diesem Zeitpunkt seien noch zwei komplette Zahlungen der Antragsgegnerin von 13.488,50 € offen gewesen. Belastet gewesen sei das persönliche Budget von 2.055,07 € mit Säumniszuschlägen wegen ausstehender Sozialversicherungsbeiträge. Diese hätten sich um 207,50 € durch verspätete Zahlungen nach dem Juli 2014 erhöht. Die unregelmäßigen Zahlungen während des ersten Verfahrens hätten zu einem Arbeitsgerichtsprozess geführt, deren Kosten die Antragsgegnerin nicht übernehmen wolle. Derzeit seien noch 6.363,02 € offen, von denen 2.262,57 € Säumniszuschläge seien. 1.343.17 € seien noch offen, weil seit August 2014 durch zusätzliche Maßnahmen Dienstversammlungen durchgeführt werden mussten und Mehraufwendungen zur Abwehr von Strafanträgen entstanden seien. 2.739,13 seien aus dem gekürzten Pflegegeld noch offen.

Gekürztes Pflegegeld: Damit ist das Pflegegeld nach SGB XII gemeint. Es wird dann gezahlt, wenn das "normale" Pflegegeld nach SGB XI nicht zur Verfügung steht (weil es, wie hier, in das Budget eingeht). Es KANN gekürzt werden. Ich bin der Meinung, daß es keinen Grund zur Kürzung gibt.

Dies allein ergebe ohne Verzinsung einen Betrag von 6.335,67 €, welcher die Forderung weitestgehend abdecken könnte. Daneben würden die restlichen beantragten Gelder von 666,75 € monatlich für den Zeitraum August bis Dezember 2014 und seit Januar 2015 von 593,00 € fehlen.

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Unabhängig davon, dass die Kammer im Rahmen des Erlasses einer Einstweiligen Anordnung die vom Antragsteller aufgezeigten Gegenforderungen an die Antragsgegnerin nicht beurteilen kann, ergibt sich klar, dass der Antragsteller im letzten Jahr seine Schulden bei den entsprechenden Leistungsträgern auf einen - nach Auffassung der Kammer - mit Blick auf das Gesamtbudget noch gerade überschaubaren Betrag reduziert hat und die Kammer zudem davon überzeugt ist, dass er diese auch in der Zukunft weiter reduzieren wird, zumal die Verfahren über die endgültige Bewilligung auch für vergangene Leistungszeiträume noch ausstehen.

In gleicher Weise hat der Bevollmächtigte des Antragstellers seit seiner Mandatierung zu Beginn dieses Verfahrens dafür gesorgt, dass im Wesentlichen zeitnah die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23. April 2015 bis zum 21. Mai 2015 eingeforderten fehlenden Unterlagen (Bl. 105 GA) übermittelt werden. So hat er mit Schriftsatz vom 24. Juni 2015 den Kontoauszug für Mai 2015 und die dazugehörigen Lohn- bzw. Honorarabrechnungen sowie das entsprechende Dienstzeitenprotokoll übersandt (Bl. 199 ff. GA). Unter dem 26. Juni 2015 wurde dies ergänzt (Bl. 247 ff. GA). Unter dem 21. Juli 2015 hat der Antragsteller die erforderlichen Nachweise für Juni 2015 (Bl. 254 ff. GA) und mit E-Mail vom 20. August 2015 (fehlt)die Nachweise für Juli 2015 dem Gericht übermittelt. Soweit die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 31. Juli 2015 (fehlt) erneut von Schwierigkeiten in der Kommunikation wegen des Fehlens eines Hefters mit Originalbelegen berichtet, geht die Kammer davon aus, dass sich dies klären lässt, zumal sich in der Geschäftsstelle ein nicht einem Verfahren zuzuordnender Aktenordner befindet, der u.a. Original-Zahlungsaufträge und andere Abrechnungen betreffend Arbeits- und Honorarverträge aus dem Jahr 2014 beinhaltet. Zudem hat der Antragsteller - soweit ersichtlich - der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. Juli 2015 die weiterhin geschlossenen Arbeitsverträge und Honorarvereinbarungen betreffend die Personen P., L. und J. übermittelt und mitgeteilt, dass die Verträge hinsichtlich der Personen P.-R. und R. mündlich geschlossen wurden.

Aus alldem ergibt sich, dass es die Kammer in umfassender Abwägung der widersprüchlichen Interessen auch mit Blick auf die gravierenden Folgen für den Antragsteller bei einer unverzüglichen Beendigung des persönlichen Budgets für gerechtfertigt hält, dieses dem Antragsteller vorerst weiter zu bewilligen. Dabei hat die Kammer im

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Interesse eines sparsamen Einsatzes von Sozialhilfemitteln auch in den Blick genommen, dass es sich dabei auch unter Berücksichtigung eines möglichen höheren Betrages in der abschließenden Leistungsberechnung bei weitem um die kostengünstigste Form der Leistungsgewährung handelt. Der Kammer ist bekannt, dass für den zunächst von der Antragsgegnerin geplanten Einsatz der Einzelfallhilfe-Manufaktur e.V. mindestens 8.500 € monatlich und für den Einsatz von Sachleistungen unter Zuhilfenahme eines Pflegedienstes mehr als 11.000 € pro Monat veranschlagt worden waren. Der Kammer sind zudem andere persönliche Budgets (z.B. aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark) bekannt, die bei vergleichbarem 24-stündigen Assistenzbedarf mit etwa 14.000 € pro Monat bewilligt wurden. Gleiches gilt für derartige Budgets im Land Berlin.

Soweit dann - ausgehend von einem 24-stündigen Bedarf des Antragstellers für Assistenzleistungen - auch in diesem Verfahren zwischen den beteiligten die Höhe des dem Antragsteller zu gewährenden persönlichen Budgets streitig wäre, hat die Kammer ausgehend von ihren Ausführungen im Verfahren S 20 SO 67/13 ER mit Blick auf den ab dem 1. Januar 2015 geltenden Mindestlohn die seinerzeit bewilligte Summe im Rahmen dieses Verfahrens wie schon zuvor im Verfahren S 20 SO 19/15 ER pauschal auf 7.000,00 € erhöht. Dies in dem Bewusstsein, dass es - unter der Annahme des Weiterbestehens für den nunmehr tenorierten Zeitraum - in dem dann zu führenden Hauptsacheverfahren einer detaillierten Berechnung der Höhe durch die Kammer bedarf. Insoweit war in der Vergangenheit zwischen den Beteiligten nämlich streitig, ob dabei eine Unterscheidung zwischen sog. "aktiver Arbeitszeit" und "aktiver Bereitschaftszeit" zulässig wäre.

Diesbezüglich hat die Kammer zum Verfahren 20 SO 67/13 ER im Wesentlichen ausgeführt:

Allein aus dem Umstand, dass das SG Dortmund (a.a.O.) im dort entschiedenen Einzelfall eine Berechnungsmethode, die abgesehen von kleineren Unsicherheiten zwischen den Beteiligten auch nicht streitig war, nicht moniert hat, lässt sich allerdings nicht schlußfolgern, dass diese Art der Berechnung auch im Fall des Antragstellers sinnvoll und praktikabel ist. Das ist nämlich nach der Überzeugung der Kammer nicht der Fall, weil ihm damit evident zu niedrige Leistungen bewilligt wurden. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin auch erklärungslos die von ihr angenommenen Zeiten der sog. "aktiven Bereitschaft" nicht wie in dem vom SG Dortmund

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entschiedenen Verfahren mit 50 % des Stundenlohnes, sondern lediglich mit 30 % des Stundenlohnes angesetzt hat. Einen sachlichen Grund dafür hat sie weder in dem umfangreichen Vorbringen selbst benannt noch ist der Kammer ein solcher auch nur im Ansatz ersichtlich.

Streitentscheidende Norm für den Umfang und die Höhe des trägerübergreifenden persönlichen Budgets ist § 57 SGB XII i.V.m. § 17 Abs. 3 SGB IX. Danach werden persönliche Budgets in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich (§ 17 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Gem. § 17 Abs. 3 Satz 3 SGB IX werden persönliche Budgets auf der Grundlage der nach § 10 Abs. 1 getroffenen Feststellungen so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten, ohne das persönliche Budget zu erbringenden, Leistungen nicht überschreiten.

Vorliegend besteht der individuell festgestellte Bedarf des Antragstellers unstreitig in einer 24-stündigen Assistenz. Dies zu Grunde gelegt kann der Antragsteller mit den von der Antragsgegnerin im Rahmen des persönlichen Budgets gewährten Leistungen aber gerade nicht seine 24-stündige Betreuung und Hilfe durch von ihm angestellte persönliche Assistenz- und Pflegekräfte in sog. Arbeitgebermodell sicherstellen. Denn die ihm hier im streitgegenständlichen Zeitraum seit dem 1. August 2013 entsprechend der Zielvereinbarung vom Juni 2013 bzw. entsprechend des am 31. Mai 2013 geschlossenen "Zwischenvergleichs" - die Antragsgegnerin zahlt ungeachtet der dort festgelegten Gültigkeitsdauer für den Monat Juni 2013 dem Antragsteller seither weiter den dort festgelegten Betrag von 5.750,00 € - gewährten Leistungen sind nach der Überzeugung der Kammer nicht bedarfsdeckend.

Der Antragsteller mag - was die Kammer nicht beurteilen kann, aber zwischen den Beteiligten auch nicht streitig zu sein scheint - über einen Zeitraum von 24 Stunden einen konkreten individuellen Hilfebedarf von insgesamt 8,5 Stunden an tatsächlicher Hilfeleistung durch die Assistenten aufweisen, während dieser für 15,5 Stunden lediglich anwesend zu sein haben und im Falle eines Hilfebedarfs ihm diese tatsächlich leisten. Die sich daran anschließende Berechnung der Antragsgegnerin, wonach die sog. "aktive Arbeitszeit" mit 100% des Stundenlohnes zu vergüten ist, während die Zeiten der sog. "aktiven Bereitschaft" mit 30 % des Stundenlohnes berechnet werden, ist aber weder sinnvoll noch praktikabel.

Das ergibt sich zum einen eindrucksvoll aus der sozialmedizinisch-gutachterlichen Stellungnahme des Dr. med. W[]. J[]. vom 14. Januar 2013, diesen hatte die Kammer mit Beweisanordnung vom 17. Dezember 2012 zu einem parallel geführten Verfahren eines anderen Antragstellers (S 20 SO 139/12 ER) gebeten, den Akteninhalt auszuwerten und dazu Stellung zu nehmen, auf welche Weise üblicherweise eine Vergütung für den streitgegenständlichen Sachverhalt vorgenommen wird. Zudem sollte er speziell dazu Stellung nehmen, ob eine Unterteilung in aktive Bereitschaft von dort 14,5 Stunden (30% des Lohnes) und 9,5 Stunden aktive Arbeitszeit (100% des Stundenlohnes) üblich und geboten sei.

Der Gutachter Herr Dr. med. W. J. hat am 14. Januar 2013 eine sozialmedizinisch-gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage gefertigt. Er hat im Wesentlichen ausgeführt: Der Versuch, einen derartigen Hilfebedarf in minutiöser Weise zu erfassen

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und eine Unterteilung in aktive Arbeitszeit und Bereitschaft vorzunehmen, könne nicht anders als völlig realitätsfern angesehen werden. Dies wäre in etwa so, wenn einer Nachtschwester im Krankenhaus oder einem Polizisten im Nachtdienst auf der Wache vorgerechnet würde, wieviel seiner Anweisenheitszeit aktiv gearbeitet werde und welcher Anteil Bereitschaftszeit sei mit dem Ziel, statt wie üblich einen Nachtzuschlag auf den Stundenlohn zu gewähren, die Vergütung für die Bereitschaft auf 30 Prozent des Stundenlohnes zu reduzieren. Anders würde es sich verhalten, wenn eine Bereitschafszeit dergestalt bestünde, dass eine Rufbereitschaft bestehe, bei der der Arbeitnehmer zu Hause verbleiben und seiner Freizeitgestaltung, d.h. eigenen Dingen nachgehen könne, dabei aber immer damit rechnen müsse, dass er gerufen werde und leistungsfähig erscheinen müsse. Hierzu sei als Beispiel die Rufbereitschaft eines Oberarztes oder eines Staatsanwaltes genannt, die selbstverständlich keinen vollen Stundensatz rechtfertigten. Solche Bereitschaft sei aber im vorliegenden Fall nicht praktikabel, da die erforderlichen Hilfestellungen (auch nachts) zu zahlreich und zu engmaschig seien, so dass eine Vorort-Anwesenheit unerlässlich sei. Gleichwohl sei es aber möglich, vor Ort gesetzlich geforderte Pausenzeiten einzuhalten und zu dokumentieren, wenn diese zeitlich flexibel bleiben müssten. Bei der Vergütung sei zu berücksichtigen, dass die Assistenz im vorliegenden Fall zwar nicht zwingend eine Berufsausbildung, gleichwohl aber sowohl im Hinblick auf die Studienassistenz einen gewissen Bildungsstand und für die pflegerischen Tätigkeiten einfühlsame sowie auch teilweise körperlich schwere Arbeit erfordere. Dies sei wesentlich anspruchsvoller als etwa ein reiner Mobilitätsdienst, um einen Klienten z.B. ins Kino zu begleiten, wofür ein geringerer Stundenlohn anzuwenden wäre.

Die Kammer schließt sich ungeachtet der teilweise in der Diktion von der Antragsgegnerin als etwas polemisch empfundenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. W. J. vom 14. Januar 2013 an, weil diese in der Sache in jeder Hinsicht überzeugend sind.

Auch die Kammer geht nach der eingehenden Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten davon aus, dass ungeachtet dessen, in welchen Abständen im Einzelnen der Antragsteller nun einer konkreten Hilfe durch seine Assistenten bedarf, eine 24-stündige Assistenz für ihn zur Aufrechterhaltung sämtlicher Pflege- und Teilhabebereiche zwingend erforderlich ist. Daraus folgt aber zugleich, dass dem Antragsteller dann auch der gesamte Umfang der von ihm auf dem "freien Arbeitsmarkt einzukaufenden Assistenzleistungen" auf geeignete Weise zu vergüten ist. Dabei wäre die von der Antragstellerin gewählte Berechnungsmethode möglicherweise dann nicht zu beanstanden, wenn - wie offenbar in dem vom SG Dortmund entschiedenen Hilfefall - das Gesamtergebnis, d.h. die Höhe des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden persönlichen Budgets dem Leistungsfall im Großen und Ganzen gerecht wird. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn die Antragsgegnerin würde dem Antragsteller für die von ihr "extrahierten" Zeiten der sog. "aktiven Bereitschaft" ernsthaft auf die Zahlung eines Stundenlohnes von 2,33 € netto (2012) bzw. 2,40 € netto (ab dem 1. Juli 2013) [30% des von der Antragsgegnerin nach der Pflegearbeitsbedingungsverordnung für Brandenburg zu Grunde gelegten Stundenlohnes von 7,75 € netto für 2012 bzw. ab dem 1. Juli 2013 von 8,00 netto] verweisen und damit der institutionalisiert in Kauf genommenen Zahlung von klar sittenwidrigen Löhnen durch den Antragsteller bewusst Vorschub leisten. Schon mit Blick auf die aktuellen Diskussionen zur Höhe eines flächendeckenden Mindestlohnes in der Bundesrepub-

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lik Deutschland in Höhe von etwa 8,50 €, der vor allem auch für komplett "ungelernte und unqualifizierte" Personen gelten würde, erschließt sich, dass die von der Antragsgegnerin bewusst zum Nachteil des Antragstellers angewandte Berechnungsmethode keinen Bestand haben kann, zumal der Antragsteller - worauf auch der Sachverständige Dr. J. zutreffend hingewiesen hat - zwingend darauf angewiesen ist, vor allem auch verlässliches Assistenzpersonal zur Verfügung zu haben, um die Aufrechterhaltung seiner Pflege- und Teilhabeleistungen nicht zu gefährden. Dieses verlässliche Personal wird sich nach der Überzeugung der Kammer nicht finden lassen, wenn der Antragsteller diesen Personen insgesamt nur die Zahlung eines sittenwidrigen Lohnes anbieten kann, denn das wäre die zwingende Folge, wenn der Antragsteller darauf verwiesen wird, ihnen für Teile der Arbeitszeit 8,00 € netto zu zahlen und - für größere Teile - lediglich 2,40 € netto, was in Mittel immernoch lediglich 5,20 € netto sind. Die Antragsgegnerin bzw. konkret deren "Entscheidungsträger" haben es auf die Bitte des Gerichts in dem Erörterungstermin vom 18. Juni 2013 zum Parallelverfahren eines anderen Antragstellers (S 20 SO 139/12 ER), diese Problematik der Höhe der dann zu zahlenden Löhne mit Blick auf die Entscheidung über die Beibehaltung des dort gefundenen Kompromisses einzubeziehen, sogar unterlassen, sich wenigstens im Ansatz damit zu befassen, ob es im Interesse einer staatlichen Institution sein kann, einen schwerstbehinderten Menschen wie dem Antragsteller auf die Zahlung sittenwidriger Löhne im Rahmen der Gewährung eines vom Gesetzgeber gerade für diesen Personenkreis geschaffenen persönlichen Budgets zu verweisen.

Erweist sich die Berechnungsmethode der Antragsgegnerin nach alledem nicht als tragfähig, ist die Kammer im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht gehindert, eine eigene Sachentscheidung und Berechnung zur Höhe der dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens bis zum 31. Juli 2014 zu gewährenden Leistungen, zu treffen. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:

Unter Zugrundelegung eines mit Blick auf die "Mischaufgaben" der vom Antragsteller angestellten Assistenten der Hilfe zur Pflege einerseits und der Eingliederungshilfe/Teilhabeleistungen andererseits der Höhe nach angemessenen Stundenlohnes von 7,50 € netto ergäbe sich bei einem durchschnittlichen Stundenvolumen von monatlich 730 Arbeitsstunden ein Betrag von 5.475,00 €. Zuzüglich eines überschlägig 23%-igen Arbeitgeberanteils von 1.259,25 € ergäbe sich rechnerisch ein Leistungsbetrag von 6.734,25 €. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kann es auch dahinstehen, ob die Leistungshöhe nach einzelnen Bedarfen (Eingliederungshilfe/Teilhabeleistungen bzw. Hilfe zur Pflege) aufzuteilen wäre.

Bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache, in der die Kammer ggf. eine genaue Berechnung der dem Antragsteller konkret zustehenden Leistungen im Rahmen der Gewährung des persönlichen Budgets vorzunehmen hat, ist dem Antragsteller der Betrag von 700,00 €, der ihm gesondert von der Barmer GEK - Pflegekasse - gezahlt wird, zu belassen. Der Antragsteller benötigt diese Summe als monatliche "Reserve", um Krankheits- und Urlaubszeiten seiner ausweislich der vorliegenden Arbeitsverträge jedenfalls zum großen Teil fest angestellten Mitarbeiter auszugleichen, in denen er diesen ihren Lohn jedenfalls für eine bestimmte Zeit fortzuzahlen hat und gleichzeitig Ersatzmitarbeiter beschäftigen muss, damit die ihm benötigten Hilfeleistungen im Umfang von 24 Stunden täglich sichergestellt sind. Die

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Kammer hält diese Summe vorläufig für angemessen, um die zusätzlichen Verpflichtungen des Antragstellers finanziell abzusichern. Auch wenn der Antragsteller nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin in dem gesamten Zeitraum des Erhalts des persönlichen Budgets teilweise nicht unerheblichen Anlass zu Beanstandungen im Rahmen der Abrechnung gegeben hat, wird die Höhe des im vergangenen Zeitraum benötigten finanziellen Rahmens einen Anhaltspunkt dafür geben, in welcher Höhe letztlich im Hauptsacheverfahren das persönliche Budget zu bestimmen sein wird.

Ausgehend davon hält es die Kammer zur vorrangigen Klärung der Frage, ob dem Antragsteller das persönliche Budget in Form des Arbeitgebermodells dem grunde nach weiterhin zu gewähren ist, hier für vertretbar, den seinerzeit in dem früheren verfahren auf diese Weise errechneten Betrag pauschal auf 7.000,00 € zu erhöhen. Nach der Überzeugung der Kammer ist der dem Antragsteller vorläufig zugesprochene Betrag erforderlich, aber auch ausreichend, um seinen bedarf an Assistenzleistungen abzusichern. Zusätzliche Leistungen wie Urlaubs/Weihnachtsgeld sowie Einarbeitungszeiten und Weiterbildungszeiten für die von ihm beschäftigten angestellten Assistenten waren bei der Berechnung der Höhe des persönlichen Budgets nicht zu brücksichtigen, weil der Arbeitgeber als Antragsteller nicht verpflichtet ist, derartige Leistungen an seine Mitarbeiter zu erbringen und die Sozialgemeinschaft umgekehrt nicht für freiwillige Leistungen aufzukommen hat.

Warum "Einarbeitung" eine "freiwillige" Leistung sein soll, ist mir nicht klar. Und da es m.W. einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub gibt, dürfte auch "Weiterbildung" keine freiwillige Leistung sein. Übrigens ist laut Arbeitszeitgesetz ein "angemessener" Nachtzuschlag für Nachtstunden zu zahlen. Als "angemessen" betrachten die Arbeitsgerichte sowas wie 30%. Das ist doch keine freiwillige Leistung! Aber ich kann den Zuschlag nicht bezahlen! Hä?

Hinsichtlich des tenorierten Zeitraums ist diese angemessen aber auch erforderlich, um bei sicher voraussehbarem gleichbleibendem Bedarf des Antragstellers

Sowas bei MS zu sagen, ist mutig, denn es handelt sich um eine fortschreitende Erkrankung. Wenn ich Glück habe, bleibt alles gleich. Es kann aber eine Verschlechterung eintreten. Von einer Verbesserung bei einer progredienten (nicht schubförmigen) habe ich noch nie was gehört!

des Antragstellers die vorrangigen Fragen betreffend die Budgetgewährung dem Grunde nach einer rechtskräftigen Klärung, die, ggf. durch die nächsthöhere Rechtsmittelinstanz zuzuführen.

Die Kostenentscheidung folgt auf § 193 SGB entsprechend und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

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Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde angefochten werden ...

H.
Richterin am Sozialgericht

beglaubigt
gez. R.
Justizbeschäftigte
(Siegel)

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